Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 139

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von Alf Glocker

139. Schritt

Bestimmter Merkmale wegen arrangieren wir uns mit der Verworfenheit! Wir stehen vor den Altären des Fleisches und beten: „Sieh mich an, du Gott aller Schöpfungen, auch wenn du selbst keine Augen hast – du fühlst meine Gedanken, wie sie mich solange verbrennen, bis ich bereit bin keine Einheit mehr alleine darstellen zu wollen!“

Um der Erzeugung freilaufender Körperteile wegen, die mich womöglich später nicht einmal mehr kennen werden, weil sie vor den Altären des Fleisches stehen und beten „Sieh mich an…“ werde ich den Verstand verlieren. Eine Stimme sagt mir, daß ich gar keinen besitze, außer ich stehe vor den Altären des Fleisches und bete „Sieh mich an…“denn darin liegt meine einzige höhere Bestimmung.

Das macht mich glücklich! Denn irgendwer weiß, wie unzulänglich ich bin, wie nah sich meine Horizonte um mich scharen, so nah, daß ich manchmal die Hand vor Augen nicht sehe. Aber im Beten bekomme ich meine Absolution. Dieses beten vor den Altären des Fleisches spricht mich frei, weil die Altäre des Fleisches ebenso wenig Verstand besitzen wie ich. Im Gegenteil: sie sehnen sich nach der Anbetung durch andere Wesen.

Zusammen sind wir – sollte eine Vereinigung stattfinden – eine fruchtbare Katstrophe, denn nichts anderes wird aus uns entstehen, als das was wir sind, von wenigen Ausnahmen und der langsamen Evolution abgesehen, die jederzeit eintreten kann, aber nicht muss. Sollte sie, was sehr wahrscheinlich ist, nicht eintreten, dann werden wir uns nicht in unseren Früchten erkennen, weil wir uns für etwas Besseres halten.

Und sollte ein Sprung auf der Entwicklungsleiter stattfinden, dann werden wir uns nicht in ihm erkennen, weil er uns verachten wird – so wie wir sind. Denn was wir sind, das ist der unappetitliche Versuch einer Generation etwas darstellen zu wollen, was gar nicht vorkommt: ein integeres Geschöpf, dessen Recht auf Anerkennung nur von ihm selber kommt. Idealen entsprechen wir nicht!

Nur die Hoffnung weist über Grenzen hinaus. Unsere Interessen dagegen sind klein! Wir werden getäuscht und wir sind selbst, jeder für sich eine Täuschung – Enttäuschungen ohne Ende! Wir versprechen und fallen auf Attraktionen herein, die, von der Natur aufgeblasen, unbeschreiblich anziehend sind: eine Kette von Irrtümern entsteht, die das Leben benötigt um vorhanden zu sein.

In „Wirklichkeit“ sind wir so hässlich wie Abschaum, aber viel zu schön um nicht geboren zu werden. Deshalb nehmen wir es an, das Unannehmbare, glauben das Unglaubliche und werden leibhaftig, in der Anbetung vor den Altären des Fleisches. Die Wucht des Selbstverständnisses, das uns erfüllt ist so groß wie der Trieb dem wir folgen. Wir folgen ihm gerne, in Unkenntnis brauchbarer Alternativen, bis wir zu Ende sind mit unserem Latein, das aus nichts als der Bereitschaft besteht, uns ewig verraten zu lassen.

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