Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten

Bild von Alf Glocker
Bibliothek

115. Schritt

Wer sich aus Versehen für ehrlich und dabei noch für klug hält, wer glaubt die Schöpfung wenigstens ansatzweise begriffen zu haben, der begebe sich auf das Gebiet der „Liebe“! Er wird dort erfahren, daß Improvisation alles, Erlerntes nichts, Geist unnötig und Gefühle verschieden interpretierbar sind. Daneben wird er auf einen Mechanismus stoßen, dessen Ritualcharakter sogar den der Glaubensgemeinschaften oder der Armeen übertrifft – nicht immer unbedingt an Herzlichkeit, versteht sich, aber an Wirksamkeit!

In der Liebe ist alles ebenso gültig wie es nicht gültig ist. Man darf ebenso alles glauben wie man es nicht glauben darf. Aber die Natur hat dafür gesorgt, daß durch die Stimulierung gewisser Reizzonen eine ungewisse Kontinuität gewährleistet werden kann, die sogar im Suchtverhalten, in der Hörigkeit, oder auch im blanken Hass enden kann. Das ist durchaus möglich, wenn beispielsweise ein überaus wankelmütiger Charakter nicht immer gebührend – natürlich nicht als wankelmütig, sondern als verehrenswert – gewürdigt wird.

Die Liebe verlangt nicht nur alles, sondern meist mehr als man überhaupt geben kann. Das ist jedoch völlig egal, wenn man nicht begreift auf wen man sich eingelassen hat. Bevor der Denkprozess in Richtung Begreifen wieder eingeleitet ist, nach dem üblichen Trancezustand am Anfang einer Beziehung, ist es meist schon für alles zu spät. Man/frau ist viel zu tief in die Verstrickungen der bemühten Sorgsamkeit geraten um sich noch schadlos aus den Folgen eines Missgriffs befreien zu können. Wer mehr investiert hat, als ihm von Herzen möglich war, der scheitert nunmehr an seiner Erinnerung!

Viel zu tief sind die Eindrücke gewesen, viel zu viel hat man von sich preisgegeben. Da bleibt oft nur noch die Flucht in eine lebenslange Ehe. Dabei spielt es dann eine untergeordnete Rolle, ob man sich einer Giftmischerin, einem Taugenichts, einem Terroristen, oder gar einer Selbstmörderin angedient hat. Da man ja bereits eingangs der damals noch „Affäre“ zu nennenden Geschichte hinreichend gelernt hat, daß nichts wirklich echt ist, aber auch nichts wirklich gelogen, hat man triftige Gründe alles für einen guten und/oder schlechten Witz zu halten.

Wir erinnern uns an Shakespears Romeo und Julia, wo die Vernunft, verkörpert durch Mercutio, einfach durch einen Zufall umkommt und Tybald, Julias Bruder, trotz seinem überlegenen Können, im Gefecht mit Romeo erschlagen wird. Dieser Vorgang ist signifikant für die Liebe an sich, bei der es ebenfalls keine logisch nahvollziehbaren Ereignisse geben kann. So ist dann auch Julias Tod nicht ohne Denkprobleme erklärbar… „Es ist wie es ist“, sagte Erich Fried einmal – aber wie ist es denn nun?

Julia will sich zum Schein umbringen, damit sie erreichen kann was sie möchte. Romeo jedoch glaubt, wie jeder benebelte Liebhaber, an keinen Trick und folgt, romantisch veranlagt, wie Männer, unter der Einwirkung eines ganz normalen Hormonstaus nun einmal sind, Julia in den Tod nach, aber nicht scheinbar, sondern tatsächlich. Julia wiederum, das labile Kind, das sich vorher auch schon nicht klar verständlich machen, im Sinne von durchsetzen, konnte, erkennt was sie angerichtet hat (eine Seltenheit übrigens bei Verliebten) und handelt diesmal todernst.

Leider ist das, wie alles, was unter dem Einfluss der Liebe und ihren verwandten Bereichen geschieht, nicht unbedingt mehr zum Lachen, obwohl dem ganzen Theater eine unterschwellige Komik nicht ganz abzusprechen ist. Immerhin hat keiner der Beteiligten, außer dem zufällig umgekommenen Mercutio, „vernünftig“ gehandelt – genau wie im „richtigen Leben“, wo es nur denjenigen Frauen und Männern gelingt ihre 5 Sinne ordnungsgemäß beieinander zu halten, deren „ernste Absichten“ sich mehr auf dem Gebiet der Berechnung bewegen. Heiratsschwindler zum Beispiel, oder Frauen, die absichtlich nur Millionäre heiraten wollen.

Sie imitieren ganz bewusst, was gewöhnliche Menschen unbewusst imitieren: Leidenschaft und Hingabe. Ihre Rituale stammen aus einer anderen Hexenküche als jene, die sich beim gemeinen Volk von selbst ergeben, damit der zu erwartende Nachwuchs tüchtig und selbstbewusst werden kann. Beide gehen jedoch, metaphorisch ausgedrückt, über Leichen, da es weder die Liebe noch die Liebenden interessiert, was sich aus der angeleierten, respektive der gewachsenen Situation, noch alles zufällig ergeben kann. Fast immer ist es ein Inferno aus ganz natürlichen Stolperfallen, das grundsätzlich vom Wahnsinn geprägt und vom Irrtum begünstigt ist.

©Alf Glocker

Veröffentlicht / Quelle: 
Auf anderen Webseiten

Interne Verweise

Kommentare

08. Mai 2015

Die Liebe ist (r)eine Himmelsmacht!
(Manchmal - endet sie als Schlacht...)

LG Axel

09. Mai 2015

Einmal Schlachtplatte, bitte, Herr Ober...

:-)))

LG Alf