Es war einmal, wo war’s doch gleich … das Hilfreich

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von Alf Glocker

Es gab einmal ein Reich, das war so reich – so sagten die ganz Reichen und die ganz Armen – daß man es das „Hilfreich“ zu nennen begann. Dieses Reich lag natürlich nicht in der Mitte der Welt, denn da lag schon ein anderes Reich, das allerdings nicht ganz so hilfreich war, aber dort wo es lag, war es zumindest leicht erreichbar. Und so bildete sich die Selbstbedienungs-Erreich-Bar heraus! Wie das kam, beschreibe ich jetzt:

Die Menschen des Hilfreiches betrachteten sich keineswegs als Reichsbürger, doch sie pochten immer eindringlicher auf gerechten Lohn, einen Lohn, mit dem sie seit jeher allen zu helfen versuchten, die bitterarm waren, aber so viele Kinder hatten, daß keinem mehr genug zu essen übrig blieb … und sie wurden trotzdem immer mehr. Als sie so viele waren, daß ihnen die fleißigen Bürger des Hilfreiches auch nicht mehr helfen konnten, lamentierten sie!

„Ihr seid nicht die Bürger des I. Reiches“, skandierten sie, „ihr seid auch nicht Bürger des II. Reiches“, fügten sie hinzu, „ihr erinnert uns aber sehr stark an die Bürger des III. Reiches, denn ihr gebt uns nicht alles was ihr erarbeitet habt, sondern nur einen Teil, den ihr entbehren könnt!“ Da wurden die Bürger des Hilfreiches traurig und sie ermahnten ihre Regierung, sie solle sie besser bezahlen, damit sie mehr abgeben könnten.

Gleichzeitig bekamen sie immer weniger Kinder, um ihren Lebensstandard noch etwas zu verbessern … Da kamen die Regierenden ins Grübeln und sogar ins Verübeln – waren doch die Regierenden und die ganz Reichen aus einem Holz geschnitzt, dessen Köpfe dasselbe dachten: Die Bürger arbeiten nicht genug und sie haben zu hohe Ansprüche! Das konnte nur von ihrem mangelhaften Glauben kommen. Sie glaubten niemandem mehr!

Vorsichtig sahen sie sich nach neuen Bürgern um, deren Glaube für gute Dienste an der Obrigkeit ausreichen würde, oder nach Bürgern, die es gewohnt waren, mit dem Wenigsten auszukommen. Und so gingen sie ans Werk … Langsam, ganz langsam, aber Tröpfchen für Tröpfchen, höhlten sie den Stein der Weisen aus, indem sie die Bürger des Hilfreiches für alles verantwortlich machten, was ihre Vorfahren und die Vorfahren aller anderen Reiche der Welt angestellt hatten. Sie sagten: „Eure Identität ist keinen Pfifferling wert!“

Das glaubten die meisten Bürger des Hilfreiches aber nicht – und inzwischen waren die Völker der anderen, denen ständig geholfen werden musste, so sehr angewachsen, daß irgendwer weg musste. Aber guter Rat war sehr teuer und sollte billiger werden! Wie also konnte eine neue, einfache Bevölkerung herangeschafft und die alte, komplizierte, beseitigt werden? Dazu würde man Geduld und Erfindungsreichtum brauchen.

Erfindungsreichtum, die den Erfindungsreichtum ein für allemal auslöschen sollte, denn die Erfindungsreichen erfanden jeden Tag neue Ansprüche, um in den Genuss von mehr Lebensqualität zu gelangen. Deshalb erfanden die Erfinder einige Mittel, um sich selbst abzuschaffen. Dies geschah auf Anweisung der Regierenden und der Reichen, des Hilfreiches. Doch plötzlich gingen die hilfreichen Bürger auf die Straße und verlangten die Absetzung der Despoten, deren Absicht so langsam durchschaut wurden.

Jetzt musste schnell etwas geschehen! Die raffiniertesten Erfinder unter den Erfinderischen erfanden ein Mittel, mit dessen Hilfe man Ausgangssperren einführen konnte. Und was erschien dafür wohl geeigneter als ein Virus?! Der Virus musste leicht übertragbar und gelegentlich auch tödlich sein. Wie tödlich er war, würde jedoch von der Regierung festgelegt werden können. Gleichzeit strömten riesige Massen von Fremden ins Hilfreich, die ohne die Hilfe der Menschen des Hilfreiches gar nicht erst geboren worden wären …

Und sie verlangten den Lohn für ihre Fruchtbarkeit und für ihren entsetzlichen Glauben, den sie natürlich nicht ablegen, sondern gepflegt haben wollten – womit sie deutlich für alle demonstrierten, wer in Zukunft die Zukunft des Hilfreiches bestimmen würde. Die Rechte der überflüssigen Bürger des Hilfreiches, die sich allesamt als „Nazis“ beschimpft sahen, weil sie ihren Lebensstandard nicht aufgeben wollten, wurden, soweit es der Politik möglich war (und es war ihr weit möglich), drastisch eingeschränkt. Das war ganz einfach!

Denn die Regierenden besaßen jetzt eine Waffe gegen alle, die ihre, vom Gesetz angeblich gewährleisteten, Rechte einfordern wollten … und sie wendeten sie rigoros an. Das konnten sie, denn auch die anderen Reiche, die weniger hilfreich waren als das Hilfreich, pochten darauf, ein Stück vom Kuchen des Hilfreiches abzubekommen, weshalb sie sich in die Erpressung der Verantwortlichen des Hilfreiches sogar einmischten und drohten, sie würden bald mehr als nur die Denkmäler großer Persönlichkeiten des Hilfreiches zerstören.

Da gaben die wirklichen Menschen, also jene, die immer nur vorrangig fleißig und hilfreich gewesen waren, auf. Sie beugten sich dem Sturm der Zeit, in deren Wirren das Hilfreich versank, wie ein Schiffchen im brodelnden Ozean! Von nun an gab es kein Hilfreich mehr, die Menschen waren alle von geheimnisvollen Strahlen gesteuert, die teils von Satelliten, teils von Sendemasten, auf die neue Bevölkerung losgelassen wurden.

Und da jeder neue Bürger nicht nur einen furchtbaren Glauben hatte, sondern auch ein Chip trug und Nanoteilchen im Blut, gelang es den Tyrannen bald alles auszulöschen, was nicht systemkonform parierte, währen die Reichen in ihren Ghettos auf der ganzen Welt feste Feste feierten. Und so drehte sich die Erde glücklich und teilweise auch zufrieden – und wenn sie nicht stehengeblieben ist, dann … allerdings rieb sich eine ganz bestimmte Sorte der Weltbevölkerung lächelnd die Hände – denn die hatte nur zum Schein mitgemacht …

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