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Mit eindringlich düsterer Stimme begann der in flammendem Rot gewandete Hierophant das Ritual, während sich das geknebelte Opfer unter dem gnadenlos eisernen Griff der geringeren Priester auf der Grabplatte des freistehenden Sarkophags wand.
Einst ließ den Steinsarg im 19. Jahrhundert ein mächtiger Gründervater des zweiten Deutschen Reiches, der im Verborgenen als Großmeister des ‚Ordens der Getreuen Baphomets‘ wirkte, dort als ‚Ehrenmahl‘ für die gefallenen ‚Helden‘ des Deutsch-Französischen Krieges aufstellen; eher inoffiziell diente das wuchtige Monument aus edel-stem Mamor seit jener Zeit als Opferstätte.
Mit respektvoll gierigem Schweigen verfolgten die Adepten und geladene Gäste die Zeremonie auf dem uralten Friedhof. Anlässlich der ‚Walpurgisnacht‘ oder der ‚Nacht des Teufels‘ war dem satanischen Chapter Gelsum die außerordentliche Ehre widerfahren, dass ein Großherr des ‚Bundes der schwarzen Rose‘ persönlich die schwarze Messe zelebrierte. Innerhalb der ‚Kirche der Nacht‘ stellten die ‚Schwarzrösler‘ einen exklusiven Zirkel dar, der global agierte und über mächtige Verbindungen verfügte. Diese dunkle Aristokratie ging aus der Vereinigung zahlreicher nationaler Gruppen – wie beispielsweise die erwähnten Jünger Baphomets oder ‚the black order of Belial‘ – im Jahre 1966 hervor.
Mit ungläubigem Staunen betrachtete Jörg Meyer – wie üblich sei dem Leser versichert, dass es sich hier um meine üblichen Spinnereien handelt, die nichts mit wahren Ereignissen oder Personen zutun haben – das Geschehen. Der Skinhead gehörte zu den ausgewählten Besuchern, da er die besondere Gunst Frank Skrozkis, einem der Adepten, genoss. Kennengelernt hatten sich die beiden diabolischen Buddys auf einem Heimatabend der ‚Hel-Jugend‘ in einer angesagten Nazi-Kneipe im heruntergekommen Stadtteil Harst-Süd. Der aus einem bildungsfernen Haushalt stammende Meyerling traf dort regelmäßig schlagfreudige Genossen im Geiste und fiel dem nachwuchswerbenden Satanisten durch seine extreme Gesinnung und seinen vielversprechenden, stämmigen Wuchs auf. Die homoerotischen Avancen Skrozkis mental nicht erfassend, unterhielten sich die neuen ‚Kameraden‘ innig über die wenig glorreichen Taten – Hitler genoss wegen seiner Massenmorde in den niederen Rängen der schwarzen Community einen außergewöhnlich guten Ruf – drittreichiger Schlächter. Frisch verliebt und von den krassen Ansichten seines Objekts der Begierde beeindruckt, lud der Nachwuchswerber den ahnungslosen Skinhead zu einem religiösen Event auf dem Zentralfriedhof ein. Der braune Jörg fand das zwar schon ziemlich schräg, fand sich aber dann trotzdem ein und genoss sogar die blutigen Tieropfer nebst den anschließenden sexuell orgiastischen Ausschweifungen. Mit blutendem Herzen musste der enttäuschte Gastgeber feststellen, dass sich der ersehnte Nazi-Stecher ausschließlich mit dem anderen Geschlecht vergnügte und seine eindeutigen Angebote geflissentlich ignorierte. Von brennendem Verlangen entflammt, missdeutete der frustrierte Galan das Verhalten des so leidenschaftlich Geliebten, der nun wirklich in seiner Ignoranz gar nichts begriff, gründlich und kam zu der recht abwegigen – Liebe macht ja bekanntlich blind – Überzeugung, die vermeintliche Missachtung des wohl-gestalteten Skinheads resultiere aus der Fehlinterpretation seines Ranges innerhalb der infernalischen Hierarchie. Um nun den feschen Neonazi gehörig zu beeindrucken, nahm Skrozki seine geliebte Glatze zu der momentan ablaufenden Veranstaltung mit.
‚Domine Satanas exaudi meam!‘
Der mit einer stilvollen Hockeymaske vermummte Hierophant stieß den bisher erhobenen Flammdolch in die junge Frau auf dem Sarkophag. Während die niederen Priester ihren erbarmungslosen Griff an Armen und Beinen des unbekleideten Opfers weiter verstärkten, vollführte der Hohepriester geschickt einen gewaltigen Schnitt unterhalb des Brustbeins, um der Unglücklichen mit bloßen Händen das Herz herauszureißen und dies noch zuckend dem Publikum triumphierend zu präsentieren.
‚Ave Satanas!‘
Nachdem dem mit begeistert sonorer Stimme getätigten Ausruf des blutbesudelten Mörders kannte der Jubel des Publikums keine Grenzen mehr.
Von der der euphorischen Masse umgeben, war Meyer nahe daran, sich zu übergeben. Bisher hatte ihm der ganze Scheiß mit den ‚Teufelsanbetern‘ förmlich tierische Freude bereitet, aber Menschenopfer waren da eine ganz andere Hausnummer. Dem unbedarften Beobachter ging allmählich auf, dass hier mehr stattfand als einfach nur eine abgefahrene Show. Vielleicht hätte aus dem vermeintlich Stärkeren gegenüber wenig couragierten Jungfaschisten dennoch ein mörderisch nützliches Mitglied der satanischen Gemeinde Gelsums werden können, wenn ihm nicht die soeben so grausam ermordete Frau persönlich bekannt gewesen wäre. Bei der soeben Dahingeschiedenen handelte es sich nämlich um eine gute Freundin seiner älteren Schwester. Die gewaltsam Verblichene behandelte ihn zudem stets freundlich, und der sonst frauenverachtende Neonazi entwickelte intensive, romantische Emotionen ihr gegenüber. Vor allen Dingen das Gefühl, ihm etwas weggenommen zu haben, motivierte des Meyers Jörg dazu, die wenig geliebte Polizei bei der nächsten Gelegenheit über die religiösen Aktivitäten auf dem Zentralfriedhof zu informieren.
Derweil betrachtete der Hierophant wohlwollend die fanatisch jubelnde Gemeinde bis sein Blick ausgerechnet auf Meyer mit brennender Intensität verharrte, der augenblicklich spürte, dass der hohe Priester ihn direkt ansah.
‚Wir haben einen Verräter unter uns!‘
Mit vorwurfsvoll ausgestrecktem Zeigefinger deutete der satanische Großherr auf Jörg den Abtrünnigen. Nun verfügte der nun nicht gerade über gewaltige, intellektuelle Fähigkeiten, aber besaß ausgezeichnete Reflexe und eine gewisse Bauernschläue. Blitzschnell schlug der Skin auf seinen Nebenmann ein, sodass dieser ins Taumeln geriet.
‚Dreckiges Verräterschwein!‘
Meyer deute auf den Angegriffenen und unmittelbar darauf brach der Tumult los. Während der diabolische Mob über den Falschen herfiel, beeilte sich der Neonazi das Getümmel für sich auszunutzen und der Menge zu entkommen.
‚Halt, nicht der!‘
Mit Stentorstimme gebot der Hierophant dem Treiben Einhalt, nachdem er einige Minuten den Anblick genossen hatte. Fast augenblicklich ließ die Menge von ihrem inzwischen bewusstlosen Opfer ab.
‚Der ist es!‘
Inzwischen war die so geistesgegenwärtige Glatze dabei, unauffällig in den Tiefen des Zentralfriedhofs zu verschwinden, hatte sich aber erst gute 10 Meter von der erregten Gemeinde, die ihn nun einhellig anblickte, abgesetzt.
‚Bringt ihn mir lebend!‘
So begann die wilde Jagd.
(…)
Meyer kauerte im Gebüsch hinter der verwitterten Statue eines himmlischen Boten, dessen zerbrochene Flügel über ihm aufragten. Seit geraumer Zeit jagten ihn diese durch-geknallten ‚Teufelsanbeter‘ und er war sicher, die Irren nun abgeschüttelt zu haben. Zu seinem Glück gehörten Schnelligkeit und Kondition nicht zu den Kardinaltugenden seiner Verfolger, sodass der durchtrainierte Skinhead bei seiner Flucht einen nicht zu verachtenden Vorteil besaß. Vorsichtig holte der flotte Jörg sein Smartphone hervor.
‚Hier ist der polizeiliche Notruf!‘
‚Die haben hier jemanden umgebracht …‘
‚Hallo? Ich verstehe Sie nicht!‘
Der Flüsterer beschloss, das Risiko einzugehen und lauter zu sprechen.
‚Ich will einen Mord melden, die haben hier eine Frau umgebracht!‘
‚Beruhigen Sie sich! Wo befinden Sie sich denn?‘
‚Auf dem Zentralfriedhof, in der Nähe des Nordausgangs! Die sind hinter mir her,
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Ich brauche gar kein Halloween -
Frau Krause gibt die Ganzjahrs-Queen ...
LG Axel
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