Ein Sonntagskind des Friedens - Page 2

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von Hanna Conrad-Peters

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ein Eis am Stiel war.
Eine Polizistin, die uns gesichtet hat, hat uns an die Hand genommen und nach Hause gebracht, wo sich unsere Eltern schon wahnsinnige Sorgen gemacht haben.
Ich wusste nicht, warum.
Da solche Abenteuer ausgeschlossen werden mussten, hat mich mein Vaterlein (so nannten wir ihn immer, nicht Papa oder Papi) mit der Aufforderung, so etwas nie wieder zu tun,
über sein Knie gelegt und auf mein Po geklatscht.
Ich, voll Unverständnis, habe gleichzeitig ohne schlechtes Gewissen mit meinem dicken Kalk-Sand Finger dicke Striche auf seine Hose geschmiert.

Entsetzen über Gewalt

Wir wohnten im 3. Stock eines Jugendstil Hauses und durften nicht mit den Kindern auf dem Hinterhof des Hauses spielen. Wir waren zu klein und es war dort zu gefährlich, sagten unsere Eltern.
Abgesehen davon war der Hinterhof wirklich nicht schön und durch oft überlaufende, übel riechende Mülltonnen geprägt.
Eine Etage tiefer wohnte eine alte Dame, Oma Herde mit ihrer Tochter. Manchmal dürfte ich die Beiden besuchen. Die Tochter spielte Klavier, was mich immer mit großer Ehrfurcht erfüllt hat.
Bei Oma Herde gab es Tee aus kleinen, flachen Schalen zum trinken, dazu Preiselbeeren und Kekse. So was vergiss man nicht!
Es war eine unruhige Zeit.
Szczecin (Stettin) war damals eine aus vielen verschiedenen Menschen zusammengesetzte Stadt, bestand aus freiwilligen und unfreiwilligen Umsiedler.
Es gab kriminelle Banden.
Im Souterrain am Haustor-Eingang befand sich ein Eisladen.
Der Eismann war, was ich erst später erfahren habe, ein Deutsch-Jude.
Er war immer sehr nett und aus der Eisdiele roch es bis an die Straße nach Sahne und Vanille.
Sein rechtes Bein war zu kurz, er trug einen Schuh mit eine ca. 20 cm dicken Sohle und humpelte.
Ich wurde an einem späten Abend durch Schreie geweckt und habe durch das Fenster im dritten Stock mitbekommen, wie der Eismann aus seinem Laden raus geholt und verprügelt wurde.
Ich erlitt einen Schock, zitterte ganz schrecklich, es war meine erste Konfrontation mit der Gewalt.
Dabei wuchs ich in dem Glauben auf, dass alle Menschen die älter als ich sind, geehrt werden sollen, dass nicht das Aussehen und die Herkunft zählen, sondern allein der Charakter.
Wir hatten ein schönes zu Hause, waren im katholischen Glauben mit der Beachtung der 10 Gebote, welche als Gewissen zusammen gefasst wurden, aufgewachsen.
Die Religion war aber nicht mit Zwang verbunden und war nicht lästig. Die Worte selbst, Glaube und Religion sind so gut wie nie gefallen.
Bescheidenheit und Rücksichtnahme waren die wichtigsten Regeln.
Unsere Munia (Abkürzung von Mamunia, wörtlich übersetzt: Mamachen) war ein wahrer Engel.
Unsere Eltern verlangten nichts, was sie uns nicht vorgelebt hätten.
Wir haben schon als Kleinkinder abends, vor dem Einschlafen ein Tagesrückblick durchgeführt, überlegt, welche Taten gut und welche böse waren.
Der Weihnachtsmann, genau übersetzt der Sternenmann, hat doch alles in einem dicken Buch notiert.
Dann haben wir um die ständige Begleitung durch unseren Schutzengel und um die Gesundheit für die ganze Familie gebetet.
Es war ein Ritual!
Das Gebet :
„Gottes Engel, mein Wächter, stehe mir immer bei:
Am Morgen, abends, am Tage und nachts.
Sei mir immer behilflich, beschütze mich
und führe mich zum ewigen Leben. Amen.“
Und weiter:
„,..Herr Jesu, ich bitte Dich um die Gesundheit für Oma, Opa, Vaterlein, Munia, Geschwistern …“
Jeden Sonntag gingen wir mit den Eltern ganz selbstverständlich in die Kirche.
Mit sechs Jahren begann für mich der Katechismus Unterricht an der Kirche.
Ich habe dort viele spannende Geschichten gehört, die es später in der Kirche nicht mehr zu hören gab.
Die Geschichten über die Aufgaben der Engel, über den Himmel, die Höhle und die Zwischenwelt, die der Reinigung der Seelen dienen soll.
Die Heilige Messe wurde damals in Latein abgehalten, der Priester stand mit dem Rücken zu den Menschen. Die Gebete wurden oft gesungen.
Das Ganze war mystisch und feierlich. Der Gesang der Menschen war stark und laut, ging unter die Haut.
Mit Gewalt hatten wir nichts zu tun...

Ferien bei den Großeltern

Ich durfte jedes Jahr einen Sommermonat bei meinen Großeltern in Poznan (Posen) verbringen.
Es war immer eine spannende Zeit, obwohl die Großeltern gar nicht so viel mit mir unternommen haben.
Mein Onkel war dort Organist.
Ich durfte in der großen Kirche während der Heilligen Messe neben meinem Onkel auf der Bank sitzen, bis ich einmal während der Heilligen-Kommunion Stille ganz plötzlich auf die Tretpedale der Orgel abgerutscht bin.
Ein Donnerschlag wäre nichts dagegen.
Die armen Kirchenbesucher...
Ab dann musste ich auf einem Stuhl der Chor-Empore sitzen und schaute mir alles von oben an.
Ich sah unten die vielen Frauen bekleidet mit Hüten und bunten Kopftüchern und träumte, welche schönen Sachen ich daraus für meine selbstgemachten Puppen nähen könnte...
Die Möbel für meine Puppen, Schränke, Kommoden und Schreibtische habe ich aus Zigaretten- und Streichholzschachteln selbst gebaut.
Konsum war nicht meine Sache.
Ich weigerte mich beständig mit meiner Tante, die mir unbedingt eine rote Tasche und dazu passende rote Baskenmütze kaufen wollte, in das Zentrum der Stadt zu fahren…
Lieber habe ich die Zeit mit meinen drei Jahre älteren Cousin in dem nicht weit entfernten Wäldchen, genannt „ der Schießplatz“, Weinbergschnecken gesammelt.
Wir haben in die Mitte Omas Wohnzimmertisches einen Nagel mit einem daran befestigten langen Faden zum Messen der Entfernung geschlagen, die Schnecken mit den Namen der berühmtesten Radrennfahrer versehen und an den Nagel gesetzt.
Die Schnecke, die innerhalb von 10 Minuten am weitesten gekommen ist, wurde gefeiert.
Spaß gemacht hat es auch, den Hund meines Cousins mit dem von Oma selbst eingelegten Sauerkraut zu füttern. Der Hund war verrückt danach!
Mein Großvater besaß einen Friseursalon, der mit der Wohnung durch eine Zwischentür und kleine Treppe verbunden war.
Abends, wenn alle weg waren, durfte ich dort meinen Großvater besuchen.
Es roch dort gut nach Kölnisch Wasser und manchmal schlecht nach Dauerwelle oder nach durch eine Lockenschere angebranntem Haar.
Er hat dann meistens die Rasiermesser geschärft, fragte mich, wie ich den Tag verbrachte und gab mir Taschengeld, immer mit der Bemerkung, ich soll dafür einen Bleistiftanspitzer kaufen...
So viele Anspitzer konnte ich aber nicht brauchen.
Ich bin also losgegangen, um mir lieber einen fließenden Harzer-Käse zu kaufen, den ich viel lieber als die großen, roten, runden, durchsichtigen Lollis aus Zucker mochte.
Der Kaufmann wurde allgemein „Bobel“ genannt.
Ich bin also hingegangen und begrüßte ihn freundlich, wie man es mir beigebracht hat:
„Guten Tag, Herr Bobel ! “.
Er hat sofort angefangen zu schimpfen!
Ich wusste nicht, dass „Bobel“ sein Spitzname war, welcher durch sein ständiges Bohren in der Nase entstanden war!
Meiner Großmutter war die Geschichte ziemlich unangenehmen.
Mein Großvater ist nur einmal aus der Haut gefahren und mich zusammengestaucht.
Ich wollte am Sonntag für den Kirchgang unbedingt Großmutters schwarze Lack-Sandalleen mit ziemlich hohen Absätzen anziehen.
Es hat mich überhaupt nicht gestört, dass diese um drei Nummern zu groß waren und konnte nicht begreifen, was die Großeltern dagegen hatten.
Es gab riesen Krach und ich habe verloren...

Es gibt noch vieles zu berichten…

Das geplante Buch soll mit schwarz-weiß Fotos aus der entsprechender Zeit versehen werden.
Darf über eine glückliche Kindheit berichtet werden?
Bringt eine schwere Kindheit Vorteile?

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