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Grillen zirpten. Durch die Büsche erkannte Atsushi Kaji und Hinako, die eng beisammen saßen. Der Hauptmann wollte sich gerade etwas entspannen, als er plötzlich das unfassbare hörte und sah.
„Es tut mir leid, dass ich den Fürsten mit meiner dummen Frage beleidigt habe“, flüsterte Hinako sanft.
„Das ist doch kein Problem.“
Atsushi zog wütend sein Katana. Er beobachtete hilflos wie Hinako seinen Gefolgsmann zärtlich auf den Mund küsste. Für ihn war die Situation klar. Wie konnte eine dumme junge Gans den heiligen Fürsten beleidigen ohne von einem dabei sitzenden Samurai bestraft zu werden. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war der Kuss und der Blick von Kaji. Zu sanft, zu liebevoll, zu ängstlich und zu unentschlossen. Atsushi stürmte aus seinem Versteck.
„Du dummes Weib!“, schrie er mit gehobenen Katana.
Hinako war so perplex, dass sie sich nicht mehr regen konnte, aber Kaji zog sein Katana und wehrte den Angriff geschickt ab. Sofort stürmten die anderen Samurai mit der Herrin des Hauses in den Garten und betrachteten fassungslos das Szenario. Atsushi steckte sein Katana wieder ein und betrachtete Kaji enttäuscht.
„Wie konntest du das nur zulassen? Warum hast du Bushidô für dieses junge Ding verlassen?“ Atsushi konnte es nicht begreifen.
Kaji wurde sich erst jetzt der Situation bewusst. Er war nicht mehr einer von ihnen...er war ausgestoßen ohne, dass es einer gesagt hatte. Die Herrin von Hinako packte ihre Geisha fest am Handgelenk und gab ihr eine schallende Ohrfeige.
„Du dummes Ding! Wie konntest du nur? Du bringst Schande in mein Haus. Weg mit dir! Ich will dich hier nie wieder sehen!“
Hinako sank mit schmerzender Hand weinend auf den Boden zu Füßen von Atsushi, der sie verächtlich betrachtete. Kaji band sich sein Daishô von der Hüfte und kniete sich zu seiner jungen Liebe. Wie ein jämmerlicher Haufen saßen sie zusammengekauert in Mitten der stolzen Samurai von denen sie hämisch oder mitleidig betrachtet wurden.
Kaji wurde aus dem Clan ausgestoßen. Der Fürst war sehr erzürnt gewesen, als man ihm das Geschehnis vortrug. An seinem letzten Tag als Samurai trat Kaji vor Fürst Tsunashige und berührte mit seiner Stirn den kalten Steinboden zu Füßen des Fürsten.
„Ich bin sehr enttäuscht von dir Kaji. Du warst mir immer eine getreuer Gefolgsmann und hättest es noch weit bringen können, doch warst du anscheinend noch nicht genug in deinem Verstand gefestigt, sodass ein junges Mädchen reicht um dich aus der Fassung zu bringen. Im Gegensatz zu dir lasse ich es nicht zu, dass man ungestraft meinen Großvater und damit auch mich beleidigt. Deshalb wird Hinako hingerichtet. Sie sitzt bereits im Gefängnis wie du sicher schon weißt. Du wünscht dir nichts sehnlicher als den Tod, deshalb lasse ich dich am Leben, denn dies wird Strafe genug für dich sein. Nun leg dein Daishô ab und trete aus meinen Augen.“
Gedemütigt legte Kaji sein Schwerterpaar auf den Steinboden und wandte sich zum Gehen, als die Stimme des Fürsten sich zum letzten Mal erhob: „Dein Vater lässt ausrichten, dass du nicht länger in seine Familie gehörst.“ Kaji krümmte sich unnatürlich, weil die Enttäuschung von Fürst und Vater unerträglich waren. „Nun verschwinde aus Saga.“
Kaji stolperte mit Magenkrämpfen und zitternd durch die Straßen. Er war zu traurig um weinen zu können, er war zu erschöpft um sich aufbäumen zu können. Seine Sehnsucht nach Hinako fraß ihn auf und machte ihn verrückt, seine Trauer über die Enttäuschung der wichtigsten Männer in seinem Leben nahm ihn die Luft zum Atmen. Kaji erreichte sein Haus und stellte fest, dass seine Frau und Shonsuke auf dem Markt waren. Kaji schwankte in sein Schlafzimmer um unter dem Bett eine Kiste herauszuholen. Dort lag das Wakizashi seines alten Fürsten Mitsushige. Ein Geschenk für Kajis Treue.
„Kaji?“, ertönte plötzlich eine weibliche Stimme.
„Aki, ich bin hier oben. Komm bitte mit Shonsuke her“, forderte Kaji mit schwacher Stimme.
Aki war sehr besorgt, weil sie sofort fühlte, dass etwas nicht stimmte. Shonsuke stolperte von alleine die Treppe zum Schlafraum hoch. Was er dort vorfand brach ihm das Herz. Der Mann, der immer sein Vorbild voller Stärke und Stolz war, stand nun zitternd in dem Raum und drohte jeden Moment zusammenzubrechen. Aki hielt im Türrahmen. Sich einen Aufschrei unterdrückend stürzte sie zu ihrem Mann, der sie von sich stieß.
„Kaji! Um Himmels willen was ist mit dir?“
„Ich bin verstoßen worden, weil ich Bushidô wegen einer Geisha verlassen habe und zuließ, dass diese Geisha den Fürsten beleidigte. Ich kann so entwürdigt nicht leben!“
Aki stand gefasst in dem Raum. Ihr Mann will sich wegen einer anderen Frau töten, er will sich töten damit er wieder mit ihr in der anderen Welt beisammen sein kann, er will wieder akzeptiert werden.
„Willst du seppuku begehen? Warum machst du das nicht in der Öffentlichkeit?“
„Weil es die Öffentlichkeit nichts angeht!“, schrie Kaji wahnsinnig.
Aki merkte, dass Kaji durchgedreht war, doch sie griff zu spät nach Shonsuke, der sich plötzlich in den Armen seines Vaters wiederfand.
„Ich will, dass Shosnuke nicht mit mir bricht, wie ich es mit meinen Vater getan habe! Ich will, dass er sich an mich erinnert!“
„Kaji! Nicht!“, kreischte Aki verzweifelt, doch Kaji schlitzte sich mit einem Ruck den Bauch auf und tränkte den stillen Shonsuke mit dem Blut. Der fünfjährige Lehrling verharrte ruhig in dem Blut seines Vaters.
Hinako hörte von dem Selbstmord Kajis, als die Wachleute darüber redeten. Es wunderte sie, dass sie nicht in Tränen ausbrach, aber, dass Kaji auf sie in der anderen Welt wartete, tröstete die ehemalige Geisha. Hinako saß auf dem kühlen Boden und starrte aus dem vergitterten Fenster, als sich eine Kirschbaumblüte zwischen die Eisenstäbe segelte um vor ihren Füßen zu landen. Gleichzeitig wurde die Tür aufgeschlossen. Ein Wachmann zog Hinako an ihren langen Haare auf die Beine, riss ihr den Kimono vom Leib und stieß sie nackt quer durch das Gefängnis. Die anderen Wachmänner und Gefangenen lachten hämisch. Hinako brannten Tränen in den Augen. Warum musste das alles nur passieren. War es eine Bestrafung von ihrer Mutter aus dem Jenseits? Der Wachmann hielt vor einem Fass in dem eisig kaltes Wasser über den Rand schwappte. Hinako spürte, als das Wasser ihr Gesicht wie tausend feine Nadeln durchbohrte, dass es nun soweit war zu gehen. Die Prügelorgien ließ sie schon ohne jegliche Reaktionen über sich ergehen...von den täglichen Vergewaltigungen ganz zu schweigen.
Als die Sonne den Himmel blutrot färbte, wollte ein weiterer Wachmann Hinako zum Hinrichtungsplatz bringen, doch als er ihre Zelle aufschloss fand er nur eine Kirschbaumblüte, die unter zwei Füßen auf dem Boden lag. Der Wachmann hob den Blick und sah Hinako, die sich mit ihrem Kimono erhängt hatte.
Aki ordnete an, dass die beiden Leichen gemeinsam verbrannt werden sollten. Sie hatte ihren Mann aufrichtig geliebt und wollte die beiden Geister in der anderen Welt zusammenbringen. Shonsuke stand mit seinem Daishô neben seiner Mutter, als diese, wie jedes Jahr die Verbrennungsstätte besuchte um die Geister der Geisha und des Samurais zu beruhigen. Es blühte neben dem Grab ein Kirschbaum und die Blütenblätter segelten immer wieder auf den Boden. Shonsuke kniete sich vor dem Grab hin und schwor seinem Vater ein besserer Samurai zu werden, während Aki sich schon umgedreht hatte und zu ihrem neuen Mann, der ihre Liebe erwiderte, zurückkehrte. Auf die Frage, warum sie so gefasst mit ihrem Schicksal umging, antwortete sie, dass die Liebe eines Samurai selbst das Vergangene überdauerte und es nichts nütze sich dagegen zu stellen...
©Giulia Strek/ 2009