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gab. Er wollte direkt anfangen zu essen und dabei in seinem Lieblingsbuch lesen, doch Samuels Worte ließen ihm keine Ruhe. Normalerweise hätte er das alles als Schwachsinn abgetan, aber wo war Martin gewesen? Martin war tot, wie hatte er davon nichts mitbekommen können? Es hatte in den ganzen Jahren Fälle gegeben bei denen Leute durch Maschinen getötet wurden, aber daran konnte er sich ja erinnern und das mit Martin, war gestern? Heute war er nicht mehr da und gestern hatte er sich verabschiedet. Irgendwie machte das alles keinen Sinn.
Er wollte seine Gedanken notieren, aber ihm fiel auf, dass es gar keinen Stift gab. Es gab auch keine Möglichkeit einen Stift zu kaufen. Im Automaten gab es keine. Seit 25 Jahren hatte er nicht geschrieben, es gab gar keine Möglichkeit sich irgendetwas zu notieren.
Irgendwie zementierte diese Einsicht seine paranoiden Gedanken, also begann er wieder in seinem Buch zu lesen und dann kam ein weiterer Gedanke hinzu. Er wurde sicher beobachtet. Natürlich wurde er beobachtet. Langsam aß er und las in dem Buch, knabberte etwas an seinem Fingernagel und drückte über Buchstaben, die er aneinanderreihen wollte, mit dem Nagel auf das Papier, markierte so Zeichen, die zu Wörtern und Sätzen werden würden, würde man sie aneinanderreihen – vor vielen, vielen Jahren hatte er so ab und zu „geheime“ Botschaften versendet. Als er merkte, dass er müde wurde, legte er das Büchlein anders hin als sonst. John wusste, dass es ihn verwirren würde. Er legte es achtlos auf den Boden, das Tablett zur Seite und schlief ein.
„John! Aufwachen! Dein letzter Tag, gib nochmal alles! Dein letzter Tag!“, tönte es aus dem Lautsprecher und John wachte auf. Er war verwirrt.
Gestern hatte er das Buch doch wie immer auf den Nachtschrank und nicht auf den Boden gelegt?
Er sah es sich an und ihm fielen direkt ein paar der Druckstellen auf, während er draußen schon hörte wie die anderen ihre Zimmertüren öffneten.
In kürzester Zeit bemerkte er, dass es Markierungen waren und er reihte die Buchstaben im Kopf aneinander. Dort stand, dass alles falsch war, dass dies nicht der letzte Tag war, sondern alles wiederholt wurde, seit Jahren. Martin wäre tot. Martin war doch nicht tot? Er hatte ihn doch gestern noch gesehen. Verwirrt legte er das Buch zur Seite und ging nach draußen, ging schnell den anderen hinterher. Durch den Fahrstuhl nach unten in den Vorraum – Martin war nicht da.
John zog sich eine Schachtel E&B-Zigaretten aus dem Automaten, während Trevor sich noch ein Tittenheft raussuchte. „Wo ist Martin? Hast du ihn gesehen?“, fragte John Trevor, doch dieser schüttelte nur den Kopf. „Der letzte Tag und Martin ist krank? Ja gut.“ Er zog die Augenbrauen hoch.
Vielleicht wusste Samuel mehr, vielleicht war Martin irgendwie vorgegangen, auch wenn das John nicht wirklich glaubte.
Er durchschritt den gläsernen Gang und sah zu Samuel. „Weißt du, wo Martin abgeblieben ist?“ Samuel starrte John an. Für einen Moment schien die Luft zum Zerschneiden dick zu sein.
„Kannst du dich erinnern?“ „Was?“ „Später.“ John nickte. Samuel notierte, dass John pünktlich erschienen war und dieser schritt durch die Tür in die große Halle, machte sich an die Arbeit.
Nach dem Mittagessen ging er raus und rauchte, Samuel stand schon dort. „Was ist mit Martin?“, fragte John. Samuel zog ihn am Arm und stellte sich etwas abseits auf.
„Du kannst dich erinnern?“ „Wie meinst du?“ „Wieso hast du mich angesprochen?“ „In meinem Buch waren Markierungen, ich weiß nicht woher und diese... Martin wäre tot und dass alles eine Lüge wäre. Dass der letzte Tag immer wiederholt würde.“ „Es stimmt. Alles ist eine Farce. Du hast dir das wahrscheinlich selbst notiert, gestern. Es stimmt. Es stimmt.“ „Aber...“ „Es gibt keinen letzten Tag, alles was dort steht stimmt. Später wird es Essen geben, wir werden müde werden und dann einschlafen und wieder glauben, dass es der letzte Tag wäre.“ John ging alles durch. „Ich brauche mehr Zeit, ich muss das früher verstehen.“ „Wenn es deine Handschrift ist, dann glaubst du es eher.“ „Aber womit soll ich schreiben? Ich habe keinen Stift, es gibt keine Stifte.“ „Ich habe welche.“
John wurde klar, dass Samuel alles verstehen konnte, er hatte durch seine Arbeit als einziger die Möglichkeit an Stifte zu kommen, da er die Arbeiter und ihr Erscheinen notieren musste. „Morgen gebe ich dir einen.“ Die Sprechanlage ertönte.
Der Rest des Tages verlief gleich.
„John! Aufwachen! Dein letzter Tag, gib nochmal alles! Dein letzter Tag!“, tönte es aus dem Lautsprecher und John wachte auf. Er war verwirrt; gestern hatte er das Buch doch auf den Nachtschrank und nicht auf den Boden gelegt? Wieder las er die Markierungen und fragte sich, was es bedeutete.
Draußen konnte er Martin nicht sehen und er fragte Trevor, ob er Bescheid wüsste, aber dieser verneinte. Samuel wüsste sicher mehr.
„Weißt du, wo Martin abgeblieben ist?“ „Später reden wir. Du musst rein.“ John nickte. Samuel notierte, dass John pünktlich erschienen war und dieser schritt durch die Tür in die große Halle, machte sich an die Arbeit.
Auf dem Balkon gingen sie wieder alles durch. Samuel erklärte ihm alles noch einmal und gab ihm dann den Stift. „Damit sollte es besser funktionieren.“
Nach der Schicht mit dem Tablett oben im Zimmer, notierte er verdeckt alles in dem Buch und positionierte es so, dass er wieder darauf achten würde. Er würde mehr Zeit bekommen. Gleichzeitig notierte er auch die Anzahl der Tage, die er es schon wusste. Er versteckte den Stift, klemmte ihn möglichst unauffällig unter das Bett und aß den letzten Rest auf.
„John! Aufwachen! Dein letzter Tag, gib nochmal alles! Dein letzter Tag!“, tönte es aus dem Lautsprecher und John wachte auf. Sein Text klärte ihn auf, aber er war verwirrt, dass [das] war seine Schrift, gestern war noch alles normal gewesen und plötzlich so etwas? Ein übler Scherz? Dort wurde alles erklärt, was passierte, wie er schreiben konnte, worauf er achte müsste.
„Ich weiß es“, sagte er zu Samuel. „Später.“ John nickte und wartete ab, bis es Mittagszeit war, um auf dem Balkon mit Samuel zu reden. Sie diskutierten leise darüber, während sie rauchten, wussten, dass sie nicht viel Zeit hatten.
„Wir müssen es den anderen sagen, wir müssen etwas tun.“ „Nein“, sagte Samuel und schüttelte den Kopf. „Daran darfst du nicht denken.“ „Ich werde es den Leuten sagen.“ „Du kannst das nicht tun, du weißt nicht, was sie mit uns machen werden.“ „Was willst du dann tun?“ „Es wird eine Chance geben, wir müssen nur warten. Ich hätte es dir nicht erzählen dürfen. Bisher hatte ich es immer wieder erzählt und die Leute haben es einfach vergessen, aber du... du hast es nicht vergessen, ich hätte es dir nicht sagen dürfen!“ „Ich werde Trevor reden, dann mit den anderen.“ John wandte sich von Samuel ab. „Du kannst nicht. Das kannst du nicht tun.“ „Ich muss“, sagte John und ging schon auf Trevor zu, als er nur einen Augenblick später einen dumpfen Aufprall hörte.
„Pause vorbei. Letzter Tag. Noch einmal alles geben!“, tönte es aus den Sprechanlagen, während John sah, dass Samuel unten auf dem Boden aufgeschlagen und tot war. „Was ist los?“, fragte Trevor, der erst jetzt von seinem Heft aufgeblickt hatte. Tod. Samuel hatte sich einfach umgebracht, einfach alles beendet, in einem Moment hatte sich alles geändert. Was konnte er jetzt tun? Welche Möglichkeiten hatte er noch?
Perplex ging John einfach rein. Samuel hatte einfach aufgehört, war gegangen, so groß war seine Angst gewesen.
Jetzt war sowieso alles sinnlos und die Angst war egal.
Seine Schicht verstrich und er nahm das Tablett mit hoch auf das Zimmer, aber aß es nicht. Er schrieb die ganze Nacht und schlief nicht ein. Sollten sie doch kommen und ihn fertigmachen; was sollten sie tun, das schlimmer war als das hier?
Stundenlang wartete er, stundenlang zersetzten ihn die Gedanken, die Möglichkeiten... und dann fiel ihm etwas auf: Wenn jeder Tag so ablief und er hatte den genauen Ablauf ganz konkret notiert, wie kam das Tablett dann weg? Morgens war hier keines.
Er starrte in die leere Dunkelheit und wartete und wartete, als sich schließlich die Tür sich öffnete und ein Mann hereintrat, das Tablett aufsammelte. Ein Mensch? Jemand aus dem System. Jemand der diese Struktur vertrat. Diese ganze Farce hatte sich gerade manifestiert. Eine Gänsehaut durchzog John; er musste etwas tun. „Guten Morgen“, brachte John hervor. Das würde sie irritieren; sie würden spüren, dass etwas falsch lief. „Guten Morgen“, gab der Mann trocken zurück und verließ das Zimmer wieder.
Das war alles? Würde er gemeldet werden? Was war gerade passiert? Was war passiert?
Er würde gleich gemeldet werden, da war er sich sicher. Sie würden ihn abholen und töten. Stundenlang zermarterte er sich den Kopf; wartete ängstlich, doch nichts passierte, bis die Sprechanlage wieder anging. „John! Aufwachen! Dein letzter Tag, gib nochmal alles! Dein letzter Tag!“ Er lachte und hörte wie die anderen sich anzogen und zur Arbeit gingen. Er trödelte. War doch egal. War alles egal. Alles egal.
Er nahm das Buch und schlenderte lesend zum Fahrstuhl. Gleich würden sie ihn holen – davon war er überzeugt – doch nichts passierte. Im Vorraum zog er sich Zigaretten und ging zum Pförtner. Ein neuer?
„Ich weiß Bescheid“, sagte John ihm ins Gesicht, erwartete eine Reaktion, dass sich alles verändern würde, Schlag auf Schlag.
„Zu spät. Ich muss das eintragen.“ John lachte ein heiseres Lachen. „Ich weiß Bescheid.“ „Gut, gut, dann mal an die Arbeit.“ Verdattert wartete John einen Moment, dann ging er zur Maschine und ließ seine Gedanken schweifen. Was waren seine Möglichkeiten? Er könnte etwas zerstören, es allen erzählen und... er konnte eigentlich gar nichts machen. Er zog ein wenig an der Apparatur, schlug darauf ein; aber es änderte sich nichts, so würde es nicht kaputt gehen. Er könnte es Leuten erzählen, aber sie würden genauso unfähig sein, es gab gar keine Möglichkeit im Moment. Samuel hatte sich nicht ohne Grund umgebracht. Sein letzter Tag.
Er wollte ihn gut verbringen und las bis zur Mittagszeit in dem Buch; er las es fertig, es war ja nicht lang. Einfach seinen wirklich letzten Tag irgendwie genießen.
Dann ging er nach draußen und wollte sich auf das Geländer stellen. Samuel war entfernt worden, nichts zeugte mehr von ihm. Er wollte auf das Geländer steigen, aber das konnte er nicht; er konnte es einfach nicht tun. Er konnte nicht springen.
Dann überlegte er.
Die Hoffnung, die er sonst immer gehabt haben müsste, die Hoffnung, die wohl jeden Morgen geweckt worden war. Der erste Moment, als er aufgestanden war und noch nicht in dem Buch gelesen hatte.
Er warf das Buch über das Geländer, sah zu wie es so klein wurde, dass er es nicht mehr erkennen konnte.
Das Essen am Abend schmeckte nach Hoffnung.
„John! Aufwachen! Dein letzter Tag, gib nochmal alles! Dein letzter Tag!“, tönte es aus dem Lautsprecher und John wachte auf.