Fernand Muller-Hornick
38, Montée Willy Goergen
L-7322 Steinsel
Mama hat schon wieder gewonnen, und zwar einen Mikrowellenherd. Vor drei Wochen gewann sie einen Taschenrechner. Nun braucht niemand mehr von uns im Kopf auszurechnen. Aber ich darf meinen Taschenrechner nicht benutzen, weil das im Kopf ausrechnen viel wichtiger ist, sagt Papa.
Den Mikrowellenherd können wir gut gebrauchen. Seit Mama an sämtlichen Preisauschreiben teilnimmt, kocht sie nur noch ganz selten. Papa geht jeden Tag in die Kantine, und ich mache mir meistens ein Brot mit Wurst oder Nutella. Manchmal wünsche ich mir, Mama würde nicht jedes Preisausschreiben lösen. Und ich wünsche mir, sie wäre nicht so besessen darauf, immer zu gewinnen. Obwohl wir den Casettenrecorder, den Ministaubsauger und den Zweitfernseher gut gebrauchen können. Die Rheumadecke ist nutzlos, weil niemand von uns Rheuma hat. Den silbernen Kerzenstände haben wir Oma Irmchen geschenkt; Papa findet ihn kitschig, und echt Silber ist er auch nicht.
Mama hat ungemein Glück. Schickt sie eine Karte ein, hat sie bereits gewonnen.
“Du bist ein richtiger Glücksengel”, sagt Papa und ist stolz auf Mama.
Am Anfang hat Papa über die vielen Illustrierten gemeckert, die Mama jeden Tag kaufte.
Aber seit sie gewinnt, sagt er nichts mehr und hilft der Mama sogar. Wenn sie beim Radiogewinnspiel “Wer ist die Klügste im Land?” mitmacht, sitzt Papa neben der Mama und hilft ihr. Wird zum Beispiel gefragt:”Wie viele Bananen wurden letztes Jahr in Kolumbien geerntet?”, blättert Papa schnell in einem der vielen Zeitungsartikel nach. Papa sammelt alle Zeitungsartikel, die irgendwie interessant und nützlich sein könnten. Papa hat hundertdreiundvierzig Aktenordner. Die sind alle nach bestimmten Themen geordnet. Zum Besispiel Bananen., Afrika, Südsee, Bierkonsum in Hawai, berühmte Fernsehstars. Findet Papa nicht sofort die richtige Antwort, fängt Mama an zu zittern und wird nervös -1-.
Früher hat Mama nie an einem Preisausschreiben teilgenommen. Aber dann hat sie aus Spasss ein Kreuzworträtsel gelöst, eingeschickt, und fünf Schallplatten von Julio Iglesias gewonnen. Seit dem Tag ist er Mamas Lieblingsänger. Dann hat Mama erneut an einem Preisausschreiben teilgenommen und wieder gewonnen. Diesmal war es ein Staubsauger. Seit dem Tag hat Mama jedes Preisausschreiben eingeschickt. Beinahe hätten wir einmal ein Haus gewonnen, aber dann wurde es bloss der zweite Preis: eine Videokamera. Darüber war Mama sehr traurig, weil wir bereits zwei Kameras haben. Papa hat gemeint, wir sollten sie verkaufen, aber dagegen hat sich Mama gewehrt, weil sie ja die Videokamera gewonnen hatte. Neulich haben wir uns gegenseitig gefilmt. Der Papa hat die Mama gefilmt, wie sie ihn filmte, und ich habe die Mama gefilmt, wie sie mich filmte.
Und dann hat die Mama an einem Radiogewinnspiel mitgemacht. Deutete der Sprecher an, mit dem Apparat könne man etwas Rundes formen, wusste Mama sofort: “Eine Brötchenformmaschine”. Fragte der Moderator:”Sind Sie daheim, können Sie auf die Sonne verzichten”, rief Mama sofort an und sagte: “Eine Heimsonne!”
Nun haben wir eine Brötchenformmaschine, zwei Heimsonnen, drei Mikrowellenherde, sechs Rasierapparate, drei Staubsauger, vier Entsafter, zwei Stereoanlagen und acht Transistorradios. Das Schlimmste war immer, dass Mama drei Wochen nicht mitspielen durfte, wenn sie gewonnen hatte. Dann war sie stets nervös und grantig und hat dauernd Kreuzworträtsel gelöst. Das Ergebnis bezeichnet eine bekannte Fernsehsendung im ZDF. Oder: die Anfangsbuchstaben nennen einen berühmten Sänger.
Die Nachbarn bewunderten Mama sehr, weil sie so schlau ist. Dabei hatte Mama immer bloss Glück. Hätte Papa ihr nicht so viel geholfen, wäre sie auch gar nicht so schlau gewesen. Aber nach und nach hat die Mama gemeint, sie sei wirklich so super schlau.
Und dann ist die Katastrophe passiert. Mama hat am Ratespiel: “Ein Tag wie kein anderer” teilgenommen. Damals ging es um die Fidschi-Inseln. Papa hat der Mama sechs Nachschlagewerke und einen grossen Atlas in die Stube neben das Radio gestellt. Er musste nämlich zur Arbeit, und ich in die Schule.
Was genau passiert ist, wissen wir nicht. Jedenfalls hat Mama wieder einmal gewonnen.
Als Papa nach Hause kam, ist Mama nackt durch die Küche getanzt und hat “Hula Hula
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Hujabeia” gesungen.
“Was ist denn mit dir los?”, hat Papa gefragt. Aber die Mama hat bloss “Aloa he” gesagt und dem Papa einen Blumenkranz um den Hals gehängt.
“Nun reicht es aber”, hat Papa geschimpft. “Ich bin doch kein Hula Hula Boy”, und hat den Blumenkranz in den Mülleimer geschmissen.
“Wo hast du überhaupt die Blumen her?”, wollte Papa wissen, weil wir überhaupt keine solchen Blumen im Garten haben. Bevor die Mama es uns erklären konnte, klingelte die Frau Steinberger an der Tür und erzählte, Mama sei, lediglich mit einem Hemdchen bekleidet, “Aloa he” singend in den Blumenladen getanzt.
“Aber Frau Mayer”, habe die Nachbarin gesagt. Und dann habe die Mama laut gerufen: “Ich bin die Schlaueste im ganzen Land. Ich habe eine Reise zu den Fidschi-Inseln gewonnen und weiss nicht einmal, wo die liegen. Ist das nicht irre? Die schenken mir eine Reise und ich weiss nicht einmal, wo Fidschi liegt”.
Papa hat den Arzt gerufen, der hat Mama von Kopf bis Fuss untersucht, aber nichts gefunden. Mama hatte weder Schnupfen noch Husten, noch hatte sie etwas an den Lungen oder an den Nieren, noch an der Blase. Der Arzt hat gemeint, die Mama habe es mit dem Seelischen und müsse in die Klinik. Und das nur, weil Mama den Arzt fragte, ob er mit zu den Fidschi-Inseln käme.
“Ich bin doch nicht verrückt”, hat der Arzt gemeint und die Mama ins Krankenhaus überwiesen.
Das war vor sechs Wochen. Der Arzt meint, Mama müsse bestimmt noch ein paar Wochen in der Klinik bleiben, wegen der Nerven. Ob Mama je wieder an einem Preisausschreiben teilnehmen kann, wissen wir nicht. Papa ist jedenfalls zuversichtlich, wir brauchen nämlich ein neues Auto.
Kommentare
Tolle Story !
HG Olaf
Danke, dass Ihnen die Geschichte gefällt.
Beste Grüsse
Fernand Muller-Hornick