Vorsicht Satire
Der Mantel der Geschichte ist längst zum Teppich geworden, unter den alles gekehrt wird, was nicht in den rechten Rahmen paßt. Denn, nicht wahr, Freunde, wir leben schließlich in einem Rechtsstaat und da geht alles mit rechten Dingen zu. Und was rechts ist, muß auch rechts bleiben…
Es war Anfang 1996, gut vier Jahre zuvor hatte der Ältestenrat des Bundestages die Bundesregierung gebeten, angesichts der Wiederherstellung der Deutschen Einheit auch einen Umzug der Regierung aus dem Städtchen Bonn am Rhein in die ehemalige Reichshauptstadt Berlin an der Spree ins Auge zu fassen.
Wir wohnten damals noch in einem stillgelegten Bahnhof am Rande der ehemaligen Grenze zur DDR und sahen täglich die plombierten Wagen mit dem Umzugsgut der Ministerien – ich erinnere mich, das BMV, das Bundesministerium für Verkehr, war auch darunter, vorbei rattern.
Für mich als älterer Staatsbürger, war das schon etwas Besonderes, und ich dachte so bei mir, huch, wenn da jetzt versehentlich eine Tür aufgeht und die Akten durch die Gegend fliegen – , da flatterten doch tatsächlich zwei zusammengeheftete Blätter durch die Luft und blieben im Gebüsch hängen. Ich wartete, doch niemand kam und kontrollierte – es war ja schließlich auch kein Castor-Transport. Also fischte ich die Blätter aus der Hecke, begann zu lesen und kam aus dem Staunen nicht heraus. Was ich in der Hand hielt, war ein Angebot für eine Schienenfahrzeugbestellung:
Fabrication des wagons
France Midi S.A.
Herrn…
Referat Z.B.V.
Bonn
Allemagne
Valence, den 08 /02/1991
Betr: Ihre Fahrzeugbestellung
Monsieur,
Ihre Anfrage, einen Salonwagen der Sonderreihe „Löwe“ für Ihren geschätzten Herrn Bundeskanzler betreffend, nehmen wir gern zu Kenntnis und freuen uns, daß Sie auch in neuen Diensten unsere, wie wir glauben, für beide Seiten zufriedenstellende Geschäftsbeziehung weiterführen möchten.
Nicht zuletzt dürfen wir das wohl auch auf den vor einigen Jahren an Ihren damaligen Herrn Staatsratsvorsitzenden gelieferten Nahverkehrssalonpanzerwagen mit Gleisadaption für die Transsibirische Eisenbahn zurückführen. Gern hätten wir ja auch noch die Umstellung auf die Gleiskoordinaten der Chilenischen Staatsbahnen vorgenommen. Aber das hat dann ja leider nicht mehr geklappt.
Nun, wir freuen uns jedenfalls, daß sich die Wende für Sie so vorteilhaft gewendet hat, und machen Ihnen gern das folgende Angebot. Die üblichen Sonderzahlungen werden wir natürlich bei Eingang der festen Bestellung wieder aufnehmen und setzen voraus, daß Ihr Konto bei der Eidgenössischen Hinterziehungskreditbank (EHKB) noch besteht.
Angebot
Salonwagen, Farbe Schwarz-Rot-Gelb nach Wahl, wetterbeständig, schadstofffrei klimatisiert mit automatischem Weitblick und effizienter Schwerkraftermittlung in Echtzeit.
Länge 28 m, Breite variabel, vier eingelagerte Raumfahrgestelle im Koalitionsverbund, einseitig rechts verstärkt und linksbündig scharf abgesetzt, grüne Radmuttern im Innenkranz. Das eingearbeitete Staatsgründerportrait an der Stirnseite (wird kundenseitig geliefert) kann im Bedarfsfall von Hand gegen das Bayerische Staatswappen (Neuanfertigung unsererseits) ausgetauscht werden. Ein automatischer Wechsel beim Überfahren der Grenze zum Freistaat ist noch nicht möglich, weil nach uns vorliegenden Auskünften die zur Entwicklung eines solchen Aggregats notwendigen internen Schienenverbindungsdaten seitens des Bayerischen Verfassungsschutzamtes noch nicht freigegeben wurden. Hingegen sehen wir uns mit Vergnügen in die Lage versetzt, Ihrem Wunsch nach Austausch der serienmäßigen Notbremsen gegen ein Gerät zur Korrektur bereits gestellter Weichen zu entsprechen.
Es handelt sich hierbei um unser unter dem Kürzel WKMMDGVG (was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern) mit Erfolg weltweit im diplomatischen Dienst eingeführtes Produkt, das fehlerfrei auf alle vorkommenden in- und ausländischen Weichenstellungen anspricht.
Wie gewünscht installieren wir zur Unterstützung der inneren Spannung Ihres Herrn Bundeskanzlers einen besonders laut brummenden Konjunkturmotor, der problemlos alle kritischen Nebengeräusche, die sich während der Fahrt ins Nebulös-Ungewisse einstellen könnten, kraftvoll übertönt.
Wir dürfen abschließend anfügen, daß wir es auch weiterhin als unsere vornehmste Aufgabe ansehen, Ihren Staatsapparat am Laufen zu halten, gleich auf welchem Gleiskörper und in welcher Fahrtrichtung.
Wie Sie anzudeuten beliebten, wird das Projekt durch eine neue Fußgängerabgabe auf die Lebenserwartungssteuer finanziert, die nur noch die Länderkammer passieren muß.
Wir danken Ihnen für diesen vertraulichen Hinweis, den wir bis auf Widerruf als solchen behandeln, und akzeptieren selbstverständlich das als Sicherheit angebotene SED-Altvermögen, soweit es von den Hinterbliebenen gehalten wird.
Mit Europäischem Gruß
Lefèvre (Exportbevollmächtigter)
Tja, wie das Leben so spielt.
Nun gut. Einmal, es war Ende August 1994, ein schöner Sommer lockte ins Grüne, und es sollte ja auch ein heißer Herbst werden. Ich hatte damals Urlaub am Wolfgangsee gemacht. Nichts Böses im Sinne habend verweilte ich im Schatten einer mächtigen Trauerweide und fand mich plötzlich unbeabsichtigt in der Rolle des Ohrenzeugen einer Unterhaltung, die – soweit ich das mitbekam – von nur einer Person bestritten wurde.
Ich konnte niemanden erkennen, jedoch blieben mir die Worte im Gedächtnis. Und ich frage mich, wer da geredet hat.
„Helmut, wenn Du meinst, daß du das am 16. Oktober nicht schaffst, dann steige ich gleich ein. Das fifty/fifty-Angebot habe ich nur dir zuliebe gemacht, damit du noch zwei Jahre am Ruder sein kannst. Wenigstens nach außen – wir sind ja unter uns. Aber wenn das schief geht…
Der Hintze ist ja nun auch kein Übermensch. Ich sage dir, der Kahn läuft aus dem Ruder. Wenn die im Osten erst merken, daß man die PDS wählen kann, ohne daß die freiheitliche Grundordnung zusammenbricht, haben wir ausgesch…
Mein Gott, Helmut, ist dir übel? Helmut, sag’ doch was! Helmutchen, ich verspreche dir, du wirst in fünf Jahren Bundespräsident. Ich möchte mit dem Herzog keine solchen Probleme haben, wie mit Weizsäcker. Ich möchte auch endlich mit der FDP reinen Tisch machen.. Helmut, du weißt, ich habe dir immer zugestimmt, daß Genscher uns viel gebracht hat, außenpolitisch, meine ich. Dafür haben wir auch einige Alleingänge in Kauf genommen. Ich mußte im Freistaat immer wieder für gutes Wetter sorgen.
Aber die Aktie Genscher wird nicht mehr gehandelt. Hast du mal ausgerechnet, was uns die FDP an Spendengeldern wegschnappt? Und dann dieser Rexrodt – von Kinkel will ich gar nicht reden! Wir können uns das einfach nicht mehr leisten, vom Finanziellen und vom Politischen her, daß die Wirtschaft sich immer noch eine eigene Partei hält – auf unsere Kosten!!!
Wir tun alles, was die wollen, aber dann wollen wir auch Mäuse sehen!
Die paar Aufsichtsratsposten machen den Kohl – entschuldige, Helmut – nun auch nicht fett. Mit mir läuft dieses Affentheater jedenfalls nicht!“
Seitdem frage ich mich, wer hat denn da mit unserem ehemaligen Herrn Bundeskanzler geredet? Sicher, das ist ja nun alles Schnee von Gestern. Schwarze Kassen, rote Socken, alles unterm Teppich.
Wie lautet doch der Merkelspruch des Jahres?
VERGESSEN SCHAFFT RAUM FÜR NEUE EINDRÜCKE
Euer Märchenonkel Michel