Miss Mutig ist: KRANK!

Bild zeigt Alf Glocker
von Alf Glocker

Miss Mutig hatte, wie alle ihre Verwandten, „krumme Füße“. Zu lange Beine und völlig unbrauchbare Füße. Sie taugten gerade noch zum Sitzen und stehen, nicht aber zum Gehen und schon gar nicht zum Wandern. Ihre Zehen standen kreuz und quer herum, der große Zeh lag völlig schief, sie hatte Senkspreitztreter und was man sich noch alles Unpassendes für Füße denken kann, das hatte sie auch. Zwar waren ihre Beine völlig gerade und nicht unbedingt schlecht gewachsen, aber sie waren voller Narben, denn auch die Knie waren verdreht und die Hüftgelenke abgenutzt und kaputt.
Das Meiste war schon operiert worden, die Füße selbst standen noch aus. Aber das sollte geändert werden! Und es begann mit Drohungen! Nachdem sie wieder einmal ausgiebig mit Miss Raten, Miss Lingen, Miss Trauisch und Miss Gunst gesprochen – sich mit ihnen be-sprochen hatte, trat sie an Sohwass von Schlapp, ihr dämliches Ehegesponst, heran und machte ihm schon im Vorfeld die Hölle heiß, daß er in den kommenden 6 Wochen nicht einfach alles, wie immer schleifen lassen könne, sondern erledigen müsse, was sie sonst ganz alleine getan hatte: Kochen, Putzen, Staubsaugen und Wäsche waschen.
Daß er bisher auch schon immer etwas zur Hauarbeit beigetragen hatte, erwähnte sie ausnahmsweise einmal nicht, denn sonst hätte er sich ja bequem zurücklehnen und sagen können: „Kann durchaus sein, daß ich das auch noch schaffen kann." Während sie noch sprach (ihm die Leviten las) hörte er förmlich die anderen Missen lachen und scherzen, sich freuen, daß der unfähige Stein einmal voll herangezogen werde. Er stellte sich jedenfalls vorsichtshalber darauf ein, wie immer, seelisch misshandelt zu werden … jedenfalls glaubte er, als „Verschwörungstheoretiker“, an so einen Schwachsinn.
Der Tag des OP-Termins kam und Sohwass lieferte die Miss im Krankenhaus ab, damit ihr geholfen werde und sie eines Tages vielleicht voll würde gehen könne. Dann ergab er sich in sein Schicksal und feierte die Nacht mit Freunden durch, damit er am Tag der Abholung seiner Allerholdesten stark genug für ihre Anfechtungen sei. Er machte sich auf einiges gefasst, musste jedoch, wie immer, feststellen, daß er, wie immer, zu wenig befürchtet hatte. Denn was Miss Mutig anging, wurde stets alles ebenso heiß gegessen wie es gekocht wurde. Ihr schmerzverzerrtes Gesicht bei der Abholung sprach jedenfalls schon mal Bände!
„Hast du das Auto auch ganz nahe an den Eingang herangefahren?“ grummelte sie. „Ich komme nicht weit!“ „Hab ich", erwiderte Stein, aber eine große Limousine stand zwischen dem Eingang und dem Parkplatz für ihren Kleinwagen. Miss Mutig humpelte mit letzter Kraft darum herum und befahl missmutig: „Den Sitz ganz nach hinten stellen!“ Stein tat wie ihm geheißen war und fuhr seinen „Schatz“ nach Hause. Dort angelangt, fing die Miss zu schimpfen an. „Diese Scheiß-Treppen, diese Scheiß-Schmerzen, diese Scheiß-Wohnung“, dann nahm das Unglück seinen Lauf …
Miss Mutig hatte vor ihrem Ausflug ins Krankenhaus 2 Gerichte vorbereitet – eines für Stein, für den Mittag, während ihrer Abwesenheit, und eines für ihre Rückkunft am nächsten Tag. Stein hatte jedoch nicht mehr gewusst (das sah ihm ähnlich), welches Essen nun für wann geplant war. Das eine war eine Suppe gewesen, das andere ein Sauerbraten. Angestrengt dachte er nach … Würde es ihr am nächsten Tag furchtbar schlecht sein und sie vielleicht nur eine Suppe essen können und hatte sie, aus reiner Liebe, ihm einen köstlichen Sauerbraten zubereitet, damit er sich über ihre Abwesenheit hinwegtrösten konnte?
So musste es wohl gewesen sein, irrte der Irre Stein und vertilgte den göttlichen (denn eine sehr gute Köchin war die Miss wohl) Sauerbraten. Als sie seinen Irrtum bemerkte, hätte sie am liebsten heulen mögen. Was für ein Arschloch?! Die einfachsten Dinge konnte er sich nicht merken. Sie hatte es ihm doch ganz genau erklärt – aber er hatte ja immer nur Schreiben und Malen im Holzkopf. Zu was Praktischem war er einfach nicht fähig, auch wenn es sich um die einfachsten Dinge handelte. Sie hätte ihn erschlagen mögen, doch dafür hätte ihre Kraft momentan eh nicht gereicht.
Stattdessen schaute sie säuerlicher als 10 Sauerbraten zusammen – es war wieder einmal zum Steinerweichen. Sohwass von Schlapp verging vor Mitleid wie saure Soße in der Bratpfanne! Er hätte gute Lust gehabt sich selber zu geißeln, könnte er damit nur das Geschehene ungeschehen machen, aber er hatte ja leider wieder einmal alles versemmelt und wieder einmal würde sie ihn dafür verachten. So war das nun mal, so würde es immer sein und so war es schon immer gewesen: Miss Mutig war stets gewissenhaft und zuverlässig und er, Stein, war es eben nicht … da half ihm auch die Erinnerung an Miss Mutigs Ungeschicklichkeit und ihre Gedankenlosigkeit in vielen Fällen nicht aus der Patsche.
Also suchte er nach weiteren Fettnäpfchen und fand sie natürlich auch umgehend! Nebenbei versuchte er, seiner unnützen Arbeit nachzugehen … dumm genug war er ja. Immer mit neuen Maltechniken, oder dem Aufschreiben blöder Texte (also vom Arbeitszimmer zum Gartenatelier hin und her pendelnd) beschäftigt, nahm er sich die Frechheit heraus, noch einmal nach seinem neuesten Gemälde zu schauen, damit seinem hohlen Kopf noch spätnachts geeignete Ideen für den nächsten Tag kämen. Dabei hatte er vergessen, ein letztes Mal bei Miss Mutig nachzufragen, ob sie noch etwas bräuchte. Allein daran konnte man schon erkennen, wie unwichtig sie ihm war.

„Warum gehst du denn noch einmal ins Gartenhaus, wenn du doch genau weißt, daß ich dich brauche – hast du denn überhaupt kein Herz und kein Verantwortungsgefühl?!“, schimpfte die Miss. „5 Minuten zu lange??“ antwortete der Stein. „Wie lange das war, ist doch komplett egal! Du kümmerst dich nicht um mich!“ Sohwass von Schlapp, der Scheiß-Maler und Drecksdichter, begriff: Hier handelte es sich um einen weiteren Versuch, seine Bemühungen (nicht die um Miss Mutig, sondern um seinen Quatsch) abzuwürgen. Ebenso wie beim Sex versuchte die Miss „Ordnung“ in die Sache zu bekommen und ihn, den Deppen, auf andere Ideen bringen. Konnte er sich denn nicht endlich mit den „richtigen“ Belangen des Lebens beschäftigen?!
Miss Mutig blieb am Ball, um ihm, nach bestem Wissen und Gewissen, aufzuzeigen, was wirklich wichtig war im Leben: „Hol mir dies, bring mir das!“ Stein war gerade unterwegs, ihr ein paar Kissen zusammenzusammeln, damit sie ihren verwundeten Fuß hochlegen konnte, da fiel ihr ein, daß sie noch ein Medikament einnehmen musste. Gerade kam Stein mit dem Stapel Kissen an ihr vorbeigerannt, da befahl sie ihm vorher noch das Medikament vorzubereiten: „Ein Schnapsgläschen halbvoll mit Wasser machen und die Tropfen stehen auf dem Küchentisch!“ Da verlor der Stein, wie gewöhnlich, seine Beherrschung und rief: „Kannst du denn jetzt schon nicht mehr warten, bis ich eine Sache erledigt habe?!“
Das schlug dem Fass den Boden aus! „Der ist wirklich zu nichts zu gebrauchen“, dachte sich Miss Mutig. Laut aber schrie sie: „Ja Kruzifix nochmal!“ Und ab diesem Zeitpunkt war es aus mit ihrer guten Laune! Von nun an kommentierte sie alle seine Fragen mit bösen Bemerkungen. Stein erkundigte sich, bevor er natürlich wieder einmal rücksichtslos arbeiten ging: „Brauchst du noch was?“ Und die Miss antwortete: „Woher soll ich denn das wissen?! Im Moment brauche ich nichts, aber was heißt das schon?!" Wenn sie ihn zum Getränkeeinkaufen schickte und er nachfragte: „Soll ich denn auch etwas zum Essen mitbringen?“, meinte sie furztrocken: „Na, was denkst du denn, glaubst du etwa, wir brauchen ab heute nichts mehr?!“
Auch ihre Grundstimmung hatte nun einen nie dagewesenen Tiefpunkt erreicht! Überall in der Wohnung war nun der Takt ihrer Krücken zu hören: Tock, schleif, tock, schleif. Diese seltsamen Geräusche entstanden, weil sie ja ihren verletzten Fuß nachziehen musste, nachdem sie ihre Stecken voraus in eine ungeliebte Zukunft gestreckt hatte. Sie kam nur sehr langsam vorwärts, aber schließlich doch wieder überall hin. Einmal entdeckte sie im Vorbeihumpeln, daß im Bad der Duschvorhang nicht ordnungsgemäß ganz geschlossen war. Da fing sie zu fluchen an, marschierte hinein, riss am Vorhang, daß es nur so krachte, dann rief sie, zum Stein gewandt:
„Es regt mich unendlich auf, daß hier einfach nichts funktionieren kann!" Stein wendete sich ab und widmete sich seinen Aufgaben …
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