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sie erstaunt darüber, als der C. ihr sagte, daß er nicht in die DDR einreisen kann.”
Lilli Segal habe ich nie im Westberliner VS gesehen. Was hätte sie da gesucht? Nicht jeder verdankt seine Kontakte den Institutionen: Ein ehemals deutscher, seit ’38 amerikanischer Familienfreund empfahl mir Lillis Buch, “Vom Widerspruch zum Widerstand”. Es beschreibt ihre Flucht aus Nazi-Deutschland, ihre Arbeit in der Resistance in Frankreich, ihre Verhaftung und Deportation nach Auschwitz, ihr Verschwinden aus einem Außenarbeitskommando und ihren Fußmarsch bis in die Schweiz. “Juden o.ä.”? Wie weit faßt man “ähnlich” auf Deutsch?
Lilli sagte mir, sie sei “zum Ministerium gegangen”, um meinen Einreisestatus zu erörten. Da habe man ihr gesagt, dem stünde nichts im Wege. Die “Quelle” berichtet, wie es weiterging: “Vor wenigen Tagen habe der C. erneut versucht, in die DDR einzureisen, was ihm verweigert worden sein soll.” So war’s.
Mein Interesse, die abenteuerliche Geschichte einer “staatsbewußten” Genossin und ehemaligen Widerstandskämpferin zu übersetzen, brachte Bewegung, wenn auch nicht viel, in meinen Fall: drei Seiten, datiert 1., 2. und 3. März 1989, mit “Stellungnahmen zum Schreiben der Genossin Ursula Rackwitz”. Das Schreiben selbst erscheint nicht in der Akte, stellte aber offensichtlich die Frage, ob man mich wieder hineinlassen sollte. Ein ehemaliger DDRler staunte: “Rackwitz” sei der falsch buchstabierte Name der Frau, die ihn in den Knast gebracht hat.
Eine Stellungnahme empfiehlt, “der Bezugspartner von Cohen aus dem PEN Club der DDR” solle dem Cohen mitteilen, er könne wieder einreisen, “wenn er die Gesetze der DDR achtet und nicht verletzt”. Wichtig, daß er nicht etwa die Gesetze achtet und verletzt oder sie mißachtet, während er sie befolgt. Handschriftlich nahm ein Vorgesetzter zu dieser Stellungnahme wiederum Stellung: “Sperre vorläufig nicht aussetzen.”
Ich wurde noch Mitte Dezember 1989 an der innerdeutschen Grenze abgewiesen, sechs Wochen nachdem die Ostler nach Westberlin durften.
Die Aus- und Umwertung aller Worte
Die Akte enthält nicht nur Berichte, sondern auch ihre Verarbeitung durch Beamte, die durch keine Begegnung mit mir voreingenommen waren. In Summa und handschriftlich, 1984, in der Akte, die Ostblock-weit galt:
“Cochen ist verdächtig, im Auftrag feindlicher Organisationen/ Einrichtungen Kontakte zu DDR-Bürgern zu suchen. Er unterhält aktive Kontakte zu Schriftstellern, Malern, Grafikern, besonders aus dem Nachwuchsbereich, die eine feindlich-negative Einstellung besitzen. Er nutzt die zahlreichen Einreisen in die DDR, um an Lesungen des genannten Personenkreises, die überwiegend in Privatwohnungen stattfinden, teilzunehmen und Arbeiten dieser Nachwuchskünstler aus der DDR auszuführen. Er ist ständig bemüht neue Kontakte zu Personen des künstlerischen Nachwuchses herzustellen bzw. Kontakte an Personen im Operationsgebiet (Westberlin auf Stasi) zu vermitteln.
Cochen ist Autodidakt auf dem Gebiet der Malerei und Lyrik. 1981 wurde bekannt, daß Cochen Rauschgiftmittel (leichte Drogen) zu sich nimmt und mehrfach kleine Mengen in die DDR einführte und weitergab.”
Die “feindlich-negativen” schrumpfen an anderer Stelle zu schlicht “negativen DDR-Bürgern”. Wenn man einen negativen und einen posi-tiven Bürger zusammenführt, verschwinden beide in einer explosiven Freisetzung von Energie?
“Ständig bemüht” klingt so... verschwitzt. Was soll’s. Mich hat der “Nachwuchs” tatsächlich interessiert. An verschiedenen Stellen finde ich Listen meiner “Kontaktpersonen”. Einige stimmen. Die unterstellte Verbindung zu Fühmann ehrt mich; nur starb er ehe ich ihn sehen, ihm schreiben oder mit ihm sprechen konnte. Hilbig kenne ich nicht. In seinen Tonbandprotokollen gab es Sascha anders an.
Mit dem Namen Peter Hermann, wohnhaft in Dresden, konnte ich gar nichts anfangen. Vor kurzem traf ich in Dresden zum ersten mal seit 1980 Eberhard Göschel und Bernhard Theilmann, die damals die Papenfuß/Cohen Lyrik-Grafik Mappe drucken wollten. Peter ist ein mit ihnen befreundeter Maler. Vielleicht gab ich ihm 1980 die Hand.
Mein Beruf? Einzelheiten aus meiner Ostblock-Gesamtakte, die wohl meine ÇSSR Einreisesperre erklärt, übersetzte mir eine Russin. Auf Grund der DDR-Berichte hielten mich die Russen für einen “Schüler” oder “Lehrling” und einen “Narkoman” (“Drogensüchtigen”). Für die DDR-Deutschen war ich “Student”, “Germanist”, “Angelist” – als sei ich in der Fischereiwirtschaft tätig –, “Dozent für Germanistik”. Sie sahen mich auch als “Sozialarbeiter”, “Lehrer”, “Diplompädagoge” und “Verkäufer von Kinderartikeln”, wohl wegen meiner (diesmal BRD-Deutsch) “Beschäftigung in der Tätigkeit eines Erziehers” in einem Schülerladen, zu dem, wieder laut Stasi-Wohnbereichschnüffler, der Cohen “enge Verbindung besitzt”.
Die Quelle meiner – durch alle Akten hindurch falsch angegebenen – Telefonnummer war ein Abhörbericht: “Bert (vermutlich Gorek-Papenfuss), der sich bei Maaß aufhält... möchte nun wissen, ob Mitsch morgen rüberkommen will. Mitsch kann nicht kommen, weil er etwas tun muss...” Bert gab nicht gleich auf. Meine Antwort auf seinen Überredungsversuch steht in einer Mischung aus indirekter Rede, Umschreibung und hörbarem Sprachton: “Mitsch muß wirklich arbeiten.”
In der Akte fand ich einen Riesenstapel meiner Gedichte und Prosatexte. Ich hatte sie Sascha mal zum Lesen gegeben. Schade, daß es überholte Fassungen sind, denn die Gauckbehörde verlangt nur 5 Pf für eine Fotokopie.
Die Adressenliste von Freunden in den Staaten, die ich Bert für Karl Mickel gab, der gerade vor einer Amerikareise stand, wurde abgefangen und tauchte hier wieder auf. Ich muß sie handschriftlich erstellt haben, so erkläre ich mir, wie Gloria als “Culonia” abgetippt wurde und wie Kim, der in Berkeley lebte, mit einem Wohnsitz in “Berbeley” erscheint, was dann durchgestrichen und zu “Beverly” korrigiert wurde. Auf der Liste vermerkt: die Namen seien wegen Verdacht auf geheimdienstliche Tätigkeit zu überprüfen.
Gründliche Arbeit
In “Die Würde des Menschen”, eine Untersuchung der Sprache des BRD-Grundgesetzes, klagt Claudio Lange: “Und keine Hoffnung auf Druckfehler!” Hoffnungen auf jegliche Art Fehler werden von der Stasi übererfüllt. Die Erkenntnissammler des “wissenschaftlichen Sozialismus” haben jedes Märchen als Fakt notiert; ihre Hypothesen prüften sie nie. Sascha Anderson ist in meiner Akte die einzige Ausnahme.
Abgesehen davon, daß er Namen orthografisch richtig angab, verfügte er über wissenschaftliche Methodik, Forschertrieb und den Wunsch, Erkenntnisse klar auszudrücken – überraschend bei einem, dessen Gedichte und Poetologie sich nicht eben um allgemeine Verständlichkeit scheren. Schon beim ersten Bericht, 8.9.81, finde ich mehr klare Tatsachen als in allen Berichten der übrigen Schnüfflerbande: relativ akkurate Aussagen über meine künstlerische Arbeit, allein und mit Papenfuß, mein damaliges Einkommen, meine Arbeitsstelle und meine Lebenssituation (“M.C. arbeitet... in einem Kinderladen und modelliert und malt mit den Kindern... Dort verdient er ca. 800 Mark im Monat, wovon er mit einer Freundin, mit der er zusammenlebt und die noch studiert, seinen Lebensunterhalt bestreitet.”) Auch akkurat die Sätze: “Ich weiß,