Story XXVII: Bolero Bigottero

Bild von Q.A. Juyub
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Es begab sich kurz vor der großen Pandemie, dass Abdul Müller sich ausgiebig auf der Unisex-Toilette seines Medienhauses übergab. Obwohl er sich vor Arbeitsbeginn ein ‚Näschen‘ aus seinen ebenso schwindenden wie minderwertigen Koksvorräten gönnte, litt er gewaltig an den morgendlichen Folgen des Restalkohols. Seitdem Dietmar ihn verlassen hatte, ertränkte der einsame Mitvierziger allabendlich mit routinierter Regelmäßigkeit seine liebeskümmerlichen und sonstigen Sorgen in den zweifelhaften Tiefen des alkoholischen Ozeans.
Auch beruflich befand sich der einst gefeierte Star des berufsempört herrschaftskonformen Haltungsjournalismus im rasanten Sinkflug. Schon früh erkannte Abdul, auf welcher Seite das Brot in der Föderativen Republik Germanistan (FRG) gebuttert war. Als Sohn eines vergasteten Arbeiters, der es jedoch bevorzugte, vor der Geburt seines Filiusses – befreit von paternalen Pflichten und Alimenten - in seine Heimat abzutauchen, verbrachte der kleine Journo-Prinz recht harte Jahre unter der wenig liebevollen Obhut seiner alleinerziehenden Mutter, die den Unwillen auf den Erzeuger auf ihren Abkömmling übertrug. Seine Schul- und Studienzeit prägte ein abklingender Alltagsrassismus, der zu jener Zeit wirklich existierte und keine profitorientierte Erfindung des pseudo-sozialistischen, medial politischen Komplexes war. So lernte unser Mann rechtzeitig, in den gerade modisch aktuellen Wolfsgesang einzustimmen und im sich ändernden Klima geschickt seine Karten auszuspielen. Schriftstellerische Begabung, gepaart mit einer gewissen Verachtung der Mehrheitsgesellschaft und einem flexiblen Umgang Fakten, brachten ihn schließlich in die Redaktion eines zur Zeit seines Eintritts noch linksliberalen, renommierten Magazins. Nach Ablauf von zwei Dekaden allerdings hatte sich das Profil des ‚Starmirror‘ von liberal in extremistisch gewandelt und Shooting Star Müller war trotz regem Gebrauch von Nazi- und Rassismuskeulen gegen allerlei unliebsame Zeitgenossen in der ungastlichen Atmosphäre durchgeknallt politischer Korrektheit verglüht. Aber, geldwerter Leser, setzen wir unsere Geschichte nach diesem kleinen Exkurs fort; weitere Details zur Biographie unseres gefallenen Journo-Gottes lasse ich nebenbei dezent einfließen.
Tapfer hatte Abdul das morgendliche Briefing und die Sticheleien seines Chefredakteurs Sans Colonne-Vertébrale ertragen. Als jedoch sein überaus charakterlich flexibler Chef ihn süffisant grinsend kurzfristig mit der Aufgabe betraute, ein Interview mit Marie A. Kulakskaja, der lokalen Größe einer regierungskonformen Jugendbewegung, zu führen, überkam ihn ein gewisser Brechreiz, den er heroisch bis zum Ende jener denkwürdigen Sitzung unterdrücken konnte. Wohl führte des Müllers Abdul in besseren Zeiten schon auf die Schnelle diverse Interviews, aber dabei handelte es sich um Befragungen wirklich bedeutender Zeitgenossen, wie beispielsweise das mit einer rhetorisch recht unbegabten Regierungschefin, die anbiedernd gefällige Institute in unsatirischer Absicht für ihr Geschwurbel mit Rhetorikpreisen auszeichneten. Dabei war allerdings der Fragenkatalog im Rahmen einer passend kriecherischen Hofberichterstattung bereits im Voraus von der Obrigkeit abgesegnet. Zwar besaß das jetzige Zielobjekt pseudo-journalistischer Lobhudeleien eine gewisse Bedeutung als Instrument zur Durchsetzung profitorientierter und Steuereinnahmen generierender Klimaschutzaktivitäten, aber Marie A. fungierte eben halt als zweitklassige Handlangerin – freilich ohne dies in ihrem jugendlichen Elan richtig zu realisieren. Außerdem durfte Abdul im aktuellen Fall die Zweitbesetzung spielen, da die ursprünglich vorgesehene Stichwortgeberin, obwohl noch frisch von der Uni, sich vehement weigerte, einen solch unbedeutenden Auftrag anzunehmen.
So kehrte der Ersatzmann nach dem oralen Ausdruck seiner Gefühle voller negativer Vibrations in sein fensterloses Büro direkt neben der Stätte seiner gelungenen Entleerung zurück. Die umfunktionierte Besenkammer – von den werten Kollegen auch liebevoll ‚Sterbezimmer‘ genannt – entsprach sinnbildlich dem betrieblichen Status des Insassen. Normalerweise von Unternehmen der asozialen Marktwirtschaft eingesetzt, um ältere Arbeitnehmer durch eine Art Einzelhaft herauszumobben, diente auch beim ‚Starmirror‘ die Kammer des Schreckens dazu, um in Ungnade gefallene Mitarbeiter fit für die Arbeitslosigkeit zu machen.
Ach, wie schön war es doch vor dem ultimativen Sündenfall, als Müller der ‚Nazi-Hammer‘ noch in seinem schicken Büro in den oberen Stockwerken des Medienhauses saß und auf das niedere Fußvolk herabsah. Wie hofierte ihn doch Sans Colonne-Vertébrale, das wirbellose Kriechtier, um mit seinen erleuchteten Stories zwar nicht gerade die Auflage zu steigern, aber dem elitär vergrünten Establishment zu gefallen. Erste Anzeichen gab es wohl, dass sich der Schrecken aller nazifizierter Kritiker des Mainstreams allmählich der Alteisensammlung annäherte. So betrieb der behämmernde Schlagzeilenjäger ganz unzeitgemäß ein Minimum an Recherche, die er allerdings bequem via Internet von seinem luxuriösen Büro aus durchführte. So geriet gegenüber dem Kollegen und unbegabten Fantasy-Autor Claudius Mendaxius arg ins Hintertreffen, dessen frei erfundenen Reportagen mit dem literarischen Wert mittelmäßiger Groschenromane – ich glaube der Fachbegriff ist dafür ‚Fictional Sob Story‘ – besonders von den Herrschenden geschätzt wurden. Also gewann der bezüglich der Realität kreative Mendaxius für seine dramaturgisch zwar dürftige, aber gefällige Leistung gar manchen Journo-Preis, während Abdul unerwartet leer ausging. Natürlich gefiel das dem alten Mann vom ‚Starmirrow‘ überhaupt nicht, sodass er wohl den größten Fehler seiner Laufbahn beging: Eine große Reportage über Clan-Kriminalität. Nun mag selbst der größte Realitätsverweigerer im öffentlichen Leben ahnen, dass diese besondere Spielart des organisierten Verbrechens doch irgendetwas mit immigrierten Großfamilien zu tun haben könnte. Eine Dekade eher wäre das Müllersche Machwerk auch mit Sicherheit prämiert worden, aber wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben. Obwohl Abdul eine abenteuerliche, aber gern gelesene Hypothese einbaute, dass vermutlich rechtsextreme Kräfte einer Partei, die mit A anfing und mit D endete, vermutlich als Drahtzieher hinter den Kulissen ihr Unwesen trieben, erlebte der Autor sein persönliches Waterloo. In arger Unterschätzung des politisch korrekten Puritanismus realisierte der einstige Jäger unerwünschter Meinungen erst viel zu spät, dass die herrschende Klasse jede auch noch so vage Verbindung zwischen Migration und Kriminalität als Tabu betrachtete. So brach über den früheren Heros des grünlackierten Establishments ein ungeheurer Shitstorm herein, der ihn von seinem olympischen Elfenbeinturm in das kümmerliches Dungeon im Hades katapultierte. Einzig seinem Migrationshintergrund verdankte es unser unfreiwillig zum ‚rechten Rassisten‘ ernannter Starschreiberling, dass man ihn nicht für den unvermittelbaren Arbeitsmarkt freistellte. So weit – so ungut.
Recht widerwillig warf der Topkandidat auf der redaktionellen Abschussliste seinen Zombie – ein museumsreifes Relikt längst vergangener Computertechnik aus dem letzten Jahrtausend – an, um sich die notwendigen Informationen hinsichtlich des ungeliebten Interviews zu beschaffen. Die waren ihn vom höhnisch grinsenden Chefredakteur unlängst als Ticket via hausinternem Issue Manager während des schon erwähnten Meetings zugewiesen worden. Der mit der Marketing Firma Kulakskajas bereits vor gut einer Woche vereinbarte Termin sollte in einem Sitzungssaal des Hilton stattfinden, und zwar in gut zwei

Hat naturalmente nix mit lebenden oder toten Zeitgenossen zu tun.
Cheerio
JU

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Kommentare

28. Dez 2020

Frau Krause sah die "Hilton-Bar" -
Dann war sie auch schon nicht mehr da ...

LG Axel

28. Dez 2020

Denn ohne einen ordentlichen Schluck im Kragen, kann auch Krause das Polit-Theater kaum ertragen.
Cheers
JU

29. Dez 2020

Da sag ich nur: Einfach genial!

Ich bedanke mich für die Kurzweil!

LG Alf

29. Dez 2020

Nicht so genial, aber leider real! Danke für die Blumen.
Cheerio
JU

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