Wicked Weird World: Das große Spiel

Bild von Q.A. Juyub
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Dat Conalf, Halboger und mächtiger Kriegerfürst aus Nusquam, griff den Trollgoblin mit seinem prächtigen Zweihänder, dem Nachtdrachen, an. Der muskelbepackte Nusquamnese stand nun den Bestien in der verwunschenen Festung ganz alleine gegenüber, da die restlichen Mitglieder der ‚Raiding Party‘ bereits ein mehr oder minder trauriges Ende gefunden hatten und Wiederbelebungen in ‚lethal dungeons‘ nicht möglich waren. Nun, das kam davon, wenn man mit ‚low level characters‘ auf Raubzug ging.
Diese ‚new bees“ waren einfach nur zum Kotzen. Magister Potteros Harry, der Level-3 Magier der Party, war ein lächerlicher Wicht und sprengte sich samt der Hälfte der Gruppe bereits im Eingangsbereich der schröcklichen Feste durch einen versehentlich abgeschossenen Feuerball in die reale Welt zurück. Das, um eine schäbige Rotte Hobgoblins zu erledigen – erbärmlicher gings ja wohl nicht mehr!
Okay, Freunde, ihr fragt euch, was hier abgeht? Wir befinden uns hier in einer nicht allzu weit entfernten Zukunftsalternative, in der sich die virtuelle Realität arg fortentwickelt hat. Statt der schon heute üblichen VR-Brillen gibt es inzwischen auf Gehirnwellen abgestimmte Multimediageräte, die den Spieler zum günstigen Preis in virtuelle Welten abtauchen lassen – inklusive verstellbarem Schmerzgrad bei Verletzungen oder dem vorzeitigen Ableben des Avatars. Irgendwie bin ich zu faul die Dinger genau zu beschreiben – tut auch nix zur Sache. Wenn ihr aber Ideen habt, wie die Dinger denn aussehen mögen, dann hinterlasst doch einfach einen kurzen Kommentar.
Aber weiter mit unserer zweifelhaften Geschichte. Für Conalf in seiner funkelnden Diamandrüstung, genannt ‚der Schrecken Aquiloniens‘, stellte der Trollgoblin kein Match dar. Einen derartig mickrigen Level-10-Unterboss verputzte unser verwunschener Held normalerweise zum Frühstück. So zerteilte der ‚Nachtdrachen‘ nach der dritten Runde den Wutzen gleich grunzenden Trollgoblin – in Zeitlupe und detailgetreu als besonderes Leckerli für den Gamer- sauber. Wie bei den Spieloptionen voreingestellt, durchströmte den mächtigen Monstertöter ein moderater Endorphinschub.
Die ‚Paystation 08/15 NG‘ bot dem Nutzer schon einige Features, aber das war nichts im Vergleich zur Deluxe-Version ‚Greenwash Light Warrior‘ aus klimaneutralen Hightech-Komponenten mit der man sogar phänomenalen Sex mit anderen Spielern oder NPC’s haben konnte, aber jenes Wunderwerk der Technik konnten sich bekanntlich nur wirklich Begüterte oder, natürlich auf Staatskosten, Öko-Funktionäre ‚der Partei‘ leisten und unser Held war eben nur ein kleiner Staatsbediensteter mit mittlerem Einkommen.
Der virtuelle Warlord und realweltliche Apparatschik machte sich nun daran, die Leiche des niedergestreckten Feindes zu plündern. Da die nun einmal leider nur aus digitalen Einzelteilen bestand, ließ sich stattdessen ein veritabler, blutverschmierter Beutesack finden – war für die 08/15 einfacher zu programmieren als den ganzen Krempel im Raum zu verteilen. Neben allerlei Heil- und Zaubertränken fanden sich noch ein No-Name-Langschwert+2 und ein Potenztrank+5 nebst einem geriffelten Kondom mit Goldkante, wobei die letzten beiden Items allerdings für die glücklichen Besitzer einer ‚Greenwash Light Warrior‘ vorgesehen waren. Jetzt fragt mich bloß nicht, was man eigentlich in einer zwar ‚gefühlsechten‘, aber virtuellen Welt mit einem Präservativ anfangen sollte, da selbst die begabtesten Softwareentwickler in diesem Universum nicht auf digitale Geschlechtskrankheiten kamen, aber als leicht vergammelter Rollenspiel-Opa fand der Autor schon die kuriosesten Gegenstände beim vorher beschriebenen Vorgang.
Der mächtige Krieger, dessen Körperbau selbst den unglaublichen Hulk als schmächtiges Kerlchen erscheinen ließ, stieß mit seiner männlich wohltönenden Stimme ein triumphierendes Lachen aus. Nun war es nicht mehr weit bis zum ersten Endgegner, einem lebenden Leichnam mit magischen Fähigkeiten namens Lemal Trivial. Der schlimme Finger beabsichtigte wohl mit Hilfe von magisch erzeugter Atomkraft die Welt zu verseuchen und seine nachhaltige Heiligkeit, den Heiland gleichen Druiden von Tingeltangel zu stürzen. Außerdem plante wohl jene unsagbare Kreatur der Nacht, die Inkarnation aller jemals gelebten Lichtgestalten, die kindliche Kaiserin Gretel*i_n mit einem furchtbar coronigen Todesvirus aus seinen Pestlaboratorien zu infizieren. Außerdem rauchte der Typ auch noch, obwohl das vermutlich für einen Untoten nicht ganz so schädlich sein dürfte.
Dat Conalf ging mit entschlossenem Schritt auf den Ischtar-Tor ähnlichen Ausgang des Dungeons zu, sich vor eventuellen Fallen auf sein mächtiges, magisches Amulett, das den heiligen Haraldus -Schutzpatron aller Alkoholiker- darstellte und vom großen Propheten Jürgenos von Horsteria mit edlem Whiskey gesalbt wurde, verlassend. So geschützt und selbstsicheren Schrittes durchschritt unser stolzer Recke die Pforte, um zu erleben, wie die virtuelle Welt sich plötzlich in ihre Bestandteile zerlegte.
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Das Erste, das Bürger_in -neuerdings offizielle Bezeichnung für die Einwohner der Absurdistanischen Demokratischen Republik- Sus Pauperem alias Dat Conalf nach seinem unsanften Erwachen aus der virtuellen Wunderwelt und dem Abnehmen der mobilen Paystation sah, war der große Schimmelfleck an seiner Decke. Zwar kratzte er die gesundheitsschädlichen Pilze regelmäßig weg, aber die permanent feuchte Stelle ließ sie regelmäßig sprießen. Seit seine 35qm Wohnung im Rahmen der großen Immobilienvergesellschaftung dem Staat gehörte, hatte sich seine horrende Miete zwar trotzdem immer weiter erhöht, aber die einst schon rudimentären Service- und Instandhaltungsmaßnahmen waren nun ganz weggefallen und man ließ die ohnehin marode Bausubstanz munter weiter verfallen. Trotzdem konnte der kleine Beamte bei der ‚Behörde zur Bekämpfung von Hasskriminalität und subversiver Meinungen‘ sich glücklich schätzen, überhaupt seine Absteige mit fließend Wasser von den Wänden per ‚Berechtigungsschein für systemrelevante Bürger_innen 3. Klasse‘ erhalten zu haben, da die Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile in ärgeren Bruchbuden hausen musste.
Obwohl eher leichtgewichtig, erhob der kleine Apparatschik seinen untrainierten, schmächtigen Körper aus dem abgewetzten Sessel, der zur heruntergekommen spärlichen Inneneinrichtung seines Kämmerleins gehörte, um den Sicherungskasten zu checken. Im ersten Moment nach dem virtuellen Armageddon vermutete unser braver Kleinstbürger, dass er einfach aus dem Netz geflogen oder der Server des MMORPG ‚World of Fakecraft‘ (WOF) einmal wieder zusammengebrochen wäre. Als der virtuelle Kriegsherr und realweltliche Knechtling jedoch den Totalausfall seiner heißgeliebten Paystation bemerkte, überkam Sus eine böse Vorahnung. Inständig hoffte unser petite bourgeois auf ein Herausspringen der leicht lebensgefährlichen Sicherungen, aber leider meinten es die Götter und das ‚Bundesamt für klimaneutrale und geschlechtergerechte Energiezuteilung‘ nicht so gut mit ihm. Im Verteilerkasten gab es keine Auffälligkeiten und eine Inbetriebnahme des staatlich verordneten Televisors schlug aus Energiemangel fehl. Nicht, dass letztere Aktion ein großer Verlust gewesen wäre, obwohl sich unser Bravbürger gemäß dem ‚Gute Nachrichten Gesetz‘ jeden Abend die fünfstündige Wochenschau des Staatsfunks hereinzog; allerdings war selbst dem untertänig propagandistisch gebildeten Beamten das debilitätspreisverdächtige Restprogramm manchmal zu nervig.
Sus Pauperem seufzte resigniert, offensichtlich hatte man einmal wieder das Viertel aus Energiemangel vom Stromnetz genommen. Naja, damit musste man zu dieser Jahreszeit, die eigentlich zu kühl und regnerisch war, rechnen. Seit eine klimatisch weise Regierung vor einigen Jahren alle konventionellen Kraftwerke außer Betrieb nahm, blieben nur noch die erneuerbaren Energien übrig und mittlerweile verscherbelte das Ausland auch nicht mehr so großzügig Kohle- und Atomstrom an die Energiebarone Absurdistans. Allerdings gab es seit dem dritten Klima-Lockdown und den Hungerunruhen nicht mehr so viele Abschaltungen in so kurzer Zeit. Vorsorglich hatte man sogar die Wahlen zur absurdistanischen Nationalversammlung auf sonnenreichere Jahreszeiten verschoben. Natürlich stand es den Wahlberechtigten seit dem Urteil des politisch wohlfeilen Verfassungsgerichts ‚zum Schutz klimaneutraler Pfründe zukünftiger Oligarchenabkömmlinge‘ nicht zu, über die Zusammensetzung des Parlaments in irgendeiner Weise mitzubestimmen, da durch diverse Quotenregelungen und Erblichkeit von Abgeordnetensitzen das sowieso feststand, aber hinsichtlich der Identifizierung jeglicher Art von Dissidenten(=‚rechte Wirrköpfe‘, ‚Klimaleugner‘…etc…), war das Wahltheater von unschätzbarem Wert. Seit dem Gesetz zur ‚geschlechtergerechten Lenkung der Demokratie‘ musste jeder Einwohner unter Angabe seiner Personalien per Internet in unregelmäßigen Intervallen lediglich darüber abstimmen, ob er mit der aktuellen Politik einverstanden war. Natürlich verzeichneten die offiziellen Resultate immer einen Zustimmungswert von 99,9 %, aber die Staatssicherheit und der Arbeitgeber unseres Apparatschiks hatten regelmäßig jede Menge zu tun, die unbelehrbaren, demokratisch subversiven Elemente zur Räson zu bringen. Das es doch tatsächlich noch diese Art von Gedankenterroristen, die den klimasündigen Gedanken von Freiheit propagierten, obwohl man neulich sogar nachhaltige Internierungslager für diese Menschheitsverbrecher einrichtete, blieb für den stolz demütigen Untertan Sus Pauperem ein ungelöstes Rätsel.
Nach diesem visionären Ausflug in eine gestohlene Zukunft wenden wir uns, obwohl mir zur trojanischen Ökomasche totalitärer Geister noch einiges einfällt, wieder unserer Geschichte zu. Wie viele in der privilegierten Beamtenschicht und Spitzenverdiener in den Resten der privaten Wirtschaft, verfügte auch unsere Sus Pauperem -nen Tipp, dat isse Latein- über einen großen Akku für solch missliche Fälle. Natürlich handelte es sich bei dem in China von fleißig rechtlosen Arbeitern hergestellten Akkumulator ‚Wuhan Pride‘ um ein Standardmodell mit limitierter Laufzeit, das sich auch der niedere Funktionärsadel mit seinen eher beschränkten Mitteln leisten konnte. Diese Option stand allerdings den beamteten Staatsbediensteten nur zur Verfügung, weil diese weitestgehend von Einkommenssteuer und anderweitigen Abgaben, die für den werktätigen Rest satte 75% des Bruttoeinkommens betrugen, befreit waren.
Voller Stolz auf seine Privilegien aktivierte der subalterne Staatsdiener das Notstromaggregat, mit falschem Mitleid an jene denkend, die jetzt Spirituskocher und Kerzen auspacken mussten. Sus dankte dem Klimagott, dass es an diesem Nachmittag noch zumindest für einige Stunden Sonnenlicht gab und er seine EU-funzelige Beleuchtung erst später benötigte. Trotzdem erforderten die Umstände einiges Nachdenken, das sich unserer braver Gutbürger mit dem Genuss eines pflanzlichen Fleischersatzproduktes versüßte, dabei zeitweilig hämisch an den größten Teil der Bevölkerung denkend, deren staatlich produzierte Armut die Unglücklichen dazu zwang, mit leckeren Gerichten auf Insektenbasis vorliebzunehmen. Da zwischenzeitlich die absurdistanische Landwirtschaft durch allerlei Gesetze und Verordnungen ministerieller Koryphäen nachhaltig ruiniert wurde, war man gezwungen, Lebensmittel im großen Stil zu importieren. Zusätzlich verteuerten als umweltrettende Bepreisungen getarnte Energiesteuern Nahrungsmittel noch zusätzlich, sodass die Lebenshaltungskosten förmlich explodierten; relativ stabil blieben dagegen die Preise für Unterhaltungselektronik. Da Religion und Klimaglaube als Opium für das Volk nur Teile desselben erreichten, brauchte man schließlich auch ein Mittel, um die Sinne der Restlichen zu benebeln.
Okay, als treuer Untertan konnte Pauperem schlecht den Televisor während der Wochenschau ausgeschaltet lassen, obwohl er trotz der simpel einseitigen Inhalte und verwendeter, einfachen Sprache durch das dort praktizierte Gendern vielem nicht folgen konnte. So sehr er sich gerne wieder in die Scheinwelt seiner Paystation geflüchtet hätte, so sagte ihm doch die Vernunft, dass die Stromsperre sich über Tage hinziehen konnte und der Akku bei moderater Auslastung maximal Energie für 24 Stunden lieferte. Ach, wie gerne wäre der kleine Apparatschik Funktionär im gehobenen Dienst aus ökologisch wertvollem Beziehungsanbau gewesen! Denen standen auf Staatskosten edle Hochleistungsakkumulatoren und sogar Lebensmittelrationen aus echtem Fleisch zur Verfügung, einmal ganz abgesehen dafür, dass sie das Vielfache seines Gehaltes bekamen und in schicken Einfamilienhäusern wohnen durften, die per Gesetz Normalsterblichen aus ‚Klimaschutzgründen‘ nicht zur Verfügung standen. An den Olymp der Führungselite des ökonomisch-polit-medialen Komplexes wagte er nicht zu denken, da für die Zugehörigkeit zur herrschenden Klasse in diesen Zeiten nur die Geburt in der richtigen Familie einzige Qualifikation war. Wie gewohnt führte die buntlackierte Noblesse ein tolles Leben ohne Einschränkungen im Luxus. Denn merke: Quod licet Iovi, non licet bovi! Und eine Wein saufende Obrigkeit, konterkarierte laut Aussage der Mächtigen und ihrer Sykophanten, nicht die Korrektheit der asketischen Wasserpredigten für die niedere Untertanenschaft.
Der Klingelton seines Smartphones riss Sus Pauperem aus den neiderfüllt süßen Träumereien. Zunächst genervt, dann aber nach der Identifikation des Absenders der SMS ängstlich, registrierte unser petite bourgeois die Nachricht, die ‚Potteros Harry‘ ihm hatte zukommen lassen. In der realen Welt war der unfähige Magier nämlich Pauperems Chef und gehörte zu jener bereits erwähnten edlen Klasse privilegierter Spesenritter, die über einen Hochleistungsakku verfügten. Da sich dank modifizierter ‚Arbeitsschutzgesetze‘ der kleine Beamte in einer gewissermaßen existentiellen Abhängigkeit -Urlaubstage, Aufhebung des Beamtenstatus …etc…- zu seinem Vorgesetzten befand, musste er auch in der virtuellen Welt seiner rollenspielbegeisterten Führungskraft ein gewisses, diplomatisches Entgegenkommen erweisen. Die Zierde aller gehoben sesselpupsenden Zauberlehrlinge mit einem Hang zur Inkompetenz -irgendwelche Gesundheitsminister mögen sich nicht beleidigt fühlen!- forderte seinen Lakaien auf, doch mit seinem Alter Ego an einem WOF-Raid gegen den klimaleugnerischen Prinzen Cretinissimus teilzunehmen. Normalerweise hätte der erfahrene Gamer abgesagt, da das Dungeon, in dem der völlig beknackte Aristokrat nebst dümmeren Monstern hauste, selbst für Anfänger definitiv keine Herausforderung darstellte. Allerdings konnte Sus aus geschilderten Gründen seinem Vorgesetzten, dessen fachliche Qualifikationen den kognitiven Fähigkeiten des virtuellen Prinzen ähnelten, keine Bitte abschlagen. So verband unsere Sus Pauperem die Paystation widerwillig mit dem Notstromaggregat und nahm sie in Betrieb, um zumindest in der virtuellen Welt der scheinwahren Illusionen ein menschenwürdiges Dasein zu führen.
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Enttäuscht, Freunde? Kann ich verstehen, aber mir wird’s doch allmählich zu depri, da für diese Dystopie keine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit existiert.

Allern Lesern und speziell den Gamern unter ihnen wünscht JU einen angenehmen Abend.

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