Einführung zu seiner Ausstellung Bilder aus meiner Heimat
Panagiotis Christogiannis wurde 1954 in Korfowoùni Artas, im Nordwesten Griechenlands geboren. Das ‚Dorf an der Spitze des Berges‘, wie der Name in freier Übersetzung lauten würde, zählt etwa zweitausend Einwohner; verstreute Häuser in der faszinierenden Berglandschaft des Ipiros, am Fuße des Pindosgebirges. Das Haus der Familie Christogiannis liegt am oberen Ende des Dorfes. Der Blick von der mit Weinlaub überdachten Terrasse geht über die ganze Ortschaft. Und wenn die Sonne über dem langgestreckten Rücken des Berges aufgeht, die Silhouetten der Höhenzüge, die Tiefen der Täler in graugoldenes Licht taucht, wenn das Geläut der Ziegenherden wie zarte Stickerei auf der morgendlichen Stille liegt, dann läßt diese frühe Stunde etwas von dem erahnen, was der Maler, der Schriftsteller in seinen Arbeiten bewahren möchte.
So zeichnet und malt schon der junge Panos mit Begeisterung. Kein Schulbuch, kaum ein weißes Blatt Papier ist vor ihm sicher. Immer wieder drängt es ihn, Eindrücke, Stimmungen festzuhalten, Gedankenbilder sichtbar zu machen.
1967 – mit dreizehn Jahren – verläßt er sein Dorf. Die folgenden Jahre führen ihn quer durch Griechenland, immer auf der Suche nach einem Beruf, der seinen Vorstellungen, seinen Wünschen nahekommt. Doch nichts kann ihn befriedigen, denn eigentlich hat er nur ein Ziel: Er möchte zeichnen, malen.
Endlich, nach Jahren vergeblichen Bemühens, kann er seinen Traum verwirklichen. An einer Athener Privatschule studiert er Zeichnen und Malerei.
Der Wunsch, in seinen Bildern die Heimat zu bewahren, die Sehnsucht nach seinen Bergen treibt ihn wieder zurück in den Norden, nach Joannina, wo er im Alter von neunzehn Jahren zum erstenmal seine Bilder ausstellt und schließlich Mitglied der Kulturförderungsakademie ‚Ipirotisches Dach für Wissenschaft und Kunst‘ wird. Hier in Joannina lernt er auch Panorea, seine spätere Frau kennen, die an der Universität Philologie studiert.
Die Jahre seines Aufenthaltes in Joannina – 1973 bis 1980 – prägen auch das künstlerische Selbstverständnis des Malers Panagiotis Christogiannis. Die herbe Landschaft des Ipiros, die kleinen Dörfer und Städte mit ihrer Jahrtausende alten, wechselvollen Geschichte, möchte er vor dem Vergessen bewahren. Landflucht und Tourismus – die einen verlassen ihre Heimat, um irgendwo das große Geld zu machen, die anderen verkaufen sie an Ort und Stelle. Übrig bleiben verfallende Dörfer im Hinterland, an den Küsten ersticken die liebevoll gestalteten Fassaden der Häuser hinter Postkarten, Andenken – an was eigentlich? – und Schildern mit Aufschriften wie ‚Paniertes Schnitzel – Bayerische Spezialitäten‘
Heimat, das ist für Christogiannis die Treppe, die in den kühlen Raum eines alten Hauses führt, das sind die Amphoren an der Wand, die Steine und Büsche am Rande des Weges, der in ein Dorf führt. Doch niemand geht auf den Wegen, keiner betritt die Häuser. Die Türen sind verschlossen. Die Menschen, die in den Häusern lebten, sie sind weg.
Und eines Tages ist auch Panagiotis Christogiannis weg. Hat er seine Heimat aufgegeben? Sucht er die Leute aus dem Dorf? Fragen, die der seit 1980 in Duisburg lebende Maler nur schwer beantworten kann. So beschreibt er den inneren Zwiespalt in seinem Text Die Tür folgendermaßen:
Du hast mich offengelassen,
als du gingst.
Warst du nur in Eile?
Oder glaubst du, du kommst zurück?
Was ihn und seine Frau Panorea nach Deutschland führt? Das Interesse an der fremden Kultur, der Wunsch, das Land dessen Sprache seine Frau unterrichten möchte, ebenfalls kennenzulernen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Zwei Jahre lang malt er kein einziges Bild. Die Sprachlosigkeit seiner Umgebung läßt auch ihn verstummen. Kultur findet in den Museen statt, geordnet und hinter Glas. Kultur im eigentlichen Sinn, und das ist auch der gute Umgang miteinander, sucht er vergebens. Die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Griechen, die Herzlichkeit der Menschen im alltäglichen Leben ist in der Anonymität der Großstadt nicht gefragt. Nur der nahegelegene Botanische Garten weckt Erinnerungen an die Heimat.
Als Panagiotis Christogiannis schließlich wieder zu malen beginnt, ist es die Auseinandersetzung mit dieser Wirklichkeit, die er im Innersten nicht akzeptiert, die ihm widernatürlich erscheint. Und so fehlt auch er, der Auswanderer, in den Bildern seiner Heimat. Der Platz auf dem Stuhl ist leer, die Treppe spürt nicht mehr seinen Tritt, auf dem Weg liegt nur noch der Schatten der Erinnerung. Diese innere Zerrissenheit des Malers wird deutlich, wenn Bildinhalte sich in mehreren Bewußtseinsebenen überlagern. Die Gestalt der Großmutter wirkt klein und verloren zwischen den Stühlen, die Gesprächspartner wie ausgestanzt, die reale Vorstellung des Nichtvorhandenseins.
Doch noch etwas ist anzumerken, scheint mir für das Verständnis der Person des Malers wichtig: Panagiotis Christogiannis malt nur noch in Deutschland. Die Besuche in der Heimat sind für ihn direktes Erlebnis, das er bis zur letzten Minute ausnutzt. Lange Gespräche mit Verwandten und Freunden, Diskussionen über unterschiedlichste Themen.
Und immer wieder die gleiche Bitte, aus der Sicht, der Erfahrung des Emigranten:
„Bewahrt eure Heimat, indem ihr sie für euch lebenswert macht.“
Warum kehrt er nicht für immer zurück?
„Später“, sagt er, „ich werde ein Haus bauen. Hier, an diesem Felsen wird die Terrasse sein.“
Die immerwährende Auseinandersetzung mit seiner Entscheidung, in der Fremde zu leben, ist auch Motor seiner künstlerischen Arbeit. Diese Bilder sind sein Beitrag zum Verständnis der griechischen Heimat. Denn die Sprache der Bilder ist, wie auch die der Musik, international. In diesem Sinne möchte ich Sie auch nicht mit Informationen über die Maltechnik oder Vermutungen, welcher Kunstrichtung, Welle oder Wildheit die Bilder zuzuordnen sind, behelligen. Es ist der Sinn dieser, meiner Ausführungen, Verständnis für den Maler und seine Werke zu vermitteln. Und es ist mein Wunsch, verehrte Gäste, daß Sie, unbelastet durch nebensächliche Informationen und sich daraus ergebende Vorurteile, mit dem Menschen, der hinter diesen Bildern zu entdecken ist, ins Gespräch kommen. Ich wünsche Ihnen, daß Sie während Ihrer Reisen – in welches Land auch immer – einem Menschen begegnen, der Ihnen seine Heimat nahebringt. Sie werden ihn allerdings nicht auf den Rennstrecken internationaler Touristikzentren finden. Und Sie müssen schon ganz schön leise sein, wenn Sie hören möchten, was Ihnen die fremden Wege und Treppen, die Bäume und die Häuser zu erzählen haben. Und wenn sich die Türen vor Ihnen wie von selbst öffnen, und ein Lächeln Sie einlädt näherzutreten, dann wissen Sie, daß Sie auf dem richtigen Weg sind.
Dieses Lächeln ist das schönste Souvenir, das je aus einem fremden Land mitgebracht wurde. Wir sollten es weiterreichen an die Fremden in unserem Land.
Dieter J Baumgart