die Zärte des Vergänglichen

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von Marie Mehrfeld

nie gelüfteter Dachboden des vertrauten alten Hauses vor
dem Abriss, mich verabschiedend atme ich ein letztes Mal
den Mahagoniduft der Erinnerung, sanfter fleckiger Glanz,

der nicht poliert werden will, was war, soll verborgen bleiben,
hat sich für immer eingesperrt in geschliffenen Kristallvasen
mit Sprung, dicht ummantelt von erschlafften Netzen längst

zerfallener Spinnen, über allem der verblasste Dufthauch von
Lavendel, Mottenkugeln und dem Nikotin seiner runzligen Finger,
sein Siegelring mit dem Wappen, dünn geschliffen vom Tragen,

stechender Geruch der selbst Gedrehten aus Gartentabak hat
sich flüsternd in den morschen Dachbalken verkrochen, ich höre
sie ächzen unter ihrem Alter, vielfacher Tod im Spiegel des

Spiegels des Spiegels des Spiegels, Leerstellen locken Tränen
der Abwesenheit, so spinne ich Garn, mach Gold aus Grau und
weiß, dich werde ich bewahren vor der Vernichtung, Schöne,

die ich nur vom Bildnis kenne, das rahmenlos eingestaubt in
der Ecke lehnt, bist hier bei mir im schummrigen Halbdunkel,
dein heller Geist rezitiert mir das Gedicht der Gedichte, so

wird Zerstückelung der Zeit verhindert, ja, ich weiß, Hunger
Jahre gab es und hilfloses einsames Weinen, doch ich spüre
auch grenzenlose Liebe und sich Geborgenfühlen, mein ur-

altes Schlummerland, du bist unzerstörbar, wirst, eingebettet
in sanfte Wiegenlieder, meine Seele hüten, so lange ich atme,
in Gedanken webe ich einen unendlichen Schal aus perlenden

Fugen, lasse mich für ein zwei Augenblicke daran hinab in
die tiefe Unterirde der Gestrigkeit, trinke Weisheit und Mut
für alles, was kommt und lobe die Zärte des Vergänglichen

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