Zwischen Akten und Formularen
saß ich einst vor dem Computer,
dort oben, das dritte Fenster von rechts.
Mein Chef diktierte auf Bändern
Klagen, Schriftsätze, Korrespondenz …
Draußen, auf der Hochstraße, fuhren
unzählige Autos an meinem Fenster vorbei.
Im Theater nebenan
spielten sie einmal Brechts
'Baal', in einer Neuinszenierung.
Ich hab 's ich mir angeschaut -
war total begeistert, hab' lange davon gezehrt.
Mein Chef verstand sich vortrefflich auf
Schachtelsätze, kunstvoll formuliert
auf Juristendeutsch mit lateinischen
Redewendungen, die ich liebte:
expressis verbis, ultima ratio …
Ich vollzog Myriaden von Sätzen nach.
Wir hatten moderne Bürostühle
und (noch) keine Rückenschmerzen;
lediglich der Kopierer war etwas zu laut
und gab zuviel Ozon ab.
Mein Chef zahlte gut und sogar ein
ein dreizehntes Gehalt, auch Urlaubsgeld,
war immer freundlich, ein guter
Anwalt und Notar, trotz vieler Erfolge
bescheiden geblieben, zufrieden.
Oft dehnten wir die Frühstückspausen
ganz erheblich aus, weil wir uns nicht einig
werden konnten über Ereignisse, die die
damalige Politik betrafen.
Ich jagte an manchen Tagen noch kurz vor
Feierabend einen Mahnbescheid durch den Drucker,
einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss,
bereitete einen Kaufvertrag für den nächsten
Tag vor, füllte den letzten Kostenfestsetzungs-
antrag mit Zahlen und Paragraphen,
scherzte mit unserem Bürovorsteher.
Feierabend: Ich notierte letzte Fristen auf
Aktendeckeln, zog die Jacke über,
klemmte mir meine prallvollen
Postmappen unter den Arm und
gab sie den Mädchen in der Anmeldung:
"Tschüss, bis morgen, ihr Hübschen!"
Kaum, dass ich das Büro verlassen hatte,
ward mein Kopf leerer und leerer.
Meine Gedanken wollten keine
Sätze mehr bilden müssen, weilten
bei den Kindern und beim Liebsten.
Aber bereits in der U-Bahn zerbrach
ich mir schon wieder den Kopf
über den Inhalt der Akte
'Namenlos gegen dito' -
ob nicht eventuell doch eine
friedliche Lösung möglich sei ...