November im Goldrausch

Bild zeigt Annelie Kelch
von Annelie Kelch

Sonne haucht letzte Glut; ihr Atem rasselt.
Meinen Gefühlen geht langsam die Kraft aus ...
Die Gedanken schweifen zu oft in ferne Sommer
der Kindheit: Das aufgeschlagene Knie
nach dem Sprung vom Dach des Holzschuppens,
der leichte Rock-and-Roll-Schuh
im frischen Teer auf der Chaussee,
das vergessene Matheheft, das ich in der
großen Pause von daheim holen wollte;
der Vater am Fenster, dem fast das Herz
stehenblieb, als ich – ohne nach rechts und
links zu schauen – mit dem Rad von der Auffahrt
in die belebte Straße bog, die Vorwürfe
nach Schulschluss, dabei wollte ich
nur pünktlich zurück sein zur vierten Stunde;
das war mit einem Mal nicht mehr so wichtig.

November – und die roten Blätter liegen
am Boden und reden noch immer von Liebe.
Unter den Bäumen schläft das taumelnde
Herbstgold den letzten Rausch aus.

Nebel schlägt eine Brücke zu dir –
aber der Wind pfeift mich zurück,
sobald ich auch nur einen Fuß
auf die unsichtbaren Sparren setze.
Du bist mir so fremd wie der Wind
und näher doch als das Kind,
das ich verlor.

Früh löscht jetzt das Dunkel des Abends,
was vom Tage übrig blieb, und schon bald fallen
meine aufgesparten Worte vom Seelenbaum
in das kleine Heft unter dem schwimmenden
Licht der Lampe.
Morgen sind sie vergessen –
wächst Gras drüber ...
wie auf dem Grab eines Kriegsbeils …

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