Integration

Bild von Willi Grigor
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Es war im Dorf ein alter Brauch:
Zum Sonntag soll alles sauber sein.

Der Mann spritzt mit dem Wasserschlauch
den Pflasterweg zum Eingang rein.
Die Frau die Fensterscheiben putzt,
den Boden mit dem Schrubber schrubbt,
die Hecke mit der Schere stutzt
und aus dem Kinn zwei Haare zupft.

Die Nachbarn auf der andern Seit'
sind neu und kennen nicht den Brauch.
Sie gucken eine kurze Zeit
und sagen sich: "Das tun wir auch!"
Der Mann mit Schwung und Besen fegt
den Gehsteig seines Teils der Straß'.
Die Frau, mit Kopftuch, aufgeregt,
wischt rein ihr reines Fensterglas.

Ihr Besen-Mann schickt einen Blick
zu seinem Nachbar vis-à-vis.
Der schickt ein Lächeln ihm zurück,
es sind die beiden noch per Sie.

Der Nachbar mit dem Schlauch, er winkt
zu seinem Sohn und sagt: "Mein Sohn,
auch wenn es für dich komisch klingt:
So funktioniert Integration!"

© Willi Grigor, 2016
Aus dem Leben

In Anlehnung an Kindheitserinnerungen aus dem Dorf Segringen bei Dinkelsbühl nach dem Krieg, in dem unsere Familie und andere Flüchtlinge eine temporäre Bleibe bekamen.
Meine Eltern und die anderen Flüchtlinge waren stets auf eine gute Nachbarschaft bedacht.

Interne Verweise

Kommentare

18. Sep 2017

Nee, lieber Willi, wenn das Integration sein soll, dann will ich niemals auswandern. Nichts gegen Sauberkeit. Aber Integration erfordert doch mehr als nur Nachahmung. Dein Beispiel ist ja noch harmlos. Aber stell dir nur mal vor, wenn nette, harmlose, zu integrierende Menschen Idioten nachmachen, wovon es leider in Deutschland eine Menge gibt ... Dann doch lieber: Integration, indem unsere Gesetze befolgt und verinnerlicht werden, insbesondere das Grundgesetz und das Strafgesetz.
Hoffentlich bist du mir jetzt nicht böse.
Deshalb
ganz liebe Grüße zu dir und deiner Frau
nach Schweden,
Annelie

18. Sep 2017

Nej, kära Annelie, ich bin dir überhaupt nicht böse.
Im Gegenteil, ich freue mich, dass du auf mein bescheidenes Gedicht reagierst. Du hast natürlich recht, aber Integration nur mithilfe von Gesetzen wird auch nicht funktionieren. Wer die Gesetze nicht befolgt, wird sich nie integrieren. Wer sich integrieren will, tut gut daran, sich die Art und Weise der Nachbarn anzuschauen.
Mein Gedicht basiert auf Beobachtungen aus meiner Kindheit. Wir waren Flüchtlinge, meine Eltern (mit deutschen Ahnen) kommen aus Rumänien. Nach dem Krieg wurden wir im bayerischen Bauerndorf Segringen aufgenommen. Dort wurde zum Wochendende "reingemacht". Sogar die Straßen (Teerbelag gab es nicht) wurden gefegt. Meine Mutter (Sie ist die "Frau mit dem Kopftuch", alle Frauen trugen Kopftuch bei solchen Arbeiten) war wohl die eifrigste, alles so zu machen, dass die Einheimischen uns nichts vorwerfen konnten. Wir Kinder wurden so erzogen. Und auf diese Art integrierte ich mich in Schweden.
So muss man mein Gedicht verstehen. Es ist keine Integrationsanleitung für die jetzige Zeit.

LG, Willi

Hier ein noch nicht veröffentlichtes Segringen-Gedicht:

Ort mit Prädikat

Ein Bauerndorf in Mittelfranken
in dieser schweren Nachkriegszeit
für Flüchtlinge zog hoch die Schranken
mit seiner warmen Freundlichkeit.

Mein Kindheitsdorf, mein Segringen,
ein Schmuckstück heute ist.
Das ob're Gasthaus, Dollinger,
kein netteres ich wüsst.

Der Blumenfriedhof nebendran,
ein Deutschlandunikat.
Fahr nicht vorbei, schau ihn dir an,
den Ort mit Prädikat.

Noch ist sie da, die alte Zeit,
dank der Erinnerung.
Ich denk zurück in Dankbarkeit
und fühl mich wieder jung.

Ein kleines Dorf in Mittelfranken
hat meine Kindheit mir gegeben.
Ich will auch hiermit dafür danken,
vor allem EUCH, die nicht mehr leben.

WG, 2017

18. Sep 2017

Danke, Willi, für das schöne Gedicht und für deine Erklärung. Ich verstehe schon, was du meinst. Meine Eltern sind übrigens auch Flüchtlinge, Kriegsflüchtlinge aus Pommern, Stettin. Das heißt: Mein Vater war in russischer Gefangenschaft in Sibirien, obwohl er alles andere als ein Nazi war, ganz im Gegenteil, wurde dann später (krank) entlassen. Gut, auch ich würde in so einem Fall möglicherweise der "Bevölkerung" zeigen, dass ich mich bis zu einem gewissen Punkt anpasse. Aber das müssen dann auch besonders nette Menschen sein und keine Spießer, die zum Beispiel jeden Samstag an ihrem Auto rumpolieren, wo es gar nichts zu polieren gibt. Also Spießer, Willi, die kann nicht ab. Wenn ich auswandern würde, dann eh nach Israel, Frankreich, Italien oder auch Schweden. Da gibt es viel weniger Spießer als hier, die glauben sie seien gute Menschen, wenn Haus und Garten so sauber sind, dass man "vom Boden essen kann" (Grusel).

Liebe Grüße nach Schweden,
Annelie

18. Sep 2017

Ich glaube, wir liegen so ziemlich auf einer Welle, Annelie.

18. Sep 2017

Das freut mich, Willi.
Eine schöne Woche wünsche ich Gulan und dir. Hoffentlich habe ich den Namen deiner Frau korrekt behalten, sonst entschuldige bitte; aber "Gulan" hört sich doch hübsch an.

Liebe Grüße,
Annelie

E.A. D.
18. Sep 2017

Uns wehte von ferne her,
der Unzeiten Wind,
ich wünsche für den Knaben so sehr,
das er hier Heimat find'
Ich wünsch so sehr dass Nachbars Gruß
Uns einlädt in die Stadt
denn er ist s, der uns zeigen kann, das wir willkommen sind
Und jeden Brauch, auch noch so fremd, den trag ich gerne mit
drum putz' ich mein blitzblankes Fenster noch einmal blitzeblank
Und zeige so ,
auf meine Art,
dem Nachbarn
meinen
Dank

Ich hoffe, ihnen nicht zu Nahe zu treten, Herr Willi Grigor,
aber dieses Gedicht " Integration " und besonders die Frau mit dem Kopftuch berühren mich , obwohl noch sehr jung bin ,schon seit gestern.

Vielen Dank

19. Sep 2017

Liebe(r) E.A. D.

Schaue mit freundlichem Blick den Menschen in die Augen. Der Rest ergibt sich.
Dass du mir einen Kommentar schicktest, hat mich erfreut.

Ich wünsche euch eine gute Zukunft
Willi Grigor

18. Sep 2017

Lieber Willi, es gibt da noch einen Punkt, mit dem ich nicht einverstanden bin. Das muss ich dir jetzt schreiben. Es ist nicht leicht für Flüchtlinge, Deutsch zu lernen - und dann sollen sie auch schon die Gesetze kennen. Nie und nimmer wird das jemandem so schnell gelingen. Und ganz besonders junge Leute kommen hier öfters mal mit dem Gesetz in Konflikt - zum großen Teil, weil sie es nicht kennen, weil in ihrer Heimat alles anders ist. Und in Hamburg gab es mal einen Politker, der alle raushaben wollte aus Deutschland, die hier mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Dieser Politiker ist - Gott sei Dank - gescheitert.
Und Fenster zweimal zu putzen, um mich integriert zu wissen, halte ich - echt jetzt - für kindisch. Nur weil Hiesige mich schief ansehen, weil ich aus einem anderen Land geflüchtet bin, weil Krieg ist, putze ich nicht mein Fenster zum zweiten Mal, wenn es sauber ist. Ich bin auch in einem anderen Land ganz "Ich": höflich, freundlich, hilfsbereit - und ich lerne zu allererst die fremde Sprache statt Fenster zu putzen. Und meine Sonnenbrille setze ich auf auf, sofern denn die Sonne scheint. Ich lasse mich nicht von Hiesigen verbiegen. Und wenn Hiesigen das nicht passt, weil ich eine Fremde bin, dann stimmt mit denen etwas nicht, und ich sehe zu, dass ich da wegkomme, aber möglichst schnell.

LG Annelie

18. Sep 2017

Liebe Annelie, ich widerspreche dir nicht.
Wie schon oben geschrieben, beschreibt das Gedicht eine Kindheitserinnerung von vielleicht 1949/50, und ist eben keine Integrationsanleitung für die jetzige Zeit. Damit möchte ich das Thema beenden und uns eine gute Nacht wünschen.

LG
Willi

08. Dez 2017

Weise Worte für einander respektierendes Zusammenleben - viele Politiker könnten davon sehr viel lernen!
Alles Gute, Walter

Ach ja: Wir sollten es nicht vergessen - wir alle sind Fremde, in den meisten Ländern dieser Erde....

08. Dez 2017

Danke für deinen einstimmenden Kommentar, Walter.

Viele Grüße nach Österreich
Willi