I
Wo‘s Irrlicht hüpft und Nebel wallt
und Wesen mancherlei Gestalt
aus Märchenspuk und alten Sagen
um Mitternacht ein Tänzchen wagen,
wo Häher, Kauz und Uhu rufen
und Nympheriche Nymphen suchen,
wo tausendfacher Grillenchor
um Birken zirpt und Teufelsmoor,
um Weyerberg und Heideland,
das bisher völlig unbekannt,
da liegt ein altes armes Dorf
inmitten Erlen, Sumpf und Torf,
wo‘s Schafe gibt samt Hirt und Hund,
da lebt man ehrlich und gesund.
Da: ein reetgedeckter Katen,
eingerahmt von Birkenstämmen,
hier: ein altes Hamme- Boot,
umspült von leisen Wasserkämmen,
in denen glitzert Abendrot.
Man wird beglückt durch klare Sicht,
und von der bösen Außenwelt
weiß hier wirklich niemand nicht,
dieser Welt voll List und Tücke,
mit Gier nach Geld und Lug und Trug,
voller Fallen, Neid und Stricke,
und alle kriegen nie genug.
Soll das nicht reichen, sie zu hassen
und für immer zu verlassen?
II
Vor etwa hundertdreißig Jahren
erscheinen sie und bleiben,
drei Maler, die begeistert waren,
sind die nicht zu beneiden?
Hierorts wollte man am Ende
dauerhaft vor Anker geh’n,
in Häusern ohne Zwischenwände
den Rest der Jahre zu besteh’n,
hier gemeinsam lieb- und lebend
sich der Natur und Kunst ergebend.
Doch wer seiner Welt entflieht,
kennt sie schlecht, denn sie kommt mit,
schleunig kam sie hinterher
mit Rathaus, Kirche, Feuerwehr,
mit Apo- Disco- Vino- Theken,
Bankfilialen mit Moneten,
Doktor‘n für jedes Zipperlein,
keiner will mehr ohne sein.
Nach und nach sind sie verschwunden,
die Mahre, Nymphen, Elben,
und die noch hiergeblieben sind,
sind nicht mehr dieselben.
Und viele alte Busenfreunde
trennten sich und gingen,
es ist nicht einfach, dicht an dicht
Kunst und Leben zu verbringen.
Die Sehnsucht nach dem NeuenLeben
hat sich leider nicht erfüllt,
und sie werden and’res finden,
das auch nicht ihren Hunger stillt.
III
Nun heißt es, einen Mythos nähren,
man muss nur fest dran glauben,
und zweitens den Tourismus mehren
und kräftig an ihm schrauben.
Nicht umsonst sagt man vom Fach:
Wo schon was ist, da kommt was nach!
Sind nicht solche Wallfahrtsorte
oft Geschöpfe der Retorte?
Erstaunlich, was sie alles bieten,
Gourmethotels mit Gutbetuchten,
Busse voll mit Frühgebuchten,
Spezialboutique für DIES&DAS,
für RÜSCH&PLÜSCH und weißnichtwas,
ein Institut für Lebenskunst,
die Szenekneipe BlauerDunst,
Lotto, Post und EDEKA,
was gesucht wird, das ist da.
Selbst Sekten hat es und Kapellen
an einigen Waldeinsamstellen,
Sterneköche, Golf&Tennis.
Galerien, Feldenkrais,
Reiterhöfe, Biogärtner,
Wäschekette „Edelweiß“…
Und im CunstClupMückenstich
ist man zünftig unter sich.
Bei Ökoschnaps und Biowein
kann Sauf- und Kungelbruder
richtig teuer lustig sein.
Ayurveda, Zen und Yoga,
Akupunkt und Akupress,
Schüsslersalze, Kneipp und Eso,
JIN&JANG und WELL und NESS.
Kaum ein Mensch von Wien bis Schwerte,
der nicht von Worpswede hörte,
egal, ob Sommer oder Winter,
ob mit Auto oder Bus,
sie kommen mit und ohne Kinder,
denn Worpswede ist ein Muss.
Worpswede? Toll, da war’n wir schon,
nächstes Jahr fährt unser Sohn.
Die Reiseleitung in der Mitte,
wallt man in den Kaffeegarten,
weil dort schon gedeckte Tische
auf den Kegelausflug warten.
Das gleiche Bild seit hundert Jahren:
Busse kommen oder fahren,
Menschen kommen oder geh’n,
W. muss man gesehen haben,
in W., da ist es gut und schön,
so kommt man und bewundert sie,
die Deutsche Künstlerkolonie.
Die jährlich nach Worpswede müssen,
sind sie alle kunstbeflissen?
Becker- oder Vogler- Freunde?
Oder mag man vielleicht beide?
Oder die und alle andern?
Fragt man sie, sagt Evchen Schmitt:
„weiß ich ganich, bünn nur mit“.
Da hat Evchen wirklich recht,
denn der Geist, den man hier sucht,
der ist weder gut noch schlecht,
und auch er ist ausgebucht,
der Inhalt ist, wie überall
zur Form geronnen,
Rauch und Schall. 2013