Wie ist die Welt so stille ...

Bild zeigt Annelie Kelch
von Annelie Kelch

Die schönsten Wochen unseres Lebens! –
Gern denk ich an sie zurück!
Wir hatten Ferien: 44 Tage, rund ... an einem Stück.

Man schickte mich allein (ich war entzückt!) in weite Ferne ...
Auch in den Schwarzwald fuhr ich immer wieder gerne.
Tante Charlotte lebte dort – in einer kleinen Stadt,
ringsum gab 's Berge, wenn auch nur im Kleinformat.

Ringsum gab 's Täler, man fiel tief in sie hinein …
Zum Mittagessen gab es sonntags Gänseklein.
Sie nähte mir das erste enge Kleid in meinem Leben:
Mein Tantchen, Schneiderin von Gottes Gnaden,
konnte sogar weben ...

… konnte auch fürstlich kochen, löste Kreuzworträtsel, superschnell,
und war auch sonst im Kopf auf Zack und ziemlich hell.
Ich suchte Rübezahl auf einem dieser kleinen Berge,
fand weder ihn noch das Schneewittchen, nicht mal
sieben Zwerge.

Fand Schmetterlinge, hörte tausend Bienen summen,
Sperlinge zwitschern und die wilden Hummeln brummeln.
Und heut?: Verwaist ist beinah jeder Strauch und Baum.
Die Artenvielfalt? Bunte Blumenwiesen? – Aus der Traum!
Leer auch die Windschutzscheiben, kein Insekt – ihr findet 's gut?
Falls ihr 's bejaht, bekomm ich einen dicken Hals und Riesenwut.

Wie ist die Welt so stille, lieber Gott ...
Mir ist, als trieben wir das Leben aufs Schafott.
In Japan wird der Kirschenbaum bestäubt – von Menschenhand:
Das letzte Bienchen hat man fortgeekelt aus dem Land.
Vogelverluste, Massenanbau: Über triste Felder schweift mein Blick.
Die neuen Fluginsekten sind aus Stahl; das gilt als chic!
Man spritzt heut ganze Lebensräume tot mit viel Elan, trara! –
DIE Morde sind längst aufgeklärt, ciao, ciao, Herr Kommissar!

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