Arrest. Erinnerung

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von Marie Mehrfeld

Die Kartoffeln in der Schütte sind verschrumpelt, treiben aus, riechen muffig erdig, und der Koksberg glitzert im Dämmerlicht, das durch das schmale Kellerfenster fällt, so wie Mutters wertvollster Ring mit dem echten Brillant, den sie tags und nachts an der linken Hand trägt. Die Decke hängt tief und ist vom Kohlenstaub schwarz gefärbt.

Beim Mittagessen hat sie wieder mal das böse böse Wort mit sch vorne ausgesprochen. Scheibenkleister. Dem Onkel ist sie mehrfach in’s Wort gefallen. Der Vater höchstpersönlich ergreift sie am Ohr, jetzt reicht’s, bis zum Abendessen bleibst du im Kohlenkeller. So gemein, die Erwachsenen. Autsch, das mit dem Ohr tut weh.

Die Türe von außen verriegelt, peng. Ihr prompt ertönendes Wutgeheul gehört zur Routine. Doch es ist beileibe nicht das erste Mal. Und die Situation ist keineswegs ausweglos. Denn draußen am Eck warten sie nämlich auf mich, das weiß sie genau, echte Freunde, Fußballspielen, ich bin gut im Tor.

Der Rest ist Routine. Erst mal der Pfiff mit Zeige- und Mittelfinger, sehr laut, den kann sie, und schon stehen Georg und Heiner vor dem Fensterchen, mit Klimmzug hievt sie sich in die richtige Höhe, legt den Kopf auf die Seite, so passt er durch, und nach kurzem Ziehen und Zerren ist’s wieder mal geschafft.

Ein, zwei Stunden vergnügt Fußball spielen und dann, um kurz vor sieben, auf dem gleichen Weg zurück in das dunkle Verließ, aus dem das Familienoberhaupt die anscheinend reuige und geläuterte Tochter ein paar Minuten später mit freundlichem Lächeln befreit.

Schön war’s …

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