Wölfe im Dorf

Bild zeigt Jürgen Wagner
von Jürgen Wagner

Es war einmal ein kleines Dorf
Die Wölfe hatten großen Hunger
Sie fraßen sich durch Haus und Hof
Der Ort war grad in tiefem Schlummer

Am Morgen war der Schrecken groß
Sie werden morgen wiederkommen
Wie werden wir die Tiere los?
Hat man sich hin und her besonnen

Ein Meister war in jenem Ort
Der setzte sich nur auf die Straße
In einer Nacht – und sprach kein Wort
Versenkte sich in hohem Maße

Und in der Tat, das Rudel kam
Es war bereits zu später Stunde
Sie waren hungrig und nicht zahm
Und kreisten um ihn in der Runde

Sie schnüffelten an seinem Ohr
An seinem Knie und seinem Nacken
Doch er blieb friedvoll wie zuvor
Die Tiere konnten ihn nicht packen

Sie kamen selbst zu einer Ruh
Vergaßen Hunger und das Wildern
Zwei legten sich sogar dazu
Und alle wurden merklich milder

„Die Angst ist unser größter Feind
Was wir vermuten, so annehmen
Wenn ihr davon Euch befreit
Dann werdet ihr sehr sicher leben“

So lehrte er die Leut‘ am Ort
Und man begann auf ihn zu hören
Die nächste Nacht war‘n viere dort
Nichts konnte ihre Sammlung stören

So kamen immer mehr hinzu
Verloren Furcht und ihre Sorgen
Mucksmäuschenstill in inn‘rer Ruh
Erlebten sie den nächsten Morgen

Im Dorf empfand man großen Dank
Man sammelte von allen Speisen
Die Reste, die man jeweils fand
Das konnte man sich schon mal leisten

Man gab‘s den Tieren manchen Tag
Die Wölfe hatten was zu fressen
Die Angst war weg und auch die Plag‘
Das Dorf beschützt, die Fehd‘ vergessen

2015 - nach einer Zen-Geschichte

Veröffentlicht / Quelle: 
Aus 'Gedichte zu Koans' - Berlin 2016
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