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vielmehr aufs höchste angespannt und überwach. Er überdachte seine Lage und kam, wie immer er sie betrachtete, zu dem Schluß, daß sie wohl einigermaßen bedenklich war, aber nicht so gefährlich, wie sie ängstlichern Gemütern vielleicht erschienen wäre. Daß man ihn sofort verdächtigen würde, Lorenzi getötet zu haben, war freilich wahrscheinlich; aber keiner konnte zweifeln, daß es im ehrlichen Zweikampf geschehen war, und besser noch: er war von Lorenzi überfallen, zum Duell gezwungen worden, und niemand durfte es ihm als Verbrechen anrechnen, daß er sich zur Wehr gesetzt hatte. Aber warum hatte er ihn auf dem Rasen liegen lassen wie einen toten Hund? Auch das durfte ihm niemand zum Vorwurf machen: rasche Flucht war sein gutes Recht, beinahe seine Pflicht gewesen. Lorenzi hätte es nicht anders gemacht. Aber konnte ihn Venedig nicht ausliefern? Sofort nach seiner Ankunft wollte er sich in den Schutz seines Gönners Bragadino stellen. Aber bezichtigte er sich so nicht selbst einer Tat, die am Ende unentdeckt bleiben oder doch nicht ihm zur Last gelegt werden würde? Gab es überhaupt einen Beweis gegen ihn? War er nicht nach Venedig berufen? Wer durfte sagen, daß es eine Flucht war? Der Kutscher etwa, der die halbe Nacht an der Straße gewartet? Mit noch ein paar Goldstücken war ihm das Maul gestopft. So liefen seine Gedanken im Kreise. Plötzlich war ihm, als hörte er hinter seinem Rücken das Getrabe von Pferden. Schon? war sein erster Gedanke. Er steckte den Kopf zum Wagenfenster hinaus, sah nach rückwärts, die Straße war leer. Sie waren an einem Gehöft vorbeigefahren; es war der Widerhall vom Hufschlag seiner eignen Pferde gewesen. Daß er sich getäuscht hatte, beruhigte ihn für eine Weile so sehr, als wäre nun jede Gefahr für allemal vorüber. Dort ragten die Türme von Mantua... »Vorwärts, vorwärts«, sagte er vor sich hin; denn er wollte gar nicht, daß es der Kutscher hörte. Der aber, in der Nähe des Ziels, ließ die Rosse aus eignem Antrieb immer rascher laufen; bald waren sie am Tor, durch das Casanova vor noch nicht zweimal vierundzwanzig Stunden mit Olivo die Stadt verlassen; er gab dem Kutscher den Namen des Gasthofs an, vor dem er zu halten hätte; nach wenigen Minuten zeigte sich das Schild mit dem goldenen Löwen, und Casanova sprang aus dem Wagen. In der Tür stand die Wirtin; frisch, mit lachendem Gesicht, und schien nicht übel gelaunt, Casanova zu empfangen, wie man eben einen Geliebten empfängt, der nach unerwünschter Abwesenheit als ein Heißersehnter wiederkehrt; er aber wies mit einem ärgerlichen Blick auf den Kutscher wie auf einen lästigen Zeugen und hieß ihn dann, sich an Speise und Trank nach Herzenslust gütlich tun. »Ein Brief aus Venedig ist gestern abend für Sie angekommen, Herr Chevalier«, sagte die Wirtin. – »Noch einer?« fragte Casanova und lief die Treppen hinauf in sein Zimmer. Die Wirtin folgte ihm. Auf dem Tisch lag ein versiegeltes Schreiben. In höchster Erregung öffnete es Casanova. – Ein Widerruf? dachte er in Angst. Doch als er gelesen, erheiterte sich sein Gesicht. Es waren ein paar Zeilen von Bragadino mit einer Anweisung auf zweihundertfünfzig Lire, die beilag, damit er seine Reise, wenn er etwa dazu entschlossen, auch nicht einen Tag länger aufzuschieben genötigt sei. Casanova wandte sich zu der Wirtin und erklärte ihr mit einer angenommenen verdrießlichen Miene, daß er leider gezwungen sei, schon in dieser selben Stunde seine Reise fortzusetzen, wenn er nicht Gefahr laufen wolle, die Stelle zu verlieren, die ihm sein Freund Bragadino in Venedig verschafft habe, und um die hundert Bewerber da seien. Aber, setzte er gleich hinzu, als er bedrohliche Wolken auf der Wirtin Stirn aufziehen sah, er wolle sich die Stelle nur erst einmal sichern, sein Dekret – nämlich als Sekretär des Hohen Rats von Venedig – in Empfang nehmen, dann, wenn er einmal in Amt und Würden sei, werde er sofort einen Urlaub verlangen, um seine Angelegenheiten in Mantua zu ordnen, den könne man ihm natürlich nicht verweigern; er lasse ja sogar seine meisten Habseligkeiten hier zurück – und dann, dann hänge es nur von seiner teuern, von seiner entzückenden Freundin ab, ob sie nicht ihr Wirtsgeschäft hier aufgeben und ihm als seine Gattin nach Venedig folgen wolle... Sie fiel ihm um den Hals und fragte ihn mit schwimmenden Augen, ob sie ihm nicht vor seiner Abfahrt wenigstens ein tüchtiges Frühstück ins Zimmer bringen dürfe. Er wußte, daß es auf eine Abschiedsfeier abgesehen war, zu der er nicht das geringste Verlangen verspürte, doch er erklärte sich einverstanden, um sie nur endlich einmal los zu sein; als sie die Treppe hinunter war, packte er noch von Wäsche und Büchern, was er am dringendsten benötigte, in seine Tasche, begab sich in die Wirtsstube, wo er den Kutscher bei einem reichlichen Mahle fand, und fragte ihn, ob er – gegen eine Summe, die den gewöhnlichen Preis um das Doppelte überstieg – bereit wäre, sofort mit den gleichen Pferden in der Richtung gegen Venedig zu fahren, bis zur nächsten Poststation. Der Kutscher schlug ohne weiteres ein, und so war Casanova für den Augenblick die schlimmste Sorge los. Die Wirtin trat ein, zornrot im Gesicht, und fragte ihn, ob er vergessen habe, daß sein Frühstück ihn auf dem Zimmer erwarte. Casanova erwiderte ihr in der unbefangensten Weise, er habe es keineswegs vergessen, und bat sie zugleich, da es ihm an Zeit mangle, das Bankhaus aufzusuchen, auf das sein Wechsel ausgestellt war, ihm gegen die Anweisung, die er ihr überreichte, zweihundertfünfzig Lire auszuhändigen. Während sie lief, das Geld zu holen, ging Casanova auf sein Zimmer und begann mit einer wahrhaft tierischen Gier das Essen hinunterzuschlingen, das bereitgestellt war. Er ließ sich nicht stören, da die Wirtin erschien, steckte nur rasch das Geld ein, das sie ihm gebracht hatte; – als er fertig war, wandte er sich der Frau zu, die zärtlich an seine Seite gerückt war, nun endlich ihre Stunde für gekommen hielt und in nicht mißzuverstehender Weise ihre Arme gegen ihn ausbreitete, – er umschlang sie heftig, küßte sie auf beide Wangen, drückte sie an sich, und als sie bereit schien, ihm nichts mehr zu