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Gäßchen, Schenken, Tanz- und Spielsälen Venedigs maskiert oder auch unmaskiert verübt; doch auch von diesen übermütigen und manchmal recht bedenklichen Streichen berichtete er, ohne irgendein anstößiges Wort zu gebrauchen, ja in einer poetisch-verklärenden Weise, als wollte er auf die Kinder Rücksicht nehmen, die wie die andern, Marcolina nicht ausgenommen, gespannt an seinen Lippen hingen. Doch die Zeit schritt vor, und Amalia schickte ihre Töchter zu Bett. Ehe sie gingen, küßte Casanova sie alle aufs zärtlichste, Teresina nicht anders als die zwei jüngern, und alle mußten ihm versprechen, ihn bald mit den Eltern in Venedig zu besuchen. Als die Kinder fort waren, tat er sich wohl weniger Zwang an, aber alles, was er erzählte, brachte er ohne jede Zweideutigkeit und vor allem ohne jede Eitelkeit vor, so daß man eher den Bericht eines gefühlvollen Narren der Liebe als den eines gefährlich-wilden Verführers und Abenteurers zu hören vermeinte. – Er sprach von der wunderbaren Unbekannten, die wochenlang mit ihm als Offizier verkleidet herumgereist und eines Morgens plötzlich von seiner Seite verschwunden war; von der Tochter des adligen Schuhflickers in Madrid, die ihn zwischen zwei Umarmungen immer wieder zum frommen Katholiken hatte bekehren wollen; von der schönen Jüdin Lia in Turin, die prächtiger zu Pferde gesessen war als irgendeine Fürstin; von der lieblich-unschuldigen Manon Balletti, der einzigen, die er beinahe geheiratet hätte, von jener schlechten Sängerin in Warschau, die er ausgepfiffen, worauf er sich mit ihrem Geliebten, dem Krongeneral Branitzky, hatte duellieren und aus Warschau fliehen müssen; von der bösen Charpillon, die ihn in London so jämmerlich zum Narren gehalten; von einer nächtlichen Sturmfahrt, die ihm fast das Leben gekostet, durch die Lagunen nach Murano zu seiner angebeteten Nonne, von dem Spieler Croce, der, nachdem er in Spa ein Vermögen verloren, auf der Landstraße tränenvollen Abschied von ihm genommen und sich auf den Weg nach Petersburg gemacht hatte – so wie er dagestanden war, in seidenen Strümpfen, in einem apfelgrünen Samtrock und ein Rohrstöckchen in der Hand. Er erzählte von Schauspielerinnen, Sängerinnen, Modistinnen, Gräfinnen, Tänzerinnen, Kammermädchen; von Spielern, Offizieren, Fürsten, Gesandten, Finanzleuten, Musikanten und Abenteurern; und so wundersam ward ihm selbst der Sinn von dem wieder neu gefühlten Zauber seiner eigenen Vergangenheit umfangen, so vollständig war der Triumph all des herrlichen durchlebten, doch unwiederbringlich Gewesenen über das armselig Schattenhafte, das sich seiner Gegenwärtigkeit brüsten durfte, daß er eben im Begriffe war, die Geschichte eines hübschen blassen Mädchens zu berichten, das ihm im Dämmer einer Kirche zu Mantua seinen Liebeskummer anvertraut hatte, ohne daran zu denken, daß ihm dieses selbe Geschöpf, um sechzehn Jahre gealtert, als die Frau seines Freundes Olivo hier am Tische gegenübersaß; – als mit plumpem Schritt die Magd eintrat und meldete, daß vor dem Tore der Wagen bereitstehe. Und sofort, mit seiner unvergleichlichen Gabe, sich in Traum und Wachen, wann immer es nötig war, ohne Zögern zurechtzufinden, erhob sich Casanova, um Abschied zu nehmen. Er forderte Olivo, dem vor Rührung die Worte versagten, nochmals mit Herzlichkeit auf, ihn mit Frau und Kindern in Venedig zu besuchen, und umarmte ihn; als er sich mit der gleichen Absicht Amalien näherte, wehrte sie leicht ab und reichte ihm nur die Hand, die er ehrerbietig küßte. Wie er sich nun zu Marcolina wandte, sagte diese: »All das, was Sie uns heute abend erzählt haben – und noch viel mehr – sollten Sie niederschreiben, Herr Chevalier, so wie Sie es mit Ihrer Flucht aus den Bleikammern gemacht haben.« – »Ist das Ihr Ernst, Marcolina?« fragte er mit der Schüchternheit eines jungen Autors. Sie lächelte mit leisem Spott. »Ich vermute«, sagte sie, »ein solches Buch könnte noch weit unterhaltender werden als Ihre Streitschrift gegen Voltaire.« – Das möchte leicht wahr sein, dachte er, ohne es auszusprechen. Wer weiß, ob ich deinen Rat nicht einmal befolge? Und du selbst, Marcolina, sollst das letzte Kapitel sein. – Dieser Einfall, mehr noch der Gedanke, daß dieses letzte Kapitel im Laufe der kommenden Nacht erlebt werden sollte, ließ seinen Blick so seltsam erflackern, daß Marcolina die Hand, die sie ihm zum Abschied gereicht, aus der seinen gleiten ließ, eh' er, sich herabbeugend, einen Kuß darauf zu drücken vermocht hatte. Ohne sich irgend etwas, sei es Enttäuschung, sei es Groll, merken zu lassen, wandte sich Casanova zum Gehen, indem er durch eine jener klaren und einfachen Gesten, die nur ihm gehörten, zu verstehen gab, daß ihm niemand, auch Olivo nicht, folgen solle.
Raschen Schritts durcheilte er die Kastanienallee: gab der Magd, die den Reisesack in den Wagen geschafft hatte, ein Goldstück, stieg ein und fuhr davon.
Der Himmel war von Wolken verhängt. Nachdem man das Dorf hinter sich gelassen, wo noch hinter armen Fenstern da und dort ein kleines Licht geschimmert hatte, leuchtete nur mehr die gelbe Laterne, die vorn an der Deichsel befestigt war, durch die Nacht. Casanova öffnete den Reisesack, der zu seinen Füßen lag, nahm Lorenzis Mantel heraus und, nachdem er ihn über sich gebreitet, entkleidete er sich unter dessen Schutz mit aller gebotenen Vorsicht. Die abgelegte Gewandung, auch Schuhe und Strümpfe, versperrte er in den Sack und hüllte sich fester in den Mantel ein. Jetzt rief er den Kutscher an: »He, wir müssen wieder zurück!« – Der Kutscher wandte sich verdrossen um. – »Ich habe meine Papiere im Hause vergessen. Hörst du? Wir müssen zurück.« Und da jener, ein verdrossener, magerer, graubärtiger Mensch, zu zögern schien: »Ich verlange es natürlich nicht umsonst. Da!« Und er drückte ihm ein Goldstück in die Hand. Der Kutscher nickte, murmelte etwas, und, mit einem gänzlich überflüssigen Peitschenhieb auf das Pferd, wandte er den Wagen. Als sie wieder durch das Dorf fuhren, lagen die Häuser alle stumm und ausgelöscht. Noch ein Stück Wegs die Landstraße hin, und nun wollte der Kutscher in die schmälere, leicht ansteigende Straße einlenken, die zu Olivos Besitzung führte. »Halt!« rief Casanova, »wir wollen nicht so nah heranfahren, sonst wecken wir die Leute auf. Warte hier an der Ecke. Ich bin bald wieder da... Und sollt' es etwas länger dauern, jede Stunde trägt einen Dukaten!« Nun glaubte der Mann ungefähr zu wissen, woran er war; Casanova merkte es an der