Casanovas Heimfahrt - Page 27

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würde. Nicht nur als ein Liebender, – als ein Geliebter will ich ein Glück genießen, das mir am Ende auch groß genug erschiene, um es mit meinem Leben zu bezahlen. Verstehen Sie mich wohl, Lorenzi. Daher darf Marcolina nicht einmal ahnen, daß ich es bin, den sie an ihren himmlischen Busen schließt; sie muß vielmehr fest davon überzeugt sein, daß sie keinen andern als Sie in ihren Armen empfängt. Diese Täuschung vorzubereiten ist Ihre Sache, sie aufrechtzuerhalten, die meine. Ohne besondre Schwierigkeit werden Sie ihr begreiflich machen können, daß Sie genötigt sind, sie vor Eintritt der Morgendämmerung zu verlassen; und um einen Vorwand dafür, daß diesmal nur stumme Zärtlichkeiten sie beglücken sollen, werden Sie auch nicht verlegen sein. Um im übrigen auch jede Gefahr einer nachträglichen Entdeckung auszuschließen, werde ich mich im gegebenen Moment anstellen, als hörte ich ein verdächtiges Geräusch vor dem Fenster, meinen Mantel nehmen – oder vielmehr den Ihren, den Sie mir zu diesem Zwecke natürlich leihen müssen – und durchs Fenster verschwinden – auf Nimmerwiedersehen. Denn selbstverständlich werde ich dem Anschein nach bereits heute abend abreisen, dann unter dem Vorgeben, ich hätte wichtige Papiere vergessen, den Kutscher auf halbem Wege zur Umkehr veranlassen und mich durch die Hintertür – den Nachschlüssel stellen Sie mir zur Verfügung, Lorenzi, – in den Garten, ans Fenster Marcolinens schleichen, das sich um Mitternacht auftun wird. Meines Gewands, auch der Schuhe und Strümpfe, werde ich mich im Wagen entledigt haben und nur mit dem Mantel angetan sein, so daß bei meinem fluchtartigen Entweichen nichts zurückbleibt, was mich oder Sie verraten könnte. Den Mantel aber werden Sie zugleich mit den zweitausend Dukaten morgen früh fünf Uhr in meinem Gasthof zu Mantua in Empfang nehmen, so daß Sie dem Marchese noch vor der festgesetzten Stunde sein Geld vor die Füße schleudern können. Hierauf nehmen Sie meinen feierlichen Eid entgegen. Und nun bin ich zu Ende.«

Er blieb plötzlich stehen. Die Sonne neigte sich zum Niedergang, ein leiser Wind strich über die gelben Ähren, rötlicher Abendschein lag über dem Turm von Olivos Haus. Auch Lorenzi stand stille; kein Muskel in seinem blassen Antlitz bewegte sich, und er blickte über Casanovas Schulter unbewegt ins Weite. Seine Arme hingen schlaff herab, während Casanovas Hand, der auf alles gefaßt war, wie zufällig den Griff des Degens hielt. Einige Sekunden vergingen, ohne daß Lorenzi seine starre Haltung und sein Schweigen aufgab. Er schien in ein ruhiges Nachdenken versunken; doch Casanova blieb weiter auf seiner Hut, und in der Linken das Tuch mit den Dukaten, die Rechte auf dem Degengriff, sagte er: »Sie haben meine Vorbedingung erfüllt als ein Ehrenmann. Ich weiß, daß es Ihnen nicht leicht geworden ist. Denn wenn wir auch keine Vorurteile besitzen, – die Atmosphäre, in der wir leben, ist von ihnen so vergiftet, daß wir uns ihrem Einfluß nicht völlig entziehen können. Und so wie Sie, Lorenzi, im Laufe der letzten Viertelstunde mehr als einmal nah daran waren, mir an die Gurgel zu fahren, so habe ich wieder – lassen Sie mich's Ihnen gestehen – eine Weile mit dem Gedanken gespielt, Ihnen die zweitausend Dukaten zu schenken – wie einem – nein, als meinem Freund; denn selten, Lorenzi, habe ich zu einem Menschen vom ersten Augenblick eine solche rätselhafte Sympathie empfunden wie zu Ihnen. Aber hätt' ich dieser großmütigen Regung nachgegeben, in der Sekunde darauf hätte ich sie aufs tiefste bereut, geradeso wie Sie, Lorenzi, in der Sekunde, eh' Sie sich die Kugel in den Kopf jagten, zur verzweiflungsvollen Erkenntnis kämen, daß Sie ein Narr ohnegleichen gewesen sind, – um tausend Liebesnächte mit immer neuen Frauen hinzuwerfen für eine einzige, der dann keine Nacht – und kein Tag mehr folgte.«

Noch immer schwieg Lorenzi; sein Schweigen dauerte sekunden-, es dauerte minutenlang, und Casanova fragte sich, wie lang er sich's noch dürfte gefallen lassen. Schon war er im Begriff, sich mit einem kurzen Gruße abzuwenden und so anzudeuten, daß er seinen Vorschlag als abgelehnt betrachte, als Lorenzi, immer wortlos, mit einer durchaus nicht raschen Bewegung der rechten Hand nach rückwärts in die Tasche seines Rockschoßes griff, und Casanova, der im gleichen Augenblick, nach wie vor auf alles gefaßt, einen Schritt zurückgetreten war, wie um sich niederzuducken – den Gartenschlüssel überreichte. Die Bewegung Casanovas, die immerhin eine Regung von Furcht ausgedrückt hatte, ließ um Lorenzis Lippen ein sofort wieder verschwindendes Lächeln des Hohns erscheinen. Casanova verstand es, seine aufsteigende Wut, deren wirklicher Ausbruch alles wieder hätte zunichte machen können, zu unterdrücken, ja zu verbergen, und, den Schlüssel mit einem leichten Kopfneigen an sich nehmend, bemerkte er nur: »Das darf ich wohl als ein Ja gelten lassen. Von jetzt in einer Stunde – bis dahin werden Sie sich mit Marcolina wohl verständigt haben –, erwarte ich Sie im Turmgemach, wo ich mir erlauben werde, Ihnen gegen Überlassung Ihres Mantels die zweitausend Goldstücke sofort zu übergeben. Erstens zum Zeichen meines Vertrauens und zweitens, weil ich ja wirklich nicht wüßte, wo ich das Gold im Laufe der Nacht verwahren sollte.« – Sie trennten sich ohne weitere Förmlichkeit, Lorenzi nahm den Weg zurück, den sie beide gekommen, Casanova, auf einem andern, begab sich ins Dorf und sicherte sich im Wirtshaus durch ein reichliches Angeld ein Gefährt, das ihn um zehn Uhr nachts vor Olivos Hause zur Fahrt nach Mantua erwarten sollte.

Bald darauf, nachdem er sein Gold vorerst an sichrer Stelle im Turmgemach verwahrt hatte, trat er in Olivos Garten, wo sich ihm ein Anblick bot, der an sich keineswegs merkwürdig, ihn in der Stimmung dieser Stunde sonderbar genug berührte. Auf einer Bank am Wiesenrand saß Olivo neben Amalia, den Arm um ihre Schulter geschlungen; ihnen zu Füßen lagerten die drei Mädchen, wie ermüdet von den Spielen des Nachmittags; das jüngste, Maria, hatte das Köpfchen auf dem Schoß der Mutter liegen und schien zu schlummern, Nanetta lag ihr zu Füßen auf den Rasen hingestreckt, die Arme unter dem Nacken; Teresina lehnte an den Knien des Vaters, dessen Finger zärtlich in ihren Locken ruhten; und als Casanova sich näherte, grüßte ihn aus ihren Augen keineswegs ein Blick lüsternen Einverständnisses, wie er unwillkürlich ihn erwartet,

Veröffentlicht / Quelle: 
Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, 1998

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