Casanovas Heimfahrt - Page 24

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sollst überhaupt immer lügen; auch Vater und Mutter und Geschwister sollst du anlügen; auf daß es dir wohl ergehe auf Erden. Merk' dir das.« – So lästerte er, und Teresina mußte es wohl für einen Segen halten, den er über sie sprach, denn sie nahm seine Hand und küßte sie andächtig wie die eines Priesters. Er lachte laut auf. »Komm«, sagte er dann, »komm, meine kleine Frau, wir wollen Arm in Arm im Saal unten erscheinen!« Sie zierte sich wohl ein wenig, lächelte aber dabei nicht unzufrieden.

Es war die höchste Zeit, daß sie aus der Tür traten, denn Olivo kam eben erhitzt mit gerunzelten Brauen die Treppe herauf, und Casanova vermutete gleich, daß unzarte Scherze des Marchese oder des Abbate über das lange Ausbleiben der Kleinen ihm Bedenken verursacht haben mochten. Seine Züge erheiterten sich sofort, als er Casanova wie zum Scherz in die Kleine eingehängt auf der Schwelle stehen sah. »Verzeihen Sie, mein bester Olivo«, sagte Casanova, »daß ich warten ließ. Ich mußte meinen Brief erst zu Ende schreiben.« Er hielt ihn Olivo wie ein Beweisstück entgegen. »Nimm ihn«, sagte Olivo zu Teresina, indem er ihr die etwas verwirrten Haare zurechtstrich, »und bring' ihn dem Boten.« – »Und hier«, fügte Casanova hinzu, »sind zwei Goldstücke, die gibst du dem Mann: er möge sich beeilen, daß der Brief noch heute richtig von Mantua nach Venedig abgehe – und meiner Wirtin möge er bestellen, daß ich... heute abend wieder daheim bin.« – »Heute abend?« rief Olivo. »Unmöglich!« – »Nun, wir werden sehen«, sagte Casanova herablassend. – »Und hier, Teresina, ein Goldstück für dich«... und auf Olivos Einrede: »Leg' es in deine Sparbüchse, Teresina; der Brief, den du in Händen hast, ist seine paar tausend Goldstücke wert.« – Teresina lief, und Casanova nickte vergnügt, es machte ihm einen ganz besondern Spaß, das Dirnchen, deren Mutter und Großmutter ihm auch schon gehört hatten, im Angesicht ihres eigenen Vaters für ihre Gunst zu bezahlen.

Als Casanova mit Olivo in den Saal trat, war das Spiel schon im Gange. Die emphatische Begrüßung der andern erwiderte er mit heitrer Würde und nahm gegenüber dem Marchese Platz, der die Bank hielt. Die Fenster waren gegen den Garten zu offen; Casanova hörte Stimmen, die sich näherten; Marcolina und Amalia kamen vorüber, blickten flüchtig in den Saal, verschwanden und waren dann nicht mehr zu sehen. Während der Marchese die Karten auflegte, wandte sich Lorenzi mit großer Höflichkeit an Casanova. »Ich mache Ihnen mein Kompliment, Chevalier, Sie waren besser unterrichtet, als ich es gewesen bin: unser Regiment marschiert in der Tat bereits morgen vor Abend aus.« Der Marchese schien erstaunt. »Und das sagen Sie uns erst jetzt, Lorenzi?« – »Es ist wohl nicht so wichtig!« – »Für mich nicht so sehr«, meinte der Marchese, »aber für meine Gattin! Finden Sie nicht?« Er lachte in einer abstoßenden heisern Art. »Übrigens ein wenig doch auch für mich! Da ich gestern vierhundert Dukaten an Sie verloren habe und am Ende keine Zeit bleibt, sie zurückzugewinnen.« – »Auch uns hat der Leutnant Geld abgewonnen«, sagte der jüngere Ricardi, und der ältere, schweigende, sah über die Schulter zu dem Bruder auf, der, wie gestern, hinter ihm stand. – »Glück und Frauen...« begann der Abbate. Und der Marchese schloß statt seiner: »Zwingt, wer mag.« – Lorenzi streute seine Goldstücke wie achtlos vor sich hin. »Da sind sie. Wenn Sie wünschen, alle auf ein Blatt, Marchese, damit Sie Ihrem Gelde nicht lange nachzulaufen haben.« Casanova verspürte plötzlich eine Art Mitleid für Lorenzi, das er sich selbst nicht recht erklären konnte; doch da er von seinem Ahnungsvermögen etwas hielt, war er überzeugt, daß der Leutnant im ersten Gefechte, das ihm bevorstand, fallen werde. Der Marchese nahm den hohen Satz nicht an; Lorenzi bestand nicht darauf; so ging das Spiel, an dem sich auch die andern in ihrer bescheidenen Weise, wie tags vorher, beteiligten, vorerst nur mit mäßigen Einsätzen weiter. Schon in der nächsten Viertelstunde wurden diese höher; und vor Ablauf der darauffolgenden hatte Lorenzi seine vierhundert Dukaten an den Marchese verloren. Um Casanova schien sich das Glück nicht zu kümmern; er gewann, verlor und gewann wieder in fast lächerlich regelmäßigem Wechsel. Lorenzi atmete auf, als sein letztes Goldstück zum Marchese hinübergerollt war und erhob sich. »Ich danke, meine Herren. Dies wird nun«, er zögerte – »für lange mein letztes Spiel in diesem gastfreundlichen Hause gewesen sein. Und nun, mein verehrter Herr Olivo, gestatten Sie mir noch, mich von den Damen zu verabschieden, ehe ich nach der Stadt reite, wo ich vor Sonnenuntergang eintreffen möchte, um meine Zurüstungen für morgen zu treffen.« – Unverschämter Lügner, dachte Casanova. In der Nacht bist du wieder hier und – bei Marcolina! Neu flammte der Zorn in ihm auf »Wie?« rief der Marchese übel gelaunt, »der Abend noch stundenfern, und das Spiel soll schon zu Ende sein? Wenn Sie wünschen, Lorenzi, mag mein Kutscher nach Hause fahren und der Marchesa bestellen, daß Sie sich verspäten.« – »Ich reite nach Mantua«, entgegnete Lorenzi ungeduldig. – Der Marchese, ohne darauf zu achten, sprach weiter: »Es ist noch Zeit genug; rücken Sie nur mit Ihren eigenen Goldstücken heraus, so wenig es sein mögen.« Und er warf ihm eine Karte hin. »Ich habe nicht ein einziges Goldstück mehr«, sprach Lorenzi müde. – »Was Sie nicht sagen!« – »Nicht eines«, wiederholte Lorenzi wie angeekelt. – »Was tut's«, rief der Marchese mit einer plötzlichen, nicht sehr angenehm wirkenden Freundlichkeit. »Sie sind mir für zehn Dukaten gut, und wenn's sein muß, für mehr.« – »Ein Dukaten also«, sagte Lorenzi und nahm Karten auf. Der Marchese schlug sie mit den seinen. Lorenzi spielte weiter, als verstände sich das nun von selbst; und bald war er dem Marchese hundert Dukaten schuldig. Casanova übernahm die Bank und hatte noch mehr Glück als der Marchese. Es war indes wieder ein Spiel zu dreien geworden, heute ließen sich's auch die Brüder Ricardi ohne Einspruch gefallen; mit Olivo und dem Abbate waren sie bewundernde Zuschauer. Kein lautes Wort wurde gewechselt, nur die Karten sprachen, und sie sprachen deutlich genug. Der Zufall des Spieles wollte, daß alles Bargeld

Veröffentlicht / Quelle: 
Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, 1998

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