Casanovas Heimfahrt - Page 22

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Tat zu ertappen oder ihnen etwas Sicheres nachzuweisen, da gerade gewisse, auf der Folter erzwungene Geständnisse sich als so unzuverlässig erwiesen haben, daß einige Mitglieder unsres Hohen Rats sich dafür aussprachen, in Hinkunft von einer solchen grausamen und dabei oft irreführenden Untersuchungsmethode lieber abzusehen. Zwar ist kein Mangel an Leuten, die sich gern in den Dienst der Regierung stellen, zum Besten der öffentlichen Ordnung und des Staatswohls; aber gerade von diesen Leuten sind die meisten als gesinnungstüchtige Anhänger der bestehenden Verfassung zu sehr bekannt, als daß man sich in ihrer Gegenwart so leicht zu einer unvorsichtigen Bemerkung oder gar zu hochverräterischen Reden hinreißen ließe. Nun wurde von einem der Senatoren, den ich vorläufig nicht nennen will, in der gestrigen Sitzung die Ansicht ausgesprochen, daß jemand, dem der Ruf eines Mannes ohne sittliche Grundsätze und überdies der Ruf eines Freigeistes voranginge – kurzum, daß ein Mensch wie Sie, Casanova, sobald er sich in Venedig wieder zeigte, zweifellos gerade in den verdächtigen Kreisen, von denen hier die Rede ist, sofortiger Sympathie und – bei einiger Geschicklichkeit von seiner Seite – bald einem rückhaltlosen Vertrauen begegnen müßte. Ja meines Erachtens würden sich mit Notwendigkeit, wie nach dem Walten eines Naturgesetzes, gerade diejenigen Elemente um Sie versammeln, an deren Unschädlichmachung und exemplarischer Bestrafung dem Hohen Rat in seiner unermüdlichen Sorge um das Wohl des Staates am meisten gelegen ist, und so würden wir es nicht nur als einen Beweis Ihres patriotischen Eifers, mein lieber Casanova, sondern auch als ein untrügliches Zeichen Ihrer vollkommenen Abkehr von all jenen Tendenzen betrachten, die Sie seinerzeit unter den Bleidächern zwar hart, doch, wie auch Sie heute einsehen (wenn wir Ihren brieflichen Versicherungen glauben dürfen), nicht ganz ungerecht büßen mußten, – wenn Sie sich bereit fänden, in dem oben angedeuteten Sinne sofort nach Ihrer Heimkehr bei den nun genügend gekennzeichneten Elementen Anschluß zu suchen, sich ihnen in freundschaftlicher Weise zuzugesellen, wie einer, der den gleichen Tendenzen huldigt, und von allem, was Ihnen verdächtig oder sonstwie wissenswürdig erschiene, dem Senat unverzüglichen und eingehenden Bericht zu erstatten. Für diese Dienste wäre man geneigt, Ihnen fürs erste einen monatlichen Gehalt von zweihundertfünfzig Lire auszusetzen, abgesehen von Extragratifikationen in einzelnen besonders wichtigen Fällen, sowie Ihnen natürlich auch alle Ihnen in Ausübung Ihres Dienstes erwachsenden Kosten (als da sind Freihalten des einen oder andern Individuums, kleine Geschenke an Frauenspersonen usw.) ohne Bedenklichkeit und Knickerei ersetzt würden. Ich verhehle mir keineswegs, daß Sie gewisse Skrupel werden niederzukämpfen haben, ehe Sie sich in dem von uns gewünschten Sinne entscheiden sollten; aber erlauben Sie mir als Ihrem alten und aufrichtigen Freunde (der auch einmal jung gewesen ist), Ihnen zur Erwägung zu geben, daß es niemals als unehrenhaft gelten kann, seinem geliebten Vaterlande irgendeinen für dessen gesichertes Weiterbestehen notwendigen Dienst zu erweisen, auch wenn es ein Dienst von einer Art wäre, wie sie dem oberflächlich und nicht patriotisch denkenden Bürger als minder würdig zu erscheinen pflegen. Auch möchte ich noch hinzufügen, daß Sie, Casanova, ja Menschenkenner genug sind, um den Leichtfertigen vom Verbrecher oder den Spötter vom Ketzer zu unterscheiden; und so werden Sie selbst es in der Hand haben, in berücksichtigungswerten Fällen Gnade vor Recht ergehen zu lassen, und immer nur denjenigen der Strafe zuzuführen, dem eine solche Ihrer eigenen Überzeugung nach gebührt. Vor allem aber bedenken Sie, daß die Erfüllung Ihres sehnlichsten Wunsches – Ihre Rückkehr in die Vaterstadt –, wenn Sie den gnädigen Vorschlag des Hohen Rates ablehnen sollten, auf lange, ja, wie ich fürchte, auf unabsehbare Frist hinausgeschoben wäre, und daß ich selbst, wenn ich auch das hier erwähnen darf, als einundachtzigjähriger Greis nach aller menschlicher Berechnung auf die Freude verzichten müßte, Sie jemals in meinem Leben wiederzusehen. Da Ihre Anstellung aus begreiflichen Gründen nicht so sehr einen öffentlichen als einen vertraulichen Charakter tragen soll, bitte ich Sie, Ihre Antwort, die ich mich anheischig mache, dem Hohen Rate in der nächsten, heute über acht Tage stattfindenden Sitzung mitzuteilen, an mich persönlich zu adressieren; und zwar mit möglichster Beschleunigung, da, wie ich schon oben andeutete, täglich Gesuche von zum Teil höchst vertrauenswürdigen Personen an uns gelangen, die sich dem Hohen Rat aus Liebe zum Vaterland freiwillig zur Verfügung stellen. Freilich gibt es kaum einen unter diesen, der es an Erfahrung und Geist mit Ihnen, mein lieber Casanova, aufzunehmen imstande wäre; und wenn Sie zu alldem noch meine Sympathie für Sie ein wenig in Betracht ziehen, so kann ich kaum daran zweifeln, daß Sie dem Rufe, der von so hoher und wohlgeneigter Stelle an Sie ergeht, freudig Folge leisten werden. Bis dahin bin ich in unveränderlicher Freundschaft Ihr anhänglicher Bragadino.

Nachschrift. Es wird mir angenehm sein, Ihnen sofort nach Ankündigung Ihres Entschlusses einen Wechsel im Betrage von zweihundert Lire auf das Bankhaus Valori in Mantua zur Bestreitung der Reisekosten auszustellen. Der Obige.«

Casanova hatte längst zu Ende gelesen, aber noch immer hielt er das Blatt vors Gesicht, um die Totenblässe seiner verzerrten Züge nicht merken zu lassen. Das Geräusch des Mahles mit Tellergeklapper und Gläsergeklirr ging indes weiter, doch niemand sprach ein Wort. Endlich ließ sich Amalia schüchtern vernehmen: »Die Schüssel wird kalt, Chevalier, wollen Sie sich nicht bedienen?« – »Ich danke«, sagte Casanova und ließ sein Antlitz wieder sehen, dem er nun dank seiner außerordentlichen Verstellungskunst einen ruhigen Ausdruck zu verleihen vermocht hatte. »Es sind vortreffliche Nachrichten, die ich hier aus Venedig erhalten habe, und ich muß unverzüglich meine Antwort absenden. Ich bitte daher um Entschuldigung, wenn ich mich sofort zurückziehe.« – »Tun Sie ganz nach Ihrem Belieben, Chevalier«, sagte Olivo. »Aber vergessen Sie nicht, daß in einer Stunde das Spiel beginnt.«

Casanova ging auf sein Zimmer, sank auf einen Stuhl, kalter Schweiß brach an seinem ganzen Körper aus, Frost warf ihn hin und her, und der Ekel stieg ihm bis zum Halse hinauf, so daß er glaubte, auf der Stelle ersticken zu müssen. Einen klaren Gedanken zu fassen, war er vorerst außerstande, und seine ganze Kraft verwandte er darauf, sich zurückzuhalten, ohne daß er zu sagen gewußt hätte, wovor. Denn hier im Hause war ja niemand, an dem er seinen ungeheuren Zorn hätte austoben können, und den

Veröffentlicht / Quelle: 
Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, 1998

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