Casanovas Heimfahrt - Page 23

Bild von Arthur Schnitzler
Bibliothek

Seiten

dumpfen Einfall, daß Marcolina irgendwie an der namenlosen Schmach mitschuldig sei, die ihm widerfahren, vermochte er immerhin noch als Tollheit zu erkennen. Als er sich zur Not gesammelt, war sein erster Gedanke, an den Schurken Rache zu nehmen, die geglaubt hatten, ihn als Polizeispion dingen zu können. In irgendeiner Verkleidung wollte er sich nach Venedig schleichen und all die Wichte auf listige Weise vom Leben zum Tode bringen – oder wenigstens den einen, der den jämmerlichen Plan ausgeheckt hatte. War es etwa gar Bragadino selbst? Warum nicht? Ein Greis – so schamlos geworden, daß er diesen Brief an Casanova zu schreiben wagte, – so schwachsinnig, daß er Casanova – Casanova! den er doch einst gekannt hatte – für einen Spion eben gut genug hielt! Ah, er kannte eben Casanova nicht mehr! Niemand kannte ihn mehr, so wenig in Venedig als anderswo. Aber man sollte ihn wieder kennenlernen. Er war freilich nicht mehr jung und schön genug, um ein tugendhaftes Mädchen zu verführen – und kaum mehr gewandt und gelenkig genug, um aus Kerkern zu entwischen und auf Dachfirsten zu turnen – aber klüger war er noch immer als alle! Und wenn er nur einmal in Venedig war, so konnte er dort treiben und lassen, was ihm beliebte; es kam nur darauf an, endlich dort zu sein! Dann war es vielleicht gar nicht nötig, irgendwen umzubringen; es gab allerlei Arten von Rache, witzigere, teuflischere, als eine gewöhnliche Mordtat wäre; und wenn man zum Schein etwa den Antrag der Herren annahm, so war es die leichteste Sache von der Welt, gerade diejenigen Leute zu verderben, die man verderben wollte, und nicht diejenigen, auf die es der Hohe Rat abgesehen hatte und die unter allen Venezianern gewiß die allerbravsten Kerle waren! Wie? Weil sie Feinde dieser niederträchtigen Regierung waren, weil sie als Ketzer galten, sollten sie in dieselben Bleikammern, wo er vor fünfundzwanzig Jahren geschmachtet, oder gar unters Beil? Er haßte die Regierung noch hundertmal mehr und mit bessern Gründen als jene taten, und ein Ketzer war er sein Leben lang gewesen, war es heute noch und mit heiligerer Überzeugung als sie alle! Er hatte sich ja selber nur eine vertrackte Komödie vorgespielt in diesen letzten Jahren – aus Langeweile und Ekel. Er an Gott glauben? Was war denn das für ein Gott, der nur den Jungen hold war und die Alten im Stich ließ? Ein Gott, der sich, wann es ihm beliebte, zum Teufel wandelte, Reichtum in Armut, Unglück in Glück, und Lust in Verzweiflung kehrte? Hast du deinen Spaß mit uns – und wir sollen zu dir beten? – An dir zweifeln ist das einzige Mittel, das uns bleibt – dich nicht zu lästern! – Sei nicht! Denn, wenn du bist, so muß ich dir fluchen! Er ballte die Fäuste zum Himmel, er reckte sich auf. Unwillkürlich drängte sich ein verhaßter Name auf seine Lippen. Voltaire! Ja, nun war er in der rechten Verfassung, seine Schrift gegen den alten Weisen von Ferney zu vollenden. Zu vollenden? Nein, nun erst sollte sie begonnen werden. Eine neue! Eine andre! – in der der lächerliche Greis hergenommen werden sollte, wie er es verdiente... um seiner Vorsicht, seiner Halbheit, seiner Kriecherei willen. Ein Ungläubiger der? Von dem man in der letzten Zeit immer wieder hörte, daß er sich aufs trefflichste mit den Pfaffen stand und zur Kirche, an Festtagen sogar zur Beichte ging? Ein Ketzer der? Ein Schwätzer, ein großsprecherischer Feigling – nichts andres! Nun aber war die fürchterliche Abrechnung nah, nach der von dem großen Philosophen nichts übrig bleiben sollte als ein kleines witziges Schreiberlein. Wie hatte er sich aufgespielt, der gute Herr Voltaire... »Ah, mein guter Herr Casanova, ich bin Ihnen ernstlich böse. Was gehen mich die Werke des Herrn Merlin an? Sie sind schuld, daß ich vier Stunden mit Dummheiten verbracht habe.« – Geschmackssache, mein bester Herr Voltaire! Man wird die Werke Merlins noch lesen, wenn die Pucelle längst vergessen ist... und auch meine Sonette wird man möglicherweise dann noch schätzen, die Sie mir mit einem so unverschämten Lächeln zurückgaben, ohne ein Wort darüber zu äußern. Doch das sind Kleinigkeiten. Wir wollen eine große Angelegenheit nicht durch schriftstellerische Empfindlichkeiten verwirren. Es handelt sich um die Philosophie – um Gott...! Wir wollen die Klingen kreuzen, Herr Voltaire, sterben Sie mir nur gefälligst nicht zu früh.

Schon dachte er daran, seine Arbeit auf der Stelle zu beginnen, als ihm einfiel, daß der Bote auf Antwort wartete. Und mit fliegender Hand entwarf er einen Brief an den alten Dummkopf Bragadino, einen Brief voll geheuchelter Demut und verlogenen Entzückens: er nehme die Gnade des Hohen Rats mit freudiger Dankbarkeit an und erwarte den Wechsel mit wendender Post, um sich seinen Gönnern, vor allem seinem hochverehrten väterlichen Freunde Bragadino sobald als möglich zu Füßen legen zu dürfen. Während er eben daran war, den Brief zu versiegeln, klopfte es leise an die Tür; Olivos ältestes Töchterlein, die Dreizehnjährige, trat ein und bestellte, daß die ganze Gesellschaft bereits versammelt sei und den Chevalier mit Ungeduld zum Spiel erwarte. In ihren Augen glimmte es sonderbar, ihre Wangen waren gerötet, das frauenhaft dichte Haar spielte bläulich-schwarz um ihre Schläfen; der kindliche Mund war halb geöffnet: »Hast du Wein getrunken, Teresina?« fragte Casanova und machte einen langen Schritt auf sie zu. – »Wahrhaftig – und der Herr Chevalier merken das gleich?« Sie wurde noch röter, und wie in Verlegenheit strich sie sich mit der Zunge über die Unterlippe. Casanova packte sie bei den Schultern, hauchte ihr seinen Atem ins Gesicht, zog sie mit sich, warf sie aufs Bett; sie sah ihn mit großen hilflosen Augen an, in denen das Glimmen erloschen war; doch als sie ihren Mund wie zum Schreien öffnete, zeigte ihr Casanova eine so drohende Miene, daß sie fast erstarrte und alles mit sich geschehen ließ, was ihm beliebte. Er küßte sie zärtlich wild und flüsterte: »Du mußt es dem Abbate nicht sagen, Teresina, auch in der Beichte nicht. Und wenn du später einen Liebhaber kriegst oder einen Bräutigam oder gar einen Mann, der braucht es auch nicht zu wissen. Du

Veröffentlicht / Quelle: 
Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, 1998

Seiten

Mehr von Arthur Schnitzler lesen

Interne Verweise