Casanovas Heimfahrt - Page 21

Bild von Arthur Schnitzler
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den schuldigen Dank auszusprechen. Plötzlich, als sie eben den Saal verlassen wollten, erklang es aus der Gegend des Gitters her von einer Frauenstimme – »Casanova« – nichts als der Name, doch mit einem Ausdruck, wie ihn Casanova noch niemals gehört zu haben vermeinte. Ob eine Einstmalsgeliebte – ob eine Niemalsgeschaute eben ein heiliges Gelübde gebrochen, um ein letztes, – oder ein erstes Mal seinen Namen in die Luft zu hauchen; – ob darin die Seligkeit eines unerwarteten Wiedersehens, der Schmerz um unwiederbringlich Verlorenes oder die Klage gezittert, daß ein heißer Wunsch aus fernen Tagen sich so spät und nutzlos erfüllte, – Casanova vermochte es nicht zu deuten; nur dies eine wußte er, daß sein Name, so oft Zärtlichkeit ihn geflüstert, Leidenschaft ihn gestammelt, Glück ihn gejubelt hatte, heute zum erstenmal mit dem vollen Klang der Liebe an sein Herz gedrungen war. Doch eben darum schien jede weitere Neugier ihm unlauter und sinnlos; – und hinter einem Geheimnis, das er nimmer enträtseln sollte, schloß sich die Tür. Hätten nicht die andern durch Blicke sich scheu und flüchtig zu verstehen gegeben, daß auch sie den gleich wieder verhallten Ruf gehört, so hätte jeder für seinen Teil an eine Sinnestäuschung glauben können; denn keiner sprach ein Wort, während sie durch den Säulengang dem Tore zuschritten. Casanova aber folgte als letzter, mit geneigtem Haupt, wie von einem großen Abschied. –

Der Pförtner stand am Tor, empfing sein Almosen, und die Gäste stiegen in den Wagen, der sie ohne weiteren Verzug heimwärts führte. Olivo schien verlegen, Amalia entrückt, Marcolina jedoch völlig unberührt; und allzu absichtlich, wie es Casanova dünkte, versuchte sie mit Amalia ein Gespräch über Angelegenheiten der Hauswirtschaft einzuleiten, das aber Olivo an Stelle seiner Gattin aufnehmen mußte. Bald nahm auch Casanova daran teil, der sich auf Fragen, die Küche und Keller betrafen, vortrefflich verstand, und keinen Anlaß sah, mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen auch auf diesem Gebiet, wie zu einem neuen Beweis seiner Vielseitigkeit, zurückzuhalten. Nun wachte auch Amalia aus ihrer Versonnenheit auf; nach dem fast märchenhaften und doch beklemmenden Abenteuer, aus dem sie eben emporgetaucht waren, schienen sich alle, besonders aber Casanova, in so irdisch alltäglicher Atmosphäre vorzüglich zu behagen, und, als der Wagen vor Olivos Hause hielt, aus dem ihnen schon einladend der Geruch von Braten und allerlei Gewürzen entgegenströmte, war Casanova gerade in der äußerst appetitreizenden Schilderung eines polnischen Pastetengerichts begriffen, der auch Marcolina mit einer liebenswürdig-hausfraulichen, von Casanova als schmeichelhaft empfundenen Teilnahme zuhörte.

In einer seltsam beruhigten, beinahe vergnügten Stimmung, über die er selbst verwundert war, saß er dann mit den andern bei Tische und machte Marcolinen in einer scherzhaft aufgeräumten Weise den Hof, wie es sich etwa für einen vornehmen ältern Herrn einem wohlerzogenen jungen Mädchen aus bürgerlichem Hause gegenüber schicken mochte. Sie ließ es sich gern gefallen und gab ihm seine Artigkeiten mit vollendeter Anmut zurück. Ihm machte es ebenso große Mühe, sich vorzustellen, daß seine gesittete Nachbarin dieselbe Marcolina war, aus deren Fenster er heute nacht einen jungen Offizier hatte flüchten sehen, der offenbar noch in der Sekunde vorher in ihren Armen gelegen war, – als es ihm schwerfiel, anzunehmen, daß dieses zarte Fräulein, das sich mit andern kaum erwachsenen Mädchen im Gras herumzuwälzen liebte, – eine gelehrte Korrespondenz mit dem berühmten Saugrenue in Paris unterhielt; und er schalt sich zugleich ob dieser lächerlichen Trägheit seiner Phantasie. Hatte er nicht schon unzählige Male erfahren, daß in jedes wahrhaft lebendigen Menschen Seele nicht nur verschiedene, daß sogar scheinbar feindliche Elemente auf die friedlichste Weise darin zusammenwohnten? Er selbst, vor kurzem noch ein im tiefsten aufgewühlter, ein verzweifelter, ja ein zu bösem Tun bereiter Mann; – war er jetzt nicht sanft, gütig und zu so lustigen Späßchen aufgelegt, daß die kleinen Töchter Olivos sich manchmal vor Lachen schüttelten? Nur an seinem ganz außerordentlichen, fast tierischen Hunger, der ihn immer nach starken Aufregungen zu überfallen pflegte, erkannte er selbst, daß die Ordnung in seiner Seele noch keineswegs völlig hergestellt war.

Mit dem letzten Gang zugleich brachte die Magd ein Schreiben, das ein Bote aus Mantua soeben für den Chevalier abgegeben hätte. Olivo, der merkte, wie Casanova vor Aufregung erblaßte, gab Auftrag, dem Boten Speise und Trank zu reichen, dann wandte er sich an seinen Gast mit den Worten: »Lassen Sie sich nicht stören, Chevalier, lesen Sie ruhig Ihren Brief.« – »Mit Ihrer Erlaubnis«, erwiderte Casanova, erhob sich, mit einer leichten Verneigung, vom Tisch, trat ans Fenster und öffnete das Schreiben mit gut gespielter Gleichgültigkeit. Es kam von Herrn Bragadino, seinem väterlichen Freund aus Jugendtagen, einem alten Hagestolz, der, nun über achtzig, und vor zehn Jahren Mitglied des Hohen Rats geworden, Casanovas Sache in Venedig mit mehr Eifer als die andern Gönner zu führen schien. Der Brief, ausnehmend zierlich, nur von etwas zittriger Hand geschrieben, lautete wörtlich:

»Mein lieber Casanova. Heute endlich befinde ich mich in der angenehmen Lage, Ihnen eine Nachricht zu senden, die, wie ich hoffe, in der Hauptsache Ihren Wünschen gerecht werden dürfte. Der Hohe Rat hat sich in seiner letzten Sitzung, die gestern abend stattfand, nicht nur bereit erklärt, Ihnen die Rückkehr nach Venedig zu gestatten, sondern wünscht sogar, daß Sie diese Ihre Rückkehr tunlichst beschleunigen, da beabsichtigt wird, die tätige Dankbarkeit, die Sie in zahlreichen Briefen in Aussicht gestellt haben, baldigst in Anspruch zu nehmen. Wie Ihnen vielleicht nicht bekannt ist, mein lieber Casanova (da wir ja Ihre Gegenwart so lange entbehren mußten), haben sich die innern Verhältnisse unsrer teuern Vaterstadt im Laufe der letzten Zeit sowohl in politischer als auch in sittlicher Hinsicht einigermaßen bedenklich gestaltet. Geheime Verbindungen bestehen, die gegen unsre Staatsverfassung gerichtet sind, ja einen gewaltsamen Umsturz zu planen scheinen, und wie es in der Natur der Dinge liegt, sind es vor allem gewisse freigeistige, irreligiöse und in jedem Sinne zuchtlose Elemente, die an diesen Verbindungen, die man mit einem härteren Worte auch Verschwörungen nennen könnte, in hervorragendem Maße teilhaben. Auf öffentlichen Plätzen, in den Kaffeehäusern, von Privatörtlichkeiten gar nicht zu reden, werden, wie uns bekannt ist, die ungeheuerlichsten, ja geradezu hochverräterische Unterhaltungen geführt; aber nur in den seltensten Fällen gelingt es, die Schuldigen auf frischer

Veröffentlicht / Quelle: 
Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, 1998

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