Casanovas Heimfahrt - Page 17

Bild von Arthur Schnitzler
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ließ sie die Arme sinken, ihre Lippen bewegten sich sonderbar, als flüsterten sie ein Gebet; wieder schweifte ihr Blick langsam suchend durch den Garten, dann nickte sie kurz, und im selben Augenblick schwang sich jemand über die Brüstung ins Freie, der bis jetzt zu Marcolinens Füßen gekauert sein mußte, – Lorenzi. Er flog mehr als er ging über den Kies zur Allee hin, durchquerte sie kaum zehn Schritte weit von Casanova, der, den Atem anhaltend, unter der Bank lag, und eilte dann jenseits der Allee, wo ein schmaler Wiesenstreif die Mauer entlang lief, den Blicken Casanovas entschwindend, nach rückwärts. Casanova hörte eine Tür in den Angeln seufzen, – es konnte keine andre sein als diejenige, durch die er selbst gestern abend mit Olivo und dem Marchese in den Garten zurückgekehrt war – dann war alles still. Marcolina war die ganze Zeit völlig regungslos dagestanden: sobald sie Lorenzi in Sicherheit wußte, atmete sie tief auf, schloß Gitter und Fenster, der Vorhang fiel nieder wie durch eigene Kraft, und alles war, wie es vorher gewesen; – nur daß indes, als hätte er nun keinen Anlaß mehr zu zögern, der Tag über Haus und Garten aufgezogen war.

Auch Casanova lag noch da, wie zuvor, die Hände vor sich hingestreckt, unter der Bank. Nach einer Weile kroch er weiter, in die Mitte der Allee, und weiter auf allen vieren, bis er an eine Stelle kam, wo er weder von Marcolinens Fenster, noch von einem andern aus gesehen werden konnte. Nun erhob er sich mit schmerzendem Rücken, reckte sich in die Höhe, dehnte die Glieder und kam endlich zur Besinnung, ja fand sich jetzt erst selber wieder, als hätte er sich aus einem geprügelten Hund in einen Menschen zurückverwandelt, der die Prügel nicht als körperlichen Schmerz, sondern als tiefe Beschämung weiter zu verspüren verdammt war. Warum, fragte er sich, bin ich nicht zu dem Fenster hin, solang es noch offen stand? Und über die Brüstung hinein zu ihr? – Hätte sie Widerstand leisten können – dürfen – die Heuchlerin, die Lügnerin, die Dirne? Und er beschimpfte sie immer weiter, als hätte er ein Recht dazu, als hätte sie ihm Treue gelobt wie einem Geliebten und ihn betrogen. Er schwor sich zu, sie zur Rede zu stellen von Angesicht zu Angesicht, ihr ins Antlitz zu schleudern, vor Olivo, vor Amalia, vor dem Marchese, dem Abbate, vor der Magd und den Knechten, daß sie eine lüsterne kleine Hure war und nichts anderes. Wie zur Übung, in aller Ausführlichkeit, erzählte er sich selber vor, was er eben mit angesehen, und machte sich das Vergnügen, allerlei dazu zu erfinden, um sie noch tiefer zu erniedrigen; daß sie nackt am Fenster gestanden, daß sie im Spiel der Morgenwinde von ihrem Geliebten sich habe unzüchtig liebkosen lassen. Nachdem er so seine Wut fürs erste zur Not beschwichtigt hatte, dachte er nach, ob mit dem, was er nun wußte, nicht doch vielleicht was Besseres anzufangen wäre. Hatte er sie jetzt nicht in seiner Gewalt? Konnte er nun die Gunst, die sie ihm gutwillig nicht gewährt hätte, nicht durch Drohungen von ihr erzwingen? Aber dieser schmähliche Plan sank sofort wieder in sich zusammen, nicht so sehr weil Casanova dessen Schmählichkeit, als weil er dessen Zweck- und Sinnlosigkeit gerade in diesem Fall erkennen mußte. Was konnten seine Drohungen Marcolina kümmern, die niemandem Rechenschaft schuldig, die am Ende auch, wenn's ihr darauf ankam, verschlagen genug war, ihn als einen Verleumder und Erpresser von ihrer Schwelle zu jagen? Und selbst wenn sie aus irgendeinem Grunde das Geheimnis ihrer Liebschaft mit Lorenzi durch ihre Preisgabe zu erkaufen bereit war (er wußte freilich, daß er etwas erwog, das außer dem Bereich aller Möglichkeiten lag), mußte ein so erzwungener Genuß für ihn, der, wenn er liebte, tausendmal heißer danach verlangte Glück zu geben, als Glück zu empfangen, sich nicht in eine unnennbare Qual verwandeln, – die ihn zum Wahnsinn und in Selbstvernichtung trieb? Er fand sich plötzlich an der Gartentür. Sie war versperrt. Lorenzi hatte also einen Nachschlüssel. Und wer – fiel ihm nun ein – war denn durch die Nacht auf trabendem Roß davongesprengt, nachdem Lorenzi sich vom Spieltisch erhoben? Ein bestellter Knecht offenbar. – Unwillkürlich mußte Casanova beifällig lächeln... Sie waren einander würdig, Marcolina und Lorenzi, die Philosophin und der Offizier. Und ihnen beiden stand noch eine herrliche Laufbahn bevor. Wer wird Marcolinens nächster Liebhaber sein? fragte er sich. Der Professor in Bologna, in dessen Hause sie wohnt? O, ich Narr. Der war's ja längst... Wer noch? Olivo? Der Abbate? Warum nicht?! Oder der junge Knecht, der gestern glotzend am Tore stand, als wir angefahren kamen? Alle! Ich weiß es. Aber Lorenzi weiß es nicht. Das hab' ich vor ihm voraus. – Zwar war er im Innersten überzeugt, daß Lorenzi nicht nur Marcolinens erster Liebhaber, sondern er vermutete sogar, daß es heute die erste Nacht war, die sie ihm geschenkt hatte; doch das hielt ihn nicht ab, seine boshaft-lüsternen Gedankenspiele weiterzutreiben, während er den Garten längs der Mauer umkreiste. So stand er denn wieder vor der Saaltür, die er offen gelassen, und sah ein, daß ihm vorläufig nichts andres zu tun übrigblieb, als ungesehen und ungehört sich zurück ins Turmgemach zu begeben. Mit aller Vorsicht schlich er hinauf und ließ sich oben auf den Lehnstuhl sinken, auf dem er schon früher gesessen; vor den Tisch hin, auf dem die losen Blätter des Manuskriptes seiner Wiederkehr nur zu warten schienen. Unwillkürlich fiel sein Auge auf den Satz, den er vorhin in der Mitte abgebrochen hatte; und er las: »Voltaire wird unsterblich sein, gewiß; aber er wird diese Unsterblichkeit erkauft haben mit seinem unsterblichen Teil; – der Witz hat sein Herz aufgezehrt, wie der Zweifel seine Seele, und also –« In diesem Augenblick brach die Morgensonne rötlich flutend herein, so daß das Blatt, das er in Händen hielt, zu erglühen anfing, und wie besiegt ließ er es auf den Tisch zu den andern sinken. Er fühlte plötzlich die Trockenheit seiner Lippen, schenkte sich ein Glas Wasser ein aus einer Flasche, die auf dem Tisch stand; es schmeckte lau und süßlich.

Veröffentlicht / Quelle: 
Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, 1998

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