Casanovas Heimfahrt - Page 15

Bild von Arthur Schnitzler
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Marchese fragte, ob sein Wagen schon wieder zurückgekommen sei. Der Abbate bejahte; er hatte ihn vor einer halben Stunde vorfahren gehört. Der Marchese lud den Abbate und die Brüder Ricardi in seinen Wagen ein; er wollte sie vor ihren Wohnhäusern absetzen; – und alle verließen das Haus.

Als die andern fort waren, nahm Olivo Casanovas Arm und versicherte ihn immer wieder, mit Tränen in der Stimme, daß alles in diesem Hause ihm, Casanova gehöre und daß er damit schalten möge, wie es ihm beliebe. Sie kamen an Marcolinens Fenster vorbei. Es war nicht nur verschlossen, auch ein Gitter war vorgeschoben, und innen senkte sich ein Vorhang herab. Es gab Zeiten, dachte Casanova, wo all das nicht nützte oder wo es nichts zu bedeuten hatte. Sie traten ins Haus. Olivo ließ es sich nicht nehmen, den Gast über die etwas knarrende Treppe bis in das Turmgemach zu begleiten, wo er ihn zum Abschied umarmte. »Also morgen«, sagte er, »sollen Sie das Kloster zu sehen bekommen. Doch schlafen Sie nur ruhig, wir brechen nicht in allzu früher Stunde auf und richten uns jedenfalls völlig nach Ihrer Bequemlichkeit. Gute Nacht.« Er ging, die Tür leise hinter sich schließend, aber seine Schritte dröhnten über die Treppe durch das ganze Haus.

Casanova stand allein in seinem durch zwei Kerzen matt erhellten Zimmer und ließ das Auge von einem zum andern der vier Fenster schweifen, die nach den verschiedenen Himmelsrichtungen wiesen. In bläulichem Glanze lag die Landschaft da, nach allen Seiten fast das gleiche Bild: weite Ebenen, mit geringen Erhebungen, nur nordwärts verschwimmende Berglinien, da und dort vereinzelte Häuser, Gehöfte, auch größere Gebäude; darunter eines etwas höher gelegen, aus dem ein Licht herschimmerte, nach Casanovas Vermutung das Schloß des Marchese. Im Zimmer, das außer dem freistehenden breiten Bett nichts enthielt, als einen langen Tisch, auf dem die zwei Kerzen brannten, ein paar Stühle, eine Kommode und einen goldgerahmten Spiegel darüber, war von sorglichen Händen Ordnung gemacht, auch war der Reisesack ausgepackt worden. Auf dem Tische lag die versperrte, abgegriffene Ledermappe, die Casanovas Papiere enthielt, sowie ein paar Bücher, deren er für seine Arbeit bedurfte und die er daher mit sich genommen hatte; auch Schreibzeug war bereit. Da er nicht die geringste Schläfrigkeit verspürte, nahm er sein Manuskript aus der Mappe und durchlas beim Schein der Kerzen, was er zuletzt geschrieben. Da er mitten in einem Absatz stehengeblieben, war es ihm ein leichtes, auf der Stelle fortzufahren. Er nahm die Feder zur Hand, schrieb hastig ein paar Sätze und hielt plötzlich wieder inne. Wozu? fragte er sich, wie in einer grausamen inneren Erleuchtung. Und wenn ich auch wüßte, daß das, was ich hier schrieb und schreiben werde, herrlich würde ohne Vergleich, – ja, wenn es mir wirklich gelänge, Voltaire zu vernichten und mit meinem Ruhm den seinen zu überstrahlen; – wäre ich nicht trotzdem mit Freuden bereit, all diese Papiere zu verbrennen, wenn es mir dafür vergönnt wäre, in dieser Stunde Marcolina zu umarmen? Ja, wäre ich um den gleichen Preis nicht zu dem Gelübde bereit, Venedig niemals wieder zu betreten, – auch wenn sie mich im Triumph dahin zurückholen wollten? Venedig!... Er wiederholte das Wort, es klang um ihn in seiner ganzen Herrlichkeit; – und schon hatte es die alte Macht über ihn gewonnen. Die Stadt seiner Jugend stieg vor ihm auf, umflossen von allem Zauber der Erinnerung, und das Herz schwoll ihm in einer Sehnsucht, so qualvoll und über alles Maß, wie er sie noch nie empfunden zu haben glaubte. Auf die Heimkehr zu verzichten erschien ihm als das unmöglichste von allen Opfern, die das Schicksal von ihm fordern dürfte. Was sollte er weiter in dieser kläglich verblaßten Welt ohne die Hoffnung, die Gewißheit, die geliebte Stadt jemals wiederzusehen? Nach Jahren und Jahrzehnten der Wanderungen und Abenteuer, nach all dem Glück und Unglück, das er erlebt, nach all der Ehre und Schmach, nach den Triumphen und nach den Erniedrigungen, die er erfahren, mußte er doch endlich eine Ruhestatt, eine Heimat haben. Und gab es eine andere Heimat für ihn als Venedig? Und ein anderes Glück als das Bewußtsein, wieder eine Heimat zu haben? In der Fremde vermochte er längst nicht mehr ein Glück dauernd an sich heranzuzwingen. Noch war ihm zuweilen die Kraft gegönnt, es zu erfassen, doch nicht mehr die, es festzuhalten. Seine Macht über die Menschen, Frauen wie Männer, war dahin. Nur wo er Erinnerung bedeutete, vermochte sein Wort, seine Stimme, sein Blick noch zu bannen; seiner Gegenwart war die Wirkung versagt. Vorbei war seine Zeit! Und nun gestand er sich auch ein, was er sich sonst mit besonderer Beflissenheit zu verhehlen suchte, daß selbst seinen schriftstellerischen Leistungen, daß sogar seiner Streitschrift gegen Voltaire, auf die er seine letzte Hoffnung gesetzt hatte, niemals ein in die Weite tragender Erfolg beschieden sein würde. Auch dazu war es zu spät. Ja, hätte er in jüngeren Jahren Muße und Geduld gehabt, sich mit derlei Arbeiten ernstlicher zu beschäftigen, – das wußte er wohl – den ersten dieses Fachs, Dichtern und Philosophen hätte er es gleichgetan; ebenso wie er als Finanzmann oder als Diplomat mit größerer Beharrlichkeit und Vorsicht, als ihm eigen war, zum Höchsten wäre berufen gewesen. Doch wo war all seine Geduld und seine Vorsicht, wo waren alle seine Lebenspläne hin, wenn ein neues Liebesabenteuer lockte? Frauen – Frauen überall. Für sie hatte er alles hingeworfen in jedem Augenblick; für edle wie für gemeine, für die leidenschaftlichen wie für die kalten; für Jungfrauen wie für Dirnen; – für eine Nacht auf einem neuen Liebeslager waren ihm alle Ehren dieser und alle Seligkeiten jener Welt immer feil gewesen. – Doch bereute er, was er durch dieses ewige Suchen und Niemals- oder Immer-Finden, durch dies irdisch-überirdische Fliehen von Begier zu Lust und von Lust zu Begier sonst im Dasein etwa versäumt haben mochte? Nein, er bereute nichts. Er hatte sein Leben gelebt wie keiner; – und lebte er es nicht noch heute in seiner Art? Überall noch gab es Weiber auf seinem Weg: wenn sie auch nicht mehr gerade toll um ihn wurden wie einstmals. – Amalia? – er

Veröffentlicht / Quelle: 
Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, 1998

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