Malte überreicht mir stolz einen Engel aus Ton. Getöpfert in der Schule, rau und unglasiert, noch nicht geschliffen vom Leben. Der irdene Himmelsbote steht fest auf dem Saum seines Gewandes. Die schmalen Flügel hat er angeklappt wie ein Käfer, die Arme hält er dicht am Körper und die Hände sind zum Gebet geschlossen. Er wird sich noch entfalten, dieser kleine Buddahengel. Sowie Malte, der bereits begonnen hat, seine Flügel auszustrecken.
Erkans Engel hat eine walnussbraune Hautfarbe, einen verkniffenen Mund und einen wüsten Schopf aus schwarzer Wolle. Um sein schreibpapierweißes Gewand hat er sich eine E-Gitarre gehängt. Ausgeschnitten aus Karton und sorgfältig bespannt mit sechs Nähfäden. Die Flügel dieses Engels sind aus Goldfolie. Doppelt gearbeitet, stark und wuchtig, und zweimal so groß wie der Engel selbst. Die Figur drückt eine Kraft aus, die ich bei dem schüchternen Erkan nicht vermutet hätte.
Der kleine Luca bringt mir einen Engel von Playmobil. Noch feucht von den aufgeregten Kinderhänden streckt mir das Engelchen einen Stern entgegen. Es trägt ein weißes Kleidchen, darüber einen goldenen Umhang und goldene Flügel. Diesen Umhang und die Flügel kann man abnehmen, für die Zeit nach Weihnachten. Praktisch, kindgerecht. Luca und sein Engelchen strahlen.
Drei Engel, so unterschiedlich wie die drei Jungen. Als hätte sich jeder von ihnen in seinem Engel verkörpert. Oder ist es umgekehrt?
Andächtig stelle ich sie neben den Adventskranz.
Die erste Kerze verbreitet ihr Licht im Halbdunkel. Es ist still im Wohnzimmer. Die Katzen kuscheln in ihren Körbchen, der Hund liegt vor der Heizung und lässt noch nicht einmal einen Schnaufer hören. Meine drei Enkel schauen mit glänzenden Augen in die Flamme. Die Schatten ihrer Engel wiegen sich hin und her, wie in einem magischen Tanz. Plötzlich ertönt ein Singen. Zuerst leise, ganz leise, dann lauter, bis Erkans Rockengel in die Seiten seiner Gitarre greift und einen klaren entschlossenen Akkord in den Himmel schickt.
Hier sind wir, hier!