Gefährlicher Sommer (Teil 5) - Page 3

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von Annelie Kelch

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hörte sich betont freundlich, aber gleich­zeitig kühl und reserviert an. Diesen besonderen Tonfall brachte nur Leni zustande.
„Darf ich dir unsere Katja, die Enkelin von Ed­mund und Anita, vorstellen?“, fuhr sie fort.
Der Fremde, der nach würzigem Tabak und Kuh­stall roch, streckte mir mit lin­kischer Gebärde seine riesige Pranke ent­gegen, eine grobe, schwielige Männer­hand. Er drückte meine Rechte ganz unver­schämt fest und verzog dabei keine Miene. Ich hätte vor Schmerzen am liebsten aufgeschrien. Gerade mal „guten Tag“ stieß der Kerl hervor und war in der nächsten Sekunde auch schon weiterge­stiefelt. Ich kam mir mit einem Mal extrem unwichtig vor, oder hatte sich etwa ein ansteckender Hautauschlag auf mein Gesicht verirrt?
„Wer um Himmels willen war dieser Kerl?“, fragte ich Leni erstaunt.
„Ach, nur der neue Gutsverwalter, Axel Kröger“, gab Leni kurz und knapp Auskunft – geradezu unwillig und für ihre Gemütsart eine Spur zu locker. Sie wandte sich um und blickte dem Fremden nach, der auf die Veranda zu­stapfte. Dabei brum­melte sie sich irgendetwas in ihren bunten Schürzenlatz. Es hörte sich gnatzig an.
Gutsverwalter? Das konnnte ja wohl nicht angehen! Ich musste mich verhört haben! Gutsverwalter war doch Knut, mein alter Freund Knut – und das bereits seit einer halben Ewigkeit! Wer zum Kuckuck war dann dieser Kröger? Und weshalb mochte Leni ihn nicht ...?
„Der Vater von Hannes, den du ja gestern schon kennenge­lernt hast“, fuhr Leni fort, als habe sie meine Gedanken gelesen. Sie sah mich prüfend von der Seite an.
Das war ja wohl die Höhe! Sie glaubte doch wohl nicht im Ernst, dass dieser Wichtigtuer mir imponiert hätte.
„Hannes verbringt die Ferien bei seiner Tante im Dorf. Die anderen zwei sind Geschwister: Krögers Nichte Kora – und Konny, sein Neffe. Ich weiß auch nicht, weshalb unser Axel sich manch­mal so schroff benimmt. Vielleicht ist er einfach nur schüchtern.“
Unser Axel? Hatte ich mich verhört? Schüchtern? Ein erwachsener Mann? Gutsver­walter?, überschlugen sich meine Gedanken, bevor mir allmählich ein Licht aufging.
„Sagtest du Guts­verwalter?“, rief ich entsetzt und ließ vor Schreck einen der beiden Körbe fallen.
„Wieso Gutsverwalter? Wo ist Knut?“
„Knu-Knu-Knut, nun ja, der Knu-Knut“, stotterte Leni hilflos wie selten oder nie, „der Knu-Knu-Knut ist nicht mehr hier. Hhm! Und jetzt frag nicht soviel. Wir müs­sen ganz flott die Eier her­schaffen. Ich muss sie noch säubern, wie­gen und in die Kartons einsor­tieren. Sie werden nachher zum Markt ge­bracht.“
„Das ist ja ganz was Neues! Der Markt in Lübeck hat doch längst begonnen!“, rief ich überrascht und sah sie entgeistert an.
Leni wich meinem Blick geflis­sentlich aus; sie schaute ein­fach zur Seite.
„Ich helfe dir, Leni“, fuhr ich eifrig fort und beschloss auf der Stelle, das treue alte Mädchen so lange zu piesacken, bis es mir den Grund für Knuts geheim­nisvolles Verschwinden verriet (denn verschwun­den war der Gute, sonst hätte er mich längst begrüßt). Ich musste um jeden Preis seinen Aufent­halt in Erfahrung bringen, selbst dann, wenn sich etwas un­erhört Furcht­bares ereignet hatte und man mich für rücksichtslos neugierig hielt. Aber meine Bemühungen um die Wahr­heit, die reine Wahrheit und nichts als ..., du weißt schon, liebe Christine, verliefen im Sande oder besser gesagt im Staub, der unter unseren Füßen weder knirschte noch auf andere Weise seine Missbilli­gung darüber kundtat, dass wir ihn mit unseren unkleidsa­men Gummistiefeln aus der Ruhe brachten. Leni hüllte sich in beharrliches Schwei­gen; sie stellte sich einfach taub. Was Knut betraf, schlüpfte kein Ster­benswörtchen mehr über ihre Lippen.
Auf dem Lachauer Hühnerhof war wie immer eine Menge los. Nichts hatte sich verändert – als wäre ich nie fortgewe­sen. Zumindest sah das auf den ersten Blick so aus.
Die sechs Hähne stol­zierten erha­ben und gebieterisch durch die Gegend, und um sie einher trippelten oder stol­perten kopflos die aufgeplusterten Hennen – fast wie im Leben der (übrigen) Mensch­heit. Oben auf der Hühnerleiter hockten ein paar halbwüchsige Kücken, die träume­risch in den Sonnenschein linsten. Die meisten Tiere jedoch, rotbrau­ne Rode­länder und helle Sussex, die Leni zufolge reichlich Eier legen, scharr­ten am Bo­den herum und pickten mit ihren gelben Schnäbeln nach Würmern und Käfern; nur wenige Hennen badeten genüsslich im Staub. Erinnerst du dich noch an je­nen Tag im letzten Sommer, als wir der guten Frie­da, der einzi­gen „Italienerin“ auf dem Hühnerhof, eine himmelblaue Schleife um den bau­schigen Hals geknotet haben und uns den ganzen Nachmittag lang vor Tante Agnes in der Scheune verbargen, weil ihr ewiges Stine-Geblöke wahnsinnig an un­seren Nerven zerrte?
Ich suchte das Gehege und den Auslauf nach Frieda ab, bis Leni end­lich zugab, dass sie im Suppentopf ge­landet war. Sie murmelte etwas von Alters­schwäche und dass Frieda eine „Mistkratzerin“ gewesen sei, ein Huhn mit geringer Legeleistung.
Das schreit ja geradezu nach Willkür! Soweit ich mich entsinne, war Frieda voriges Jahr noch quick­lebendig. Vielleicht hat sie uns zu sehr vermisst und ist darüber vor lauter Kummer verkalkt. Ich weiß, du isst auch gerne Hühnerfri­kassee, trotzdem ... musste es ausgerechnet Frieda sein?!
„Sieh doch mal, Katja", begann Leni eifrig, wie um mich abzulenken (als hätte sie es mit einer schmollenden Dreijährigen zu tun), „dort drüben spaziert unser neuer Hahn, der Goldene Brakel. Frau Brandner hat ihn aus Frankreich mitgebracht, von einer Geflügelausstellung."
Sie zeigte auf einen herrlich bun­ten Gockel, dessen Kopf, Hals und Brust in warmen, leuchtenden Brauntönen glänzten und den Anschein erweckten, als hätte sie jemand mit goldener Farbe besprüht. In das tiefschwarze Ge­fieder an Bauch und Rücken waren honigfar­ben schimmernde Querbänder eingewebt. Darüber fielen anmutig und leicht ein paar einzelne Federn, die Funken versprühten, als bestünden sie aus purem Gold. Auf seinem stolzen Haupt thronte ein kräftiger, tiefroter Kamm. Seine Läufe glitzerten schieferblau, und der spitze Schnabel erstrahlte im Son­nenlicht wie ein schillernder Regenbogen. Er war mit Abstand das schönste Tier im Hühnerrevier und stolzierte im Hof einher wie anno dazumal ein französicher König. Kein Wunder, dass er den Hennen mäch­tig imponierte. Sie ließen ihn keine Sekunde lang aus den starren, glänzenden Augen und gackerten sich die Schnäbel fusselig, um seine Aufmerksam­keit zu erregen. Frieda hätte ihn geliebt. -
Ich wunderte mich, dass die Tür zum Hühnerhaus weit ge­öffnet stand. Wegen der Ratten und Mader hatte Knut ihn über Nacht stets verschlossen gehalten. Knut, mein guter alter Knut! Wo mochte er jetzt wohl sein ...? Wenn ich auch nur eine Sekunde lang an ihn dachte, wurde mir von einem zum anderen Moment höchst elend zumute.

Wir begrüßten und streichelten die Glucken, die auf ihren Legenestern hockten und brüteten.
Einige Hennen kauerten dicht zusammengedrängt auf ihren mit Hühnermist be­kleckerten Stangen, Feder an Feder, als wollten sie sich gegenseitig wärmen – bei dieser im wahrsten Sinne des Wortes brütenden(!) Hitze. Sie wirkten reser­viert, fast verschüchtert, nahezu ängstlich.
Vielleicht wappnen sie sich auf diese Weise gegen die unsanfte Behandlung, die Leni ihnen hin und wieder zuteil werden lässt, wenn die Gnädigste sie unter Zeitdruck gesetzt hat, dachte ich.
Leni stellte mich dem Geflügelgeschwader als „Zuckerei-Katja" vom letz­ten Jahr vor, weil Hühner angeblich ein Gedächnis hätten, das allenfalls von zwölf bis Mittag reiche.

Tief gebückt, um nicht mit den Köpfen an die Querbalken zu stoßen, auf die hinauf sich etliche Tiere geflüchtet hatten und dort vor sich hindösten, krochen wir durch das Hühnerhaus. Ich besann mich auf das schwer­fällige Geflatter dieser freiheitsliebenden Vögel, an ihre linkischen Versuche, sich wie Alba­trosse in die Lüfte zu erheben und davonzufliegen und fragte mich, wie sie es geschafft hatten, auf die hohen Streben zu gelangen. Mir persönlich ist noch nie ein Huhn begegnet, das höher als einen halben Meter geflattert wäre.

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Ihr könnt davon ausgehen, dass, zumindest in diesem Teil, 80 % der „Ereignisse" und Schilderungen wahr sind; so wahr, wie ich jetzt hier sitze und schreibe.

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