Die neue Winter-Erfindung

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von Alf Glocker

Winter-Erfindung? Ich will doch nicht den Winter neu erfinden – ich möchte seine Auswirkungen lindern ... Ich habe mir gedacht, ich nehme arme Schlucker auf, die sonst sehr wahrscheinlich kläglich verenden würden. Nein, keine Menschen – wir leben in einem Wohlfahrtsstaat. Für die ist gesorgt und zwar für alle. Das wird doch wenigstens immer wieder behauptet. Und die Tiere haben es auch gut. Also sorge ich für die Kleintiere. Und nachdem ich keiner Fliege etwas zuleide tun kann, fange ich auch gleich bei den Fliegen an.

Sobald es draußen richtig kalt geworden ist öffne ich Fenster und Türen sperrangelweit und lasse herein, was sich da draußen nicht mehr wohl fühlt. Bald ist die Stube voller Fliegen – es heißt ja auch „Stubenfliegen“ - also warum nicht?! Bald kommen noch eine Menge kältescheuer Spinnen dazu. Jetzt wird’s „gefährlich“. Natürlich nicht für mich, den Ekel einmal außen vor gelassen, nein, gefährlich wird es für die vielen Fliegen, weil die Spinnen doch sofort anfangen, ihre Netze zu weben.

Aber was soll ich machen?! Wenn die einen nicht fliegen und die anderen nicht spinnen, ist ja keiner zufrieden! Sie müssen demnach tun, was sie nicht lassen können. Wenn dann der eine, respektive die eine oder andere gefressen wird, kann ich auch nichts machen – oder? Da kommt mir eine geniale Idee: die Toilette und das Bad ist für die Spinnen, das Arbeitszimmer und das Schlafzimmer ist für die Fliegen, das Wohnzimmer für Käfer, Asseln und Wanzen. Die tun sich gegenseitig nicht viel.

Sollte ich einmal meine Ruhe haben wollen, dann kann ich ja im Keller schlafen – zwischen all dem Geziefer, das sich dort befinden mag, mir aber bislang weitestgehend unbekannt geblieben ist. Ich muss vorher nur die ganzen Völkerschaften versorgen. Die entsprechenden Nahrungsmittel schlage ich im Internet nach, damit auch jeder bekommt, was er braucht, und nicht etwa etwas, das komplett gegen seine sonstigen Lebensgewohnheiten verstößt. Notfalls zapfe ich mir halt selber Blut ab und biete es an. Und noch was muss ich veranlassen:

Ich muss aufpassen, daß die Haustüre später nicht mehr offensteht und daß nicht gelüftet wird, damit sich meine Untermieter nicht erkälten, aus Versehen hinausfliegen oder krabbeln, oder sonst wie zu Schaden kommen, aber auch, daß ich mich nicht zu ruckartig bewege, wenn grad einer von ihnen ungeschickt von der Decke hängt, bzw. „gedankenverloren“ auf einem Möbelstück herumlungert. Mir ist durchaus bewusst, daß ich mir da einiges vorgenommen habe, aber ich bin fest entschlossen, mich notfalls, zum Wohl ALLER Hausbewohner auch gerne stechen, beißen, infizieren, traktieren oder vergiften zu lassen.

Nur so kann auch ich den kommenden Winter guten Gewissens überstehen, ohne immer traurig aus dem Fenster schauen zu müssen und der vielen Kadaver zu gedenken, die sich in der freien Natur anhäufen. Schließlich bin ich ein Mensch! Daraus geht hervor, daß ich mitfühle – und zwar nicht nur mit einigem Wenigen, nicht nur mit meinesgleichen, sondern auch mit restlos allen anderen Lebensformen! Ich bin angehalten zu verstehen, was sie bewegt, und schon rein deshalb verpflichtet, den Hilfesuchenden auch zu helfen – und das ohne Ansehen der „Person“. Wie ich dann im Frühjahr aussehe, falls es für mich noch eines geben sollte, sei großzügig dahingestellt!

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