Vom Götterfunken zum Do-it-Your-self-Produkt

Bild von Dieter J Baumgart
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Wir schreiben den 7. März. Draußen hat es geschneit, der Tag kommt über ein mittleres Grau nicht hinaus und für morgen sind in Montpellier -5° C angesagt. Der Kamin mampft die dicksten Eichenbrocken wie nichts weg. Ja, gewiß, werden Sie sagen, ist halt Winter. Aber hier gehört er um diese Zeit nicht mehr hin, nicht mit Schnee und fünf Grad unter Null. Jeden Abend trage ich unsere wilden Orchideen Cymbidium einsteinii in den alten Gemeindebackofen und heute werden sie den ganzen Tag drin zubringen. Aus ihrer Heimat, den höher gelegenen Regenwäldern Südamerikas, sind sie Kälte gewohnt, brauchen sie, um ihre wunderschönen Blüten zu entwickeln. Aber was zuviel ist, ist zuviel. Die Dolden sind schon bereit, sich zu öffnen. Und das wollen wir dieser verunglückten Jahreszeit nicht opfern.
Was das mit dem Thema Freude zu tun hat? Nichts, eben. Aber vielleicht gibt das Abstand. Ich freue mich auf den Frühling, ich habe mich gefreut. Angesichts des Schnees heute ist es bei der Vorfreude geblieben. Sie soll ja die schönste sein – sagt der Volksmund. Aber wenn ich all die Pflanzen sehe, die unter der Schneelast ihre Zweige hängen lassen, dann geht der Vorfreude auch die Puste aus. Wenn morgen die Sonne scheint, ist sie vielleicht wieder da, die Vorfreude.
Die Vorfreude ist ein Versprechen, das selten gehalten wird. Und wenn sie dann doch kommt, die Freude, dann wurde schon soviel Erwartung in die Vorfreude investiert, das aus der Freude die Luft raus ist. Das ist dann auch keine reine Freude mehr.
Überhaupt: die reine Freude, gibt es die eigentlich? Oh ja, aber... Im Zeitalter der universellen Selbstbedienung machen wir uns eine Freude, und das geht dann nicht selten in die Hose. Denn je mehr wir aufwenden, an Zeit und Geld und was es sonst so alles an Fördermitteln gibt, um so höher werden die Ansprüche an das Produkt Freude. Wir erwarten eine Lieferung frei Haus, die unseren Wünschen, unserer Vorfreude entspricht. Und wenn das Ergebnis nicht befriedigt, dann wird sich geärgert, nach links und rechts geschaut, wo sich auch geärgert wird, man sieht’s nur nicht, und noch ein Versuch. Die wahre Freude – das ist sicher – bleibt auf der Strecke.
Die sanfte kleine Schwester der Freude ist das Lächeln. Unauffällig und doch überaus ansteckend widersteht es allen Mißbrauchsversuchen und erstarrt zum Grinsen, wenn es in falsche Gesichter gerät. Ein solcher Selbstschutz wäre der Freude auch zu wünschen. Doch das Problem liegt schon im Ursprung dieser beiden Vertreter der sympathischen Gemütsregungen. Während die Freude nur all zu schnell menschlicher Selbstsucht zum Opfer fällt, ist das Lächeln ein unsichtbarer Schmetterling, der erst auf den Lippen eines infizierten Menschen sichtbar wird. Beide sind wichtige Regulatoren im menschlichen Zusammenleben, beide waren sie zu Beginn selbständig. Die Freude, schon immer etwas vorlauter als das zurückhaltende Lächeln, bezahlte diese Eigenschaft bald mit der Abhängigkeit vom Charakter des jeweiligen Nutzers, sie wurde benutzt.
Doch wann tritt nun die Freude in ein Menschenleben? Bekannt ist, daß der erste Schrei kein Freudenschrei ist. Er dient vielmehr der Inbetriebnahme der Atmungsorgane, kräftigt die Lungenflügel und erheischt allgemein Aufmerksamkeit, was Zuwendung und das Angebot von Nahrung betrifft. Und nun wird es interessant. Denn jetzt kommt die Freude erstmals ins Spiel und erhellt ihren eigentlichen Ursprung. Es ist die Erwartung eines bereits als angenehm registrierten Ereignisses: Die mütterliche Brust. Dieses Ereignis wird noch nicht durch die Augen, sondern durch die Lippen angekündigt. Und hier findet sich schon ein Hinweis auf die Köstlichkeit des ersten Kusses und die Freuden – und Leiden – der Liebe. Dazwischen liegen Jahre des Lernens, denn der Umgang mit der manipulierbaren Freude ist kompliziert und nicht gefahrlos. Kenntnisse über Risiken und Nebenwirkungen müssen im Learning-by-doing-Verfahren erworben werden. Daß Schadenfreude eine der häßlichsten Variationen ist, stellt sich spätestens heraus, wenn man selbst das Opfer wird. Andere Variationen verändern unmerklich den Charakter, und die Auswirkungen zeigen sich in der Regel, wenn es zu spät ist.
Soweit, so schlecht. Nun sind da neben der eigentlichen, der Lebensfreude, die Menschen einander näher bringt, Achtung und Verständnis für Andere und Anderes beflügelt und im weitesten Sinne Menschlichkeit befördert, die sogenannten kleinen Freuden. Sie sollen hier nicht unerwähnt bleiben, stehen sie doch für das Schmunzeln aus kleinstem, schadenfreiem Anlaß. Sie zu empfinden, setzt lediglich ein verträgliches Maß an Humor und gutem Willen voraus. Die kleinen Freuden sind die Blümchen am Rande des Lebensweges. Man findet sie hin und wieder auch auf kleineren Abwegen, wenngleich die Gefahr, an etwas Unbekömmliches zu geraten, nicht unbedingt von der Hand zu weisen ist.
Es beginnt schon in der frühen Kindheit, wenn die Erwachsenen, vertieft in wichtige Themen, vergessen, den kleinen Erdenbürger in die Heia zu schicken. Der sitzt dann mucksmäuschenstill still in einer Ecke und lauscht voller Freude nach dem Motto Dabeisein ist alles. Später dann beim ersten Stelldichein, das heutzutage Date heißt, ist es die Freude, wenn die Angebetete nach einer Dreiviertelstunde doch noch erscheint und beim Abschied sogar ein erster Kuß gewährt wird. Nein, nein, ich lasse mich nicht davon abbringen, das gibt es heute auch noch. Es ist nur ein wenig aus der Mode, so etwas zuzugeben – wetten?
Und dann im hohen Alter und bei funktionierendem Langzeitgedächtnis ist es die Erinnerung an diese kleinen Freuden und vielleicht auch die eine oder andere große Freude, die Sie frei von Eigennutz Jemandem machen durften, der sie dann dankbar mit Ihnen geteilt hat. Es ist die Sorte von Freude, die ein Leben lang wärmt.

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Kommentare

05. Mär 2019

Es war mir 'ne Freude, diese tollen Zeilen zu lesen :)

Liebe Grüße
Ella

06. Mär 2019

Danke, Ella, das ist sehr lieb, auch ich habe mich über Ihre Anmerkungen sehr gefreut.

Herzlich
Dieter J