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An jenem Tag im Februar nahm der Vater des vierzehnjährigen Schülers Kristman seinem Sohn den Salamander weg - jenes spannenlange, fingerdicke Tier mit dem regenbogenfarbig gelben Bauch. Ja, an jenem Tag, morgens, als aus der Wohnung die grünen und die braunen Weinflaschen verschwanden, verschlungen wurden von der schmierigen Metallbude der Flaschenrücknahme am der Ecke, hob der Vater ihn aus dem Glaskäfig. Über der Stadt funkelte grell der Himmel, nach Brot duftender Dampf quoll durch die geöffnete Eisentür der Bäckerei neben dem Kino hinauf in der morgendlichen Himmel, und in den schmalen Straßen der Innenstadt manövrierten große Lastwagen herum, voll gestopft mit Pullovern aus China, billigen Radios, Ledersesseln, ja, nur auf Geld war keine Aussicht. An jenem Tag fegte eisiger Wind die Straße hinab und liefen auf der Trabrennbahn, auf dem grauen Rasen Mangrove, Milano, Kokott, und im Keller der Bezirksschule sackte der rostzerfressene Ofen in sich zusammen, und so kühlten langsam die Klassenzimmer aus und die Schüler wurden nach Hause geschickt.
Und an jenem Tag entdeckte István Kristman das Verschwinden seines Salamanders. Er lief seinem Vater hinterher, rannte bis zur Eckkneipe, drängte sich schwitzend vor in der Menschenmasse, dort stand sein Vater im braunen Pullover und nahm Wetten auf den Salamander an. Ein Tisch stand in der Mitte der Kneipe, darauf ein Aluminiumtablett mit Zeitungsschnipseln, Servietten, Streichholzschachteln; in der Mitte der Salamander. Der Vater lachte, ein jeder lachte, sie häuften das Geld neben das Tablett, nichts wird dem Salamander passieren, rief der Vater, er sondert Feuchtigkeit ab und löscht das Feuer, es ist ja ein Salamander. Ja, so rief der Vater dort in der Kneipe, an jenem Nachmittag. Mit einem Feuerzeug zündeten sie das Ganze an, das Tier zappelte, schnappte nach Luft, aus seiner Haut sickerte Feuchtigkeit, löschte das Feuer, inmitten des Menschenringes, und István Kristman sprang seinen Vater an. Mit dem unbändigen, edlen Schwung, zu dem nur Halbwüchsige fähig sind. Mitten hinein in die behaarte Hand, hinein in die unregelmäßigen Ohrfeigen, in die Flüche, dort, in der Mitte der Kneipe. Der Vater nahm ihn mit hinaus in die Toilette, sagte leise: Mein guter Sohn, nichts wird dem Salamander passieren, der Junge lehnte sich schluchzend an die schmierigen Kacheln, Leute kamen ihnen nach, der Vater sah sich um, lachte erneut, ich habe sichere Tipps für die Trabrennbahn, schrie er, Nevada im Einlauf, Isonzo wird gewinnen. Der Sohn stand seinem Vater gegenüber und sagte: Dreckskerl.
Der Vater schlug ihn nicht noch einmal, in der Kneipe wird jeder nur einmal verprügelt, selbst ein Kind, scheel wandte er sich um und ging zurück zu den anderen in den Radau. An der Wand standen fröhliche Zigeunermädchen in bunten Kleidern, lauter Schönheiten, ihre Zähne blitzten, sie zwitscherten lebhaft, es war Vormittag, sie hatten die Welt noch nicht in Besitz genommen. István Kristman rieb sich die Augen, ging auch zurück und griff nach dem Salamander. In die weiche Asche. Aber an jenem Tag, dort in der Kneipe, gebot ihm eine Stimme Einhalt, die Stimme eines unbekannten Mannes, lass den Salamander in Ruhe!, donnerte sie feindselig. Der Vater riss ihn weg vom Tisch, du bekommst ihn noch nicht, du Rotznase, rasier dich erstmal, mit einer Klinge rasier dich, dein Vater, das bin ich. Wieder lachten sie, gib ein Pfand für den Salamander, sagte jemand von der Theke her, eines um das andere, das ist jetzt die Regel. Siegestrunkenes Gelächter durchfegte die Kneipe, sauerer Zigarettenrauch schwebte über klebrigem Haar, in der Ecke tranken sie dünnen Grog. Bring Tausendschön dafür, sagte eine Stimme neben der Theke, die Blume der blumigen Seele, meinetwegen vom Friedhof. Der Vater nickte, so sei es, amen, hielt ein goldgelbes Bier vor seinen Pullover, braun und gelb zusammen, zwei abstoßende Farben, das sah István Kristmann, als er auch langsam nickte.
Die Sonne ging missmutig auf an jenem Tag und blieb den ganzen Tag trübe, machte sich langsam gen Westen, schien kraftlos hinunter auf die Stadt, auf die Straße, den Gehsteig vor der Kneipe, auf den Jungen, damals im Februar. Gebrechliche Alte kehrten Straße, gebrechliche Leute verkauften Zeitungen in den zugigen Unterführungen, die Hallen-Tennismeisterschaft begann, und unter einer Turnhalle bewegte sich leicht die Erde. Die Mädchen in Sportdress schrien auf, immer wieder, die Ringe pendelten im sanften Bogen, im Umkleideraum begannen die Hähne zu tropfen. Noch ist das Ende der Welt nicht gekommen, das ist noch weit hin, besänftigte der Turnlehrer die am Fuße der Wand kauernden Mädchen, das Parkett ächzt umsonst, das bedeutet gar nichts, glaubt mir nur. Inzwischen erhöhte die Weltbank ihr Grundkapital, donnerten die Straßenbahnen auf dem Ring entlang, in einem Budaer Gymnasium lehrte die Lehrerin gerade die Blumennamen auf English, Vergissmeinnicht: forget-me-not, Tausendschön: daisy, die Mädchen lachten, forgetmenot daisy, wiederholte die Lehrerin. Feine, verlegen Ruhe machte sich in der Klasse breit, das Gesicht eines Mädchens namens Dézi errötete, wurde vielleicht noch schöner dadurch, ein Junge erblasste und senkte den Kopf, Forget-me-not and daisy, skandiert die Lehrerin, und die Klasse wiederholte selig. Das schon Wochen andauernde Fieber eines acht Monate alten Babys ging endlich zurück, von seiner Haut verschwand der rote Ausschlag, die Firma Levi´s veranstaltete im Volkskundemuseum eine Modenschau, Mannequins, heulender Rock. Sein Klassekamerad lieh István Kristman kein Geld, er schüttelte düster den Kopf und er schickte ihn fort.
Es war kalt, leere Taxen fuhren träge durch die Innenstadt, der Schwachsinn hielt an, "Nadrág-Hose, Divat-Mode" warben die Boutiquen in den Toreinfahrten und ein kleines Kind entdeckte traurig, dass sein in einer Schachtel verstauter Magnet die Kraft verloren hatte. Inzwischen hatte Istváns Kristmans Vater genug Geld in der Kneipe gewonnen, er steckte den halb verbrannten Salamander in eine winzige Pappschachtel. Die Kirchen läuteten zu Mittag, die Plätze füllten sich mit tiefdumpfem Klang, und der Mann mit der Schachtel unter dem Arm machte sich auf den Weg zur Trabbrennbahn.
Dort trieb er einen Stallburschen auf, der ihm hinter den Ställen für Geld Tipps gab; deswegen schlug den Jungen ein Jockey eine halbe Stunde später, Blut strömte auf das schmutzige Stroh, die Pferde in den Boxen hoben schnaubend die Köpfe, der Junge verteidigte sich nicht, Wolfsgesetze herrschten bei den Pferden, schönes, niederträchtiges Profitum, er stand mit steifem Körper da und wimmerte