Poldi ist nicht nur unser Nachbar, sondern auch ein Rauhaarteckel, 11 Jahre alt, männlich, saufarben und mit ockerrötlichen Einsprengseln an beiden Seiten des Backenbartes, die seine ebenso kuriose wie seriöse Erscheinung noch aufwerten. Er interessiert sich kaum für andere Hunde, ist sich sozusagen selbst genug und gehört dem älteren Ehepaar, dessen Grundstück in der Ecke rechts hinter den Kompostboxen und dichten Gebüschen etwa zwei Meter an unseres grenzt. Ab und zu hört man sein wohl- und volltönendes Organ, aber immer nur ganz kurz, dann kommt nämlich von mindestens einem seiner Leute im Befehlston „Poldi, still!“. Darauf hört man von Poldi ein kurzes Stöhnen, ein "Wff", und dann kommt eine vorwurfsvolle Gardinenpredigt, die er zwar auswendig kennt und die ihn dennoch jedesmal fertig macht: „So ein böser Hund, so ein böser böser Hund, noch eeiinn Maaal, du…! Aaaber, böser Poldi, na warte!“ Dann legt er sich wahrscheinlich in eine Ecke des kleinen Gartens und stellt sich schlafend, ein Auge ab und zu blinzelnd geöffnet, um die Lage zu prüfen, wobei sich der aktive Augapfel untenherum in Weiß zeigt. Das Bellen wurde ihm als Jagdhund zwar in die Wiege gelegt, doch hatte er sozusagen von Kleinauf Berufsverbot. Dabei hat er ein angenehm tiefes und souverän klingendes Timbre, das eher beruhigt als stört, man hört förmlich Zuverlässigkeit, Ernsthaftigkeit und Charakter, das ist kein Gekläff oder Wichtigtuerei wie bei Yorkshires mit roter Haarschleife. Seinen sonoren Bass würde man ihm gar nicht zutrauen, aber Dackel und Teckel werden bekanntlich oft unterschätzt. Und man sagt Rauhaarteckeln Sturköpfigkeit, Eigensinn, Mut und einen ausgeprägten Geruchssinn nach (den sie ja auch von berufswegen brauchen), alles Eigenschaften, die das Zusammenleben mit ihnen allerdings nicht unbedingt erleichtern, man kennt das ja auch von Menschen. Wenn also etwas Ungewöhnliches passiert, sich ein Fremder nähert, eine Katze oder eine Amsel, das merkt Poldi sofort mit seiner feinen Nase, dazu braucht er die ausgeprägte Neugier seines Herrchens nicht, der mit wachen Augen stets die ganze Straße samt Kreuzung im Visier hat und unterwegs jedermann tief ins Grundstück und in die Augen sieht.
Poldi ist sozusagen ein Zugereister, denn früher war er immer nur an den Wochenenden da, wenn die Schwiegermutter von Herrn K. ihn mitbrachte. Schon damals kamen Schimpf und Schande über ihn, wenn er "Wuff" machte, und später wurde er der alten Dame zu viel und blieb für immer.
Kürzlich passierte etwas sehr Ungewöhnliches, kurz nach dem Mittagessen. Herr und Frau K. legten sich im Schlafzimmer zur Ruhe, Poldi lag im Wohnzimmer, und die Terrassentür war angelehnt. Dann tat sie sich etwas auf, und zwei Männer kamen zwar leise aber zielstrebig herein, um sich mal nach Barem bzw. Brauchbarem umzusehen. Sie durchsuchten alle Schiebladen und Schränke, konnten auch allerlei gebrauchen und verschwanden nach wenigen Minuten auf demselben Weg, den sie gekommen waren. Poldi hatte alles beobachtet, ohne Angst, Angst kennt ein Rauhaarteckel nicht, aber er hatte sich gerade jetzt erstmalig an seine gute Erziehung erinnert und nicht mal Weff gemacht, sondern absolut gar nichts.
2011/ Sammlung: Hund