Wie charakterlos ist, einen „einwandfreien“ Charakter zu haben?

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von Alf Glocker

Kann man das definieren? Ist es möglich, einen schlechten Charakter von einem guten Charakter zu unterscheiden? Kann ein offensichtlich, also anerkannt einwandfreier Charakter, ganz nebenbei, nein hauptsächlich, absolut mies sein? Sind das Glaubenssfragen, oder hat es etwas mit einem Phänomen zu tun, das bislang weitestgehend unbekannt ist, oder womöglich zu bleiben hat? Könnte es sein, daß sich Ehrlichkeit und logisches Denkvermögen ergänzen müssen, damit ein Weg zwischen an den Haaren herbeigezogenen Erklärungen und jener Wirklichkeit gefunden werden kann, die ausschlaggebend für die Gewährleistung einer halbwegs vertretbaren Zukunft ist.

Wie müssen wir ermitteln, was ein „einwandfreier Charakter“ überhaupt ist. Kann und muss das interpretiert werden? Wenn ja, dann begeben wir uns jetzt am besten nicht in unsere gegenwärtige Zukunft und sagen „der Messias hatte einen einwandfreien Charakter“, denn in seiner Vergangenheit stand das keineswegs außer Frage! Also können wir auch nicht sagen, wenn wir heute – wie die Mehrheit der Römer damals – dem Mainstream folgen, dann haben wir einen einwandfreien Charakter ... denn der Messias hatte ihn zu seiner Zeit ja auch nicht, obwohl er dem Mainstream nicht folgte.

Kurios, nicht wahr?! Als Delinquent, sprich „Übeltäter“ landete das arme Menschenwesen an zwei gekreuzten Hinrichtungspfählen, und wenn es ihn überhaupt nicht gegeben hat, dann waren es eben andere, die dort landeten. Sie landeten, quasi unsanft (sehr blumig umschrieben), dort, wo alle Verbrecher, oder Leute landen, die keinen „einwandfreien“ Charakter haben, hatten, haben werden, oder auch nicht aufbringen können ... denn das Leben ist hauptsächlich von der Schizophrenie geprägt.

Es ist sehr, sehr schwer herauszufinden, ob der „einwandfreie Charakter“ nun dem Delinquenten gehört oder dem Häscher (der ja nur seine Arbeit macht). Die ersten Sympathien liegen zweifelsfrei auf Seiten der Häscher, da sie das aktuelle Regelsystem verkörpern und von daher als Vorbilder gelten dürfen. Wer sie später mal irgendwann dafür verteufeln mag, geht ihnen zu Lebzeiten am A... vorbei. Damals wie heute und hoffentlich nicht für alle Ewigkeit, befindet sich dieser „einwandfreie Charakter“, der im JETZT erlebt wird, eindeutig im Vorteil.

Ihm dürfen die Massen folgen, die sich – unfähig ein eigenes, wohl durchdachtes Bild vom Leben zu entwickeln – aus taktischen Gründen stets täuschen lassen, um immer konform urteilen zu können. Da kann ein tatsächlich einwandfreier Charakter schon mal überflüssig anmuten. Wer möchte sich denn mit dem Unrat wahrhaftiger Logik beschmutzen, wenn man dafür nur angefeindet wird? Das Dasein ist eine Frage des Augenblicks! Was später einmal kommt, ist zweitrangig.

Man muss nur aufpassen, daß man durch seinen „einwandfreien Charakter“ nicht in die Versuchung kommt, etwas derart falsch zu beurteilen, daß man praktisch von der Zukunft eingeholt wird, bevor man ihr Eintreten überhaupt vermutet hat. Das wäre fatal! Dann müsste man sich zu Lebzeiten noch vorwerfen lassen, man hätte gar keinen gehabt – gar keinen einwandfreien Charakter, sondern den nur vorgespiegelt, um nicht angefeindet zu werden.

Das haut dann, erfrischenderweise, das stärkste Scheusal um. Das kann doch keiner wollen! Schon aus diesem Grund würde es sich direkt rentieren, zwischendurch die Sachlage zu überschlagen und zur Abwechslung darüber nachzudenken, wem man durch seine Haltung schadet. Ist das womöglich der Falsche, sind das die Falschen? Und wem nützt man damit? Etwa gar noch Individuen, die alles haben, nur eben keinen einwandfreien Charakter!

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Ein göttliches Dilemma

Einmal hü und einmal hott,
fragen wir den lieben Gott,
wann wir lieb und artig sind,
und dann trauen wir dem Wind.

Er weht uns hin, er weht uns her,
die Liebe find' kein Ende mehr,
wir tragen sie in unseren Herzen –
mit und ohne Gliederschmerzen.

Unsere Seelen sind so rein,
wie der frisch gepanschte Wein,
doch das soll uns gar nicht stören,
weil wir auf das Gute schwören ...

das Gute ist, ach weiß der Teufel,
irgendwas, ganz ohne Zweifel –
jedenfalls sind wir es nicht!
Dafür sind wir nicht ganz dicht!!

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