Der Himmel brennt. Purpurfarbene Flammen züngeln über einen orangeroten Grund. Feine blaugraue Zirruswolken durchziehen sie wie Rauch. Aus den blattlosen Baumkronen vor dem Krankenhausfenstern stiegen die Krähen auf. Zu hunderten ziehen sie ihre Kreise durch das Morgenrot.
„Wenn sie uns doch nur mitnehmen würden, in eine bessere Welt…“
Felicia, meine Bettnachbarin, seufzt. Felicia aus Polen.
Resigniert schüttele ich den Kopf,
„ich glaube, wir haben noch einen langen steinigen Weg vor uns.“
Felicia und ich liegen im dritten Stockwerk des städtischen Krankenhauses. Scheinbar vergessen von dieser Welt, von den Ärzten, und dem Pflegepersonal. Diese Welt hat gestern Silvester gefeiert. Ohne uns. Um 18 Uhr haben uns die Schwestern einen „guten Rutsch“ gewünscht und die Zimmertür hinter sich zugezogen. Diese schwere Zimmertür, durch die kein Laut dringt, keine Schritte, kein Lachen. Die uns vom Leben abschneidet und die nur zu den Malzeiten geöffnet wird.
Im Grunde ist es uns recht, Felicia und mir. Wir sind erschöpft. Erschöpft von den vielen CTs, MRTs, Gewebeentnahmen und Knochenmarkpunktionen. Wir sind erschöpft von den vielen Gesprächen mit den Assistentsärzten, die ihr Bestes tun, sich aber doch in Wenn und Aber und Vielleicht verlieren. Wir sind es leid, auf unsere Familien zu warten, die uns in ihrem Feiertagsmodus scheinbar vergessen haben. Und wir sind hungrig. Hungrig von dem Krankenhausessen, das jeden Tag das Gleiche ist, unbekömmlich und einen ekelerregenden Geruch verströmend, sobald man die Wärmehaube anhebt. Gestern Abend lag für jede von uns ein kleines Marzipanschwein neben dem Abendessen. Es hatte einen Zylinder auf dem Kopf und ein vierblättriges Kleeblatt im Schnäuzchen. Viel Glück zum Neuen Jahr. Wie die Barbaren sind wir über die armen Schweinchen hergefallen.
Felicia und ich sind uns nahe. Beide im gleichen Alter, beide mit der gleichen Krankheit konfrontiert. Wir reden viel miteinander und geben uns auf diese Weise Halt. Wir breiten unsere Lebensgeschichten voreinander aus, erzählen von unseren Studienzeiten, von Polonistik und Germanistik. Und von unseren Träumen. Nichts haben wir davon verwirklicht. Sind nicht gereist, haben keine Bücher geschrieben. Haben uns zurückgenommen für Kinder, Job und Ehemänner. Unsere letzten Kräfte haben wir für die kranken Eltern und pflegebedürftigen Schwiegereltern verbraucht.
Unsere eigenen Leben haben wir nie gelebt.
Liegen wir deshalb hier?
„Schade, sagt Felicia“,
als das Schauspiel am Himmel verblasst und die Krähen sich wieder auf die Baumkronen niederlassen,
„schade, vielleicht… morgen.“
Kommentare
Der Leser sagt nicht "SCHADE", nein -
Denn dieser Text gelang sehr fein!
LG Axel
Liebe Susanna, leider bin ich erst vor einigen Minuten dazu gekommen, Deine Geschichte (wieder) zu lesen. Gut, dass Du diese Krankheit überstanden hast - und: ja, es ist nicht einfach, Familie und Studium/Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Vieles bleibt auf halber Strecke oder wird halbherzig ausgeführt. Ich habe während meiner "Familienzeit" so einiges begonnen, zwar auch dadurch nette Menschen kennengelernt, aber leider auch das Beste, was ich angefangen habe, abbrechen müssen, weil es zeitlich einfach nicht zu machen war. Selbst das Lesen habe ich stark einschränken müssen, vom Bücherschreiben einmal ganz zu schweigen.
Lass es Dr gutgehen,
Liebe Grüße,
Annelie