17 – Lebenssplitter "Bubaspitzla"

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von Heide Nöchel (noé)

Wenn Oma Anni das mit dem Brandwunden heilenden Quark nur schon „damals“ gewusst oder angewandt hätte, als ich etwa sechs war und wir noch in den Häuserblocks der Eichendorffstraße wohnten!

Über uns wohnte Sonja Gönne, ein sehr nettes, aber schon „großes“ Mädchen. Und schräg über uns, also gegenüber von Sonja Gönne, wohnte Klaus Pinkel, der wohl ein Jahr oder so älter war als ich, ein ganz schmächtiger, leicht verwahrloster und eher brutal eingestellter Junge.

Von Sonja Gönne habe ich gelernt, wie man ganze Treppenabsätze in einem Sprung überwindet, immer 6 bis 7 Stufen auf einmal, das war fast wie Fliegen und hat mich als Teil meiner Träume auch Jahrzehnte noch begleitet. (Die Nachbarn waren von dem Plumpsen weniger begeistert.)

An Klaus Pinkel habe ich nicht so gute Erinnerungen. Der war ein ausgemachter Tunichtgut, geboren um zu schaden. Meine Mutter hat ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit – nein, nicht geschlagen, das ging ja nicht, er war ja ein fremdes Kind – nein, viel subtiler: Sie hat ihn bei den kurzen Härchen hinter dem Ohr genommen und die einfach mal gezwirbelt. Das ziepte höllisch und hinterließ keine Spuren. Vor ihr hatte er furchtsamen Respekt. Und verdient hatte er es auf alle Fälle, wenn nicht für etwas Akutes, dann bestimmt für etwas, das nur noch nicht entdeckt worden war.

Das eine Mal hatte er mich unter Androhung von Prügel in den Keller gezwungen (wir waren wohl 5 und 6 Jahre alt) und mir sein „Bubaspitzla“ gezeigt. Bei der Form dieser schwäbischen Nudelart wird mir das damalige Erleben jedes Mal wieder präsent. Er wollte unbedingt, dass ich es anfasse und wollte auch bei mir mal fühlen. Ich wusste bei beidem nicht so recht, was das sollte. Und ob ER das wusste, wage ich heute noch zu bezweifeln. Ich nehme an, er hat es irgendwo gesehen (zu Hause?) und sich gedacht, es mal ausprobieren zu wollen. Damals jedenfalls war es wohl für beide von uns langweilig genug, dass wir schnell wieder aus dem Kelleraufgang nach draußen gingen und jeder seiner Wege. Es ist bei diesem einen Mal geblieben. Für mich war das alles fremd und verstörend, besonders, weil Klaus sagte, dass das „geheim“ bleiben müsse. Außerdem wollte ich keine Prügel beziehen. Schweigen war mir schon deshalb lieber, weil ich meiner Mutter davon nicht so gerne erzählt hätte. Wahrscheinlich hätte wieder ICH die Schuld bekommen, wenn mir auch schleierhaft geblieben wäre, warum.

Ungefähr zehn Jahre später bin ich Klaus nochmal begegnet, er war immer noch schmächtig und hatte einen verschlagenen Blick, eine Karikatur des lauernden Ganoven. Erkannt wird er mich nicht haben, denke ich, in diesem Alter verändern zehn Jahre, besonders wohl Mädchen. Ich war in einen Hauseingang getreten, aus dem ich ihn überraschend mit dräuender Betonung ansprach: „Na, Klaus?“ Er hat sich tierisch erschreckt damals und gesehen, dass er Land gewann.
Für mich war dies nun mal ein sehr befriedigendes Erleben.
(Man begegnet sich immer zweimal ... harharr)

noé/2014

Prosa in Kategorie: 
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