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Oh, Abilene City – ist eine fabelhafte Stadt,
wir sind alle betrunken und wirbeln die Färsen herum.
Immer und immer wieder – mit Pferd und Zügel;
denn der alte John Chisum ist ein verdammt guter Boss.
Oh, Abilene City is a dang fine town,
we'll all liquor up und twirl those heifers round;
then back once more with my bridle and my hoss,
for old John Chisum is a damned fine boss.
(Cowboy-Song aus dem Film „The Old Chisholm Trail“)
Billy the Kid und ein Gespräch im Herrenzimmer
Als wir in den Hof einbogen, kam uns die Gnädigste über die Veranda entgegengestürmt.
„Habt ihr Helge irgendwo gesehen?“, fragte sie voller Panik. Auf ihren Wangen glühten rote Flecken – gleich roten Röslein, als habe Monet persönlich sie dort hingetupft. Von ihrer bleichen hohen Stirn perlten dicke Schweißtropfen. So absolut von der Rolle habe ich unsere Gutsherrin noch nie gesehen, liebe Christine.
„Dieser Herr Fuchs ist hier und will ihn dringend sprechen“, fuhr sie aufgeregt fort. „Ich weiß auch nicht, weshalb. Vorhin war der Junge doch noch im Haus. Wir haben uns im Herrenzimmer über die bevorstehende Ernte unterhalten. Jedenfalls kann ihn jetzt niemand mehr finden.“ Sie blickte uns Hilfe suchend an.
„Helge, nö, Tante Karla, nicht das kleinste Zipfelchen von Helge ist uns in die Quere gekommen“, plapperte Konny, der Ahnungslose, unbekümmert. Hannes suchte sofort meinen Blick, und wir verständigten uns ausnahmsweise einmal ohne Worte. Er schien ebenso nervös geworden zu sein, wie ich es bereits seit einer halben Stunde war. Meine schweißnassen Hände umklammerten den Lenker von Lenis altem Tretgaul. Ich dachte an unseren Brief, der den Kommissar nach Lachau und in die Gemächer der Gnädigsten getrieben hatte, und kämpfte gegen die Gewissensbisse, an, die mich aufs Heftigste zu peinigen begannen. Gleichzeitig rasten Wortfetzen unserer Botschaft an Helge durch mein geplagtes Haupt, und mich überfiel prompt ein Gefühl der Angst, dass sich der Hoferbe etwas angetan haben könnte.
„Gewiss weiß Heiner, wo Helge sich aufhält, Frau Brandner“, versuchte ich die Gnädigste zu beruhigen. Ich wunderte mich darüber, wie fest meine Stimme klang, obgleich ich innerlich zitterte wie Espenlaub, weitaus heftiger noch als vor einem dieser infamen Algebra-Tests in der Schule.
„Ja, natürlich, unser Heiner! Dass ich daran nicht gedacht habe!“, rief unsere Gutsherrin erleichtert aus. Ihre Stimme klang, als hätte ich ihr einen Rettungsring ins offene Meer zugeworfen.
„Ach Kinder, seid bitte so lieb und fragt den guten Heiner. Wenn ich mich beim Mittagessen nicht verhört habe, wollte er um diese Zeit zu den Südwiesen, um die Kühe in den Stall zu treiben. Es wird allmählich auch höchste Zeit, dass die armen Tiere gemolken werden. Heute geht aber auch alles drunter und drüber. Und dazu noch der Ärger wegen des maroden Fichtenwäldchens. Was soll bloß aus diesem Gut werden! Ich weiß mir bald keinen Rat mehr.“ Sie strich sich mit einer müden Geste eine dunkelblonde Haarsträhne aus der feuchten Stirn, die sich aus dem Nackenknoten gelöst hatte.
„Aber mein Vater steht Ihnen doch mit Rat und Tat zur Seite. Auf ihn können Sie sich hundertprozentig verlassen, Frau Brandner“, tröstete Hannes unsere liebe Gutsherrin.
„Und jetzt fahren wir zu den Südweiden“,ergänzte er. „Sie werden sehen: Es kommt alles wieder in Ordnung.“
„Dein Wort in Gottes Ohr, mein Junge“, seufzte die Gnädigste voller Zweifel.
Wir nahmen Kurs auf die Kuhställe, umkurvten die alten Gemäuer, und bogen in den geschlängelten Holzfällerweg gleich neben dem Ulmendickicht. Der leichte Wind duftete nach frisch gemähtem Gras, und die Abendsonne tauchte den Horizont in ein warmes, rötliches Licht. Hannes und ich rasten voraus, als sei der Teufel hinter uns her. Dabei folgten uns lediglich Konny und Kora. Als ich mich nach einer Weile nach den beiden umschaute, war Kora nur noch als winziger Punkt auszumachen, eine schwirrende, überdimensionale Hummel, die, von Staubschwaden getilgt, eindeutig in die entgegengesetzte Richtung düste. Konny jedoch fuhr in einiger Entfernung seelenruhig hinter uns her. Die feinkörnigen mausgraue Wrasen stoben wie aufgequirlt in alle Himmelsrichtungen, drehte Pirouetten, vermischten sich mit den Hitzeschwaden, und hüllte uns in erstickende Wolken – wie Gunfighters auf der Flucht im Wilden Westen, dachte ich.
Hannes nieste achtmal hintereinander, während meine Haut ganz schrecklich kribbelte von der krachenden Hitze, dem umherschwirrenden Puderschmutz und der Spreu von den Feldern ringsumher. Ich stellte mir vor, dass die tiefen Spurrillen auf der Staubpiste von Kaleschen herrührten, die auf mindestens jeder fünften Reise überfallen worden waren. Ein paar davon hatte Black Bart the Po 8, Außenseiter, Charmeur und Poet, auf dem Gewissen ... mindestens dreißig müssen es gewesen sein, erinnerte ich mich nach diversen, einschlägigen Lektüren.
Der graue Feldweg, gesäumt von Getreidefeldern, die in der Sonne brutzelten, war durch Wetter und Wind total verwaschen und tief zerfurcht, und ich sah ganz deutlich die kleinen Flüsse vor mir, die während der Regengüsse im Frühjahr und Herbst durch die ausgefahrenen, tiefen, knochentrockenen Schlammrinnen der Bauernwagen und Trecker wallten. Jetzt waberten Hitzwellen von den Schneisen der holprigen Schotterpiste empor, und das struppige Gras am Feldrain war staubverkrustet.
Ich träumte meinen ureigenen Westerntraum vor mich hin, der mich von allen Sorgen ablenkte:
Billy the Kid, mein Hannes, ritt selbstverständlich an der Spitze. Er wirbelte mächtige Staubwolken hoch, die in der stillstehenden Luft verharrten und ihn nahezu unsichtbar machten, so dass ich ihn kaum noch „ausmachen“ konnte. Sein nackter, sonnenverbrannter Rücken glänzte vor Schweiß. – Ihm folgte im gebührenden Abstand Cattle-Kitty, meine Wenigkeit, aus dem berühmt berüchtigten Pearl-Saloon in Abilene, Stadt der zwielichtigen Geschäftemacher, Banditen und Cowboys; heiß ersehnte Endstation der Viehtrecks, in der sich die sittsamen Bürger seit ewigen Zeiten nach einem charaktervollen, resoluten Marshal sehnten. – Abilene ... dieser Name schmolz auf der Zunge dahin wie Omas himmlische Nougatpralinen.
Cattle-Kitty also, die sich in den kaltblütigsten aller Killer verknallt hatte und ihm auf Tritt und Huf folgte. Zwar wirkt Billy auf Steckbriefen meist ein wenig debil, als könne er nicht bis drei zählen, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass sein Mund stets unvorteilhaft geöffnet steht; aber diesen oberflächlichen Eindruck hat bereits mancher Kerl mit dem Leben bezahlen müssen.
Wir wurden selbstverständlich verfolgt: Konny, in Gestalt des zwielichtigen „Supermarshals“ Wyatt Earp (je nach Bedarf und Laune mal Gesetzeshüter,