Über Neeselang-Utfreesen

Bild von W.Haller
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So heißen sie, die Eingeborenen der Hallig. Leider haben wir nur drei gesehen, und zwar zwei etwa fünfunddreißigjährige Männer und ein fünfzehnjähriges Mädchen. Die Männer tragen dicke blauweiß- karierte Wattejacken und Wollpudel und sprechen litauisch, und das Mädchen ist ziemlich klein, kakaohäutig (größer 75 %) und hat hunderteinundsechzig dünne Rastazöpfchen auf dem Kopf.
Halt, einen Utfreesen habe ich vergessen, er stand über einen Zaunpfahl gebeugt und schlug langsam mit dem Hammer auf irgendwas, er hatte einen gefütterten Blaumann an, einen dunkelblauen Pudel auf dem Kopf und einen langen roten Vollbart. Als ich mit dem Rad an ihm vorbeifuhr und freundlich „Mo-hoin“ rief, kam nach einer Weile „Moin“ aus dem Vollbart. Leider konnte ich nichts weiter von ihm erkennen. Nach ein paar Minuten drehte ich mich nach ihm um, da war er schon ganz klein und sah mir immer noch nach.
Sie alle sind schon mehrere Jahrtausende dort, wie wir von Pinius d.Ä. wissen. Die Neeselang- Utfreesen sind wie ihre Landschaft, denn sie wurden ja von ihr geprägt, immer geradeaus, linientreu und mit klarer Perspektive. Wen wundert es, dass gebürtige Neeselanger aus der Ferne mit Liebe an ihre Heimat denken, auf die sie ja fixiert sind, wie einst frisch geschlüpfte Graugänse auf Konrad Lorenz. Immer wieder zieht es sie gedanklich zurück an den Ort ihrer Geburt, aber körperlich, wie wir es von Aalen und Lachsen kennen, eher weniger. Deren Schicksal scheint ihnen nicht nachahmenswert zu sein, und mir auch nicht. Als mich kürzlich jemand fragte: Ist es ein Wunder, dass die Utfreesen an dieser Landschaft hängen? sagte ich: Ja.

2013

Prosa in Kategorie: 
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