Er ging immer einige Meter vor ihr. Und je älter die beiden wurden, desto grösser wurde der Abstand zwischen ihnen. Wenn sie an einer Verkehrsampel standen, durfte sie nicht gleich bei Grün mit ihm die Strasse überqueren. Sie musste auf das nächste Grün warten, während er auf der anderen Strassenseite kurz innehielt und sich die Beine vertrat. Wenn sie Sessellift fuhren, sass sie immer zwei Sessel versetzt hinter ihm. Wegen seiner höheren Geschwindigkeit ergab sich beim Skifahren der Abstand zwischen ihnen wie von selbst. Wenn sie im Selbstbedienungsrestaurant in der Schlange standen, war er immer einige Meter früher an der Kasse. Das Essen nahmen sie aber dennoch gemeinsam ein, er zahlte auch nachträglich ihr Essen, das sie zuvor mit ihrem eigenen Geld bezahlt hatte. Über das, was sie sprachen, gibt es keine verlässlichen Aussagen. Und als er gestorben war, sagte sie nur lakonisch: "Es war schon lange klar, dass er vor mir gehen würde."
© René Oberholzer, 2017