Je tiefer sie in die engen Gassen vordringen, desto kleiner und staubiger werden die Geschäfte, bis sie überhaupt nicht mehr erkennen können, was diese Geschäfte anbieten, wozu sie eigentlich dienen. Ihr ist zumute, als ob sich unbekannte Räume eines größeren Lebens vor ihr öffnen, zu denen sie bisher keinen Zugang hatte. Hier gibt es keine arroganten Touristen mehr, für die Schmierenkomödien aufgeführt werden.
Unvorstellbarer Plunder lagert hinter staubblinden Scheiben auf und übereinander, eine Dürftigkeit, die auch von einer Armut ohne Würde kündet, breitet sich vor ihnen aus. Es gibt weder Kunden noch Verkäufer. Staubfahnen ziehen vor ihnen her. Die weiß getünchten Häuser stehen so eng beisammen, dass die Straße dazwischen wie ein Korridor durch zwei Räume führt. Fröhliches Stimmengewirr dringt aus den Häusern. Fetzen arabischer Musik hängen in der Luft.
Helen nimmt schwere süßliche Gerüche wahr, nach überreifem Obst, Essensdünste, Jasmin, arabisches Öl, Pfefferminz, der scharfe bittere Geruch roter Erde zieht sie magisch an. Sie atmet tief ein und fühlt sich sonderbar erregt. Eine unbekannte Lust steigt in ihr auf, sich tagelang durch die Gassen treiben zu lassen. Ein Staunen wie in einem Rausch erfasst sie, das sich in einen heftigen Schmerz verwandelt, der dem Begehren gleicht. Sie spürt Geheimnisse, in denen sie sich verlieren möchte. Wie ein Zauber wirkt die Fremde auf sie, befreit sie von ihren Erinnerungen, sie vergisst sich selbst darüber. Die Fremde wird zum Ziel, in der sie sich neu erfindet. Sie brennt innerlich, während sie an den alten Männern, die vor den Haustüren miteinander plaudern, vorübergehen.
Sie erkennt nicht, so sehr hat sie sich in ihren Träumen und Sehnsüchten verfangen, die Blicke der Alten, die sie und ihren Mann für Exoten halten. Boubacar trägt ein schönes schwarzes, afrikanisches Hemd bedruckt mit einem Goldmuster, das weit über seine langen Hosen fällt und seine dunkle Haut zum Leuchten bringt. Sie zieht eine lange Strähne ihres blonden Haares, die der Wind verweht hat, von seinen Rastalocken. Belustigt rufen die Männer ihnen hinterher: „Café au lait!“