Die Entdeckung des Psah-Schnatz-Effektes - Page 2

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von Monika Laakes

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A. Einstein gilt. Seine bahnbrechende Entdeckung der Allgemeinen Relativitätstheorie war für die Menschheit richtungsweisend. Ohne ihn gäbe es heute keine Leuchtstofflampen, keine Alarmanlagen, keine Fernseher, CD-Player und all die wunderbaren technischen Möglichkeiten unserer modernen Welt.«
Schnatz machte eine Pause.
»All diese Errungenschaften konnten auf der Basis seines Denkgebäudes erbaut werden.«
Wieder holte Prof. Schnatz Luft, um seinen Worten durch Stille Gewicht zu geben.
»Und ebenso bahnbrechend«, seine Stimme zitterte. Er wischte leicht über seine Augen. Nun hatte seine Stimme wieder an Festigkeit gewonnen.
»Meine Herren, bitte seien Sie sich dieses Augenblicks bewusst. Es wird auch für Sie ein Moment der Erleuchtung sein. Bahnbrechend und richtungweisend für das kommende Jahrtausend.«
Erneut Stille. Der Direktor lehnte sich leicht über sein Pult und hielt die Ellbogen abgewinkelt und gewann dadurch an Volumen. Plötzlich streckte er seinen Gästen mit unnachahmlichem Charme die Zunge heraus in Anlehnung an eine deutliche historische Geste A. Einsteins.
Applaus und Johlen einiger Studenten.
»Nun. Meine Entdeckung des Psah-Schnatz-Effekts benötigte keine aufwendigen Apparaturen und Gerätschaften. Wie unser Vater Albert so treffend bemerkte, ist Phantasie wichtiger als Wissen. Denn Wissen ist begrenzt.«
»Aber werter Kollege«, meldete sich ein hochgewachsener, leicht ergrauter Endvierziger namens Prof. Schmoll.
»Ja?«
Prof. Schnatz dehnte das A und blickte den vor ihm Stehenden intensiv an.
»Ich demonstriere meinen Effekt noch einmal.«
Schnatz rieb neunundfünfzigmal seine Hände. Dann brachte er sie in die vertraute Position, als hielte er einen Fußball.
»Sehen Sie etwas?« flüsterte er seinem Kollegen zu. »Schauen Sie gut hin.«
Schnatz hielt die Augen zu einem Spalt verengt. Er sah vor sich einen leuchtenden Energieball. Er spürte das Phänomen deutlich in Händen.
»Was sehen?« flüsterte Schmoll. »Was soll ich sehen?«
Immer noch rotierte der Energieball in Schnatz’ Händen, doch er verblasste zusehends mit den Bemerkungen des Kollegen Schmoll.
»Ich sehe nichts.«
Schnatz ließ die Hände sinken. Nun hatte er noch ein Phänomen entdeckt. Kritik als Störfaktor. Schnatz zog einen Kuli aus der Brusttasche seines Blazers und machte in seinem Journal entsprechende Notizen.
Dann wiederholte er seine Demonstration. Es war wiederum still. Der Ball leuchtete in den knöchernen Händen des Professors.
»Sehen Sie«, erläuterte er, »so einfach, nur mit Mitteln Ihrer Hände, erschaffen Sie diesen Psah-Schnatz-Effekt.«
Schweigen.
»Ich demonstriere ein letztes Mal.«
Erneut gab Prof. Alfred Schnatz seine gesamte Kraft und Konzentration in diese Aktion.
Da stand der Direktor des ehrwürdigen Institutes auf dem Podest und hielt seinen imaginären Ball. Jemand applaudierte. Dann tobte das Klatschen durch das große Gebäude.
»Wir werden Berge versetzen können!« schrie Prof. Schnatz. »Wir werden die Welt bewegen mit dieser Energie!«
»Alternativenergie!« brüllte ein Student.
Der Applaus nahm kein Ende. Dann rief Prof. Schnatz: »Stopp! Und jetzt den Ball!«
Er schlug mit seiner Faust auf das Podest, um sich Gehör zu verschaffen.
»Bitte meine Herren! Halten Sie den Ball! Halten Sie ihren Energieball!«
Die Gäste stellten sich ausnahmslos in Position. Stille.
Eben erst hatte Prof. Schnatz herausgefunden, dass, wenn die Handflächen aufeinandergeschlagen werden, der Reibeeffekt um ein Vielfaches überboten werden kann. Wiederum eine Entdeckung, die dem Zufall zu verdanken ist, wie so viele bahnbrechende Entdeckungen.
»Bitte! Wenn wir diese unsere göttliche Energie lenken, sozusagen kanalisieren, wird uns alles möglich sein. Ich betone, alles wird möglich sein. Dagegen ist Alberts, Sie mögen mir verzeihen, meine Herren, wenn ich das hier vor Ihnen ausspreche, dagegen ist Alberts Erkenntnis laienhaft.«
Die Gäste verharrten in ihrer Position und hielten jeweils ihren eingebildeten Ball.
Prof. Schnatz hatte das Glühen all dieser Energiekörper vor Augen. Schnatz, der Erleuchtete.
»Wir werden daran arbeiten, meine Herren.«
Schnatz konnte das Zittern seiner Stimme nicht unterdrücken. Seine Erregung ging bis in seine Zehenspitzen, der gesamte Körper vibrierte. Welch eine Weihnacht, welch ein Millennium. Der Psah-Schnatz-Effekt wird ein neues Zeitalter einleiten.
»Wir werden zu Weltruhm gelangen, meine Herren. Das Jahr 2000 gehört dem Psah-Schnatz-Effekt!« rief er begeistert.
Die Gäste lösten sich aus ihrer starren Haltung und scharrten mit den Füßen.
»Aber Herr Kollege«, meldete sich erneut Prof. Schmoll. »Werter Kollege, das gibt es seit 3000 Jahren. Ihre Erkenntnis ist nicht neu.«
»Was wollen Sie damit sagen«, zischte Schnatz.
»Will sagen, dass die alten Chinesen das schon wussten.«
»Paperlapapp«, sagte Schnatz. »Unsinn, lieber Schmoll.«
»Aber ja. Sie entdeckten die goldene Kugel.«
»Nicht diese, die den Psah-Schnatz-Effekt ausmacht. Nicht diese.«
Prof. Schnatz strich seine Haarsträhne, die über sein linkes Auge gefallen war, mit fahriger Bewegung nach hinten. Er brauchte einen klaren Blick. Er hatte eine tiefe, steile Falte zwischen den dünnen Augenbrauen. Es ist immer gut zu wissen, wo die Feinde stecken.
»Lassen Sie uns nochmals den Effekt demonstrieren. Ein jeder klatscht die Anzahl seiner Lebensjahre. Erst dann kann er sicher sein, dass der Effekt reibungslos funktioniert, denn er ist an Raum und Zeit und Masse gebunden.«
Schnatz nahm die Hände in Brusthöhe und blickte in die Schar seiner Gäste.
»Dann wird der Energieball geformt Danach werden wir diskutieren.«
Er klatschte feste die Hände gegeneinander. Dann stand er still mit geschlossenen Augen und spürte der Faszination der eigenen Psah-Energie nach.
Niemand im Raum rührte sich. Prof. Schnatz sah in der vor ihm stehenden Gesellschaft eine schwere und träge Masse, sozusagen als Bestätigung der Einstein’schen Formel. Auch Albert hatte damals gegen Inkompetenz und Phantasielosigkeit zu kämpfen. Wieder war ihm sein Vater unendlich nahe.
»Was diese Philister einem, der nicht von ihrer Sorte ist, alles in den Weg legen, ist wirklich schauderhaft«, flüsterte Albert seinem Sohn Alfred zu.
Und Alfred klatschte und formte den Energieball. Albert nickte ihm wohlwollend zu.
»Denn das Wesentliche im Dasein eines Menschen von meiner Art liegt in dem, was er denkt und wie er denkt, nicht in dem, was er tut oder erleidet!« schrie Prof. Schnatz seinen Gästen ins Gesicht.
Sein Vater, Übervater, sein heiliges Idol Albert E. hatte ihn, Prof. Schnatz, besetzt und zu seinem Sprachrohr gemacht.
»Wenn wir diese unsere göttliche Energie lenken, sozusagen kanalisieren, wird uns alles möglich sein. Ich betone, alles wird möglich sein!« setzte der Professor seine Ausführung fort und wusste nicht, ob die Worte seinem Geiste entsprangen oder dem Genius Albert. Es lag nahe anzunehmen, dass er, Prof. Alfred Schnatz, eine Inkarnation Albert Einsteins sei.
Prof. Schnatz stand auf seinem Podest. Die Mitarbeiter hatten sich leise in den Nebenraum begeben.
Irgendjemand sagte im Davongehen: »Vergessen wir’s. Tut niemandem wehe. Im nächsten Jahr hat er sich wieder gefangen.«
Die achtundsechzig Gäste machten sich über das kalte Büfett her. Alles ging seinen gewohnten Gang.
Gott schuf den Esel und gab ihm ein dickes Fell.
Prof. Alfred Schnatz alias Albert E. fand im Jahr 1999 keine Resonanz im Kreise seiner Mitarbeiter. Doch die Fachwelt wird im Jahr 2000 mit ihm zu rechnen haben.
»Dass er in seinen Spekulationen gelegentlich auch einmal über das Ziel hinausgeschossen haben mag, wie z. B. in seiner Hypothese der Lichtquanten, wird man ihm nicht allzu sehr anrechnen dürfen. Denn ohne einmal ein Risiko zu wagen, lässt sich auch in der exakten Wissenschaft keine wirkliche Neuerung einführen,« schrieb Anfang des Jahrhunderts ein einflussreicher Wissenschaftler über Albert E.
Und auch Prof. Alfred Schnatz’ Entdeckung wird eine Millennium-Vision sein.
»Sie werden sehen, meine Herren! Der Psah-Schnatz-Effekt begründet die Energiequelle des kommenden Jahrtausends!« schrie Prof. Schnatz in den leeren Raum.
In den Nebenräumen wurde gegessen, getrunken, geplaudert und all das getan, was man so im Männerkreis auf Weihnachtsfeiern tut.
Albert Schnatz, unser noch nicht erkanntes und anerkanntes Genie wird seine Arbeit weiter vorantreiben. Seine Forschungsarbeiten am Mechanismus des Klatschens, sozusagen als Verstärkung des effizienten Reibeeffektes, zur Gewinnung der mächtigsten aller Energien, der arteigenen Energie, der göttlichen Energie, werden noch die Zeit bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2005 ausfüllen.
Durch die Schnatz’schen Arbeiten wird das kleine Institut erneut zu Weltruhm gelangen. Alles ist nur eine Frage der Zeit...
Mag auch in diesem Fall die These des väterlichen Freundes A.E. zutreffen:
Phantasie ist wichtiger als Wissen. Denn Wissen ist begrenzt.

Zitate über und von A. Einstein sind (zu finden auf der homepage: http://www.einstein.de

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