Was wir auch immer unter "Glück" verstehen mögen, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass dieses stets eher dem Augenblicke verhaftet als von Dauer ist. Die Veränderung, also der Wandel von Umständen, welche wir "Glück" zu nennen pflegen, scheint quasi vorgegeben zu sein, denn
"Mit des Geschickes Mächten ist kein ew´ger Bund zu flechten!" (Friedrich Schiller)
Unbeständig ist das Glück, das Unglück aber (glücklicherweise!) auch. Während wir ersterem eher enttäuscht grollen, wenn es uns verlässt, sind wir letzterem selten dankbar genug, wenn es von uns ablässt. An Angenehmes gewöhnt man sich eben naturgemäß leichter, als an dessen Gegenteil.
Gewiss, die allzu optimistische Brille der Kindheit und Jugendzeit hat (vom vielen vergeblichen Aufpolieren?!) an optischer Brillanz verloren, die Farben, welche sie uns zeigt, lassen die ursprüngliche Leuchtkraft oft deutlich vermissen, Sepia- und Schwarz-Weiß-Töne drängeln sich vor ... Erfahrungen lehrten uns, mit der Zeit den früheren Irrglauben abzulegen, die Glücksgöttin Fortuna hätte nichts anderes zu tun, als ihr Füllhorn ständig großzügigst über uns auszuschütten. Je mehr wir uns von unserer kindlich egozentrischen Sichtweise lösten, umso intensiver erfassten wir, dass wir nicht zu erwarten hatten, dass uns die Welt zu Füßen läge ...
Begleitete uns nicht die Hoffnung auf "bessere Zeiten" und wären wir nicht - unserer (wenigstens gelegentlichen) Fähigkeit zu einsichtigem, vernunftgesteuertem Handeln sei Dank! - in der Lage, unser Geschick in nicht unwesentlichem Maße selbst in die Hand zu nehmen, dann begegneten wir in uns den wahrhaft unglücklichsten Geschöpfen des Kosmos!
"Jeder ist seines (eigenen) Glückes Schmied" ... "Faber est suae quisque fortunae" ... Helfen wir dem Glück also auf die Sprünge, packen wir es an, gestalten wir unser absolut individuelles "Buch der Freude". Ganz auf jeden Einzelnen von uns, seine Erwartungen, Vorlieben, Fähig- und Möglichkeiten,Wertvorstellungen, Hoffnungen, Sehnsüchte, Bedürfnisse u.s.w. ... zugeschnitten, denn es gibt unendlich viele unterschiedliche Vorstellungen von dem, was jedem von uns Freude bereitet, was ihn glücklich macht. Zugegeben, ein bisschen Arbeit ist damit schon verbunden, aber einen Versuch ist es wert. Ich hoffe, Sie dürfen (wie es mir vergönnt war und immer noch ist) erleben, wie der geringe zeitliche Aufwand großzügige Rendite bringt!
Es begann so, dass mir vor Jahren meine Tochter eines Tages ein kleines Büchlein im DIN A 5 - Format mit linierten Seiten schenkte. Ich bedankte mich und meinte, ich werde sicher einmal dafür Verwendung finden. Nein, erklärte man mir, das Buch solle dazu dienen, regelmäßig glückliche, erfreuliche Begebenheiten darin aufzuzeichnen... es gäbe davon selbst in tristeren Epochen genügend, man müsse diesen - trotz allem positiven - Anteilen nur die ihnen eigentlich gebührende Aufmerksamkeit schenken. Zunächst diesen Vorschlag skeptisch betrachtend, lernte ich mit der Zeit, die heilsame Wirkung der empfohlenen Notizen zu schätzen, denn
" ... man schafft so gern sich Sorg´und Müh´,
sucht Dornen auf und findet sie,
und läßt das Veilchen unbemerkt,
das uns am Wege blüht ...
... Wenn scheu die Schöpfung sich verhüllt
und laut der Donner um uns brüllt,
so lacht am Abend nach dem Sturm
die Sonne, ach, so schön ...
... Und wenn der Pfad sich furchtbar engt
und Mißgeschick uns plagt und drängt,
so reicht die Freundschaft schwesterlich
dem Redlichen die Hand ..."
Das Volkslied "Freut euch des Lebens" (H.G. Nägeli 1773-1836), dem diese Textzitate entnommen sind, spricht von keiner kitschig verlogenen heilen Welt, in der es paradiesisch zuginge. Gerade deshalb erscheinen diese Zeilen bezüglich ihrer Aussagen glaubwürdig, was sie befähigt, uns nahe zu bringen, was in vergleichbarer Weise der frühere Werbespruch eines bedeutenden Kameraherstellers ausdrückte (aus der Erinnerung zitiert): "Wer sehen kann, kann auch fotografieren ... aber das Sehen müssen wir erst lernen !"
Das "Buch der Freude", von uns, für uns und mit uns gestaltet, lehrt uns, Glücksmomente aufzuspüren und schließlich zu notieren, welche wir ansonsten zwar nicht unbedingt übersehen hätten, jedoch gerecht geworden wären wir ihnen kaum. Auch wenn uns Fortuna gerade gar nicht hold zu sein scheint, die fremde Katze, welche uns schnurrend um die Füße streicht, der unerwartete Anruf eines freundlichen Bekannten, das Kind, welches uns beim Einkaufen die Türe aufhält, die geduldige Beratung durch einen fachkundigen Verkäufer, der Zahnarztbesuch, welcher eigentlich gar nicht so schlimm war, die Zimmerpflanze, welche uns plötzlich mit ihrer Blüte überrascht, die kleine Reparatur, mit der wir mit relativ wenig Aufwand unserem Nachbarn einen großen Gefallen erwiesen, die Weinbergschnecke, welche wir behutsam von der Straße aufhoben und in die Wiese trugen, das Verständnis, mit welchem es uns diesmal gelang, einem "nervigen" Mitmenschen zu begegnen, ein einfühlsamer Dialog, welcher uns zu führen vergönnt war, eine Arbeit, die wir schon lange vor uns hergeschoben hatten, jetzt aber erfolgreich "zu den Akten legen" konnten, der gute Rat, mit dem wir jemandem dienlich sein durften, ein guter Vorsatz, dem wir endlich gerecht wurden... diese anscheinenden "Nebensächlichkeiten" befördern Sie im "Buch der Freude" zu Ihren Hauptdarstellern.
Mit der Zeit wird es - genannte Notizen festhaltend - gelingen, unsere Sinne für die (nur vermeintlich) kleinen Glücksmomente zu schärfen und diese ansonsten kaum beachteten Nebenerscheinungen als wertvoll und keinesfalls selbstverständlich zu erleben. Wie durch die (reine) Schreibtätigkeit unsere Gedanken zur Ordnung angeregt werden, in gleichem Maße schleicht sich in unser Unbehagen über die Wankelmütigkeit des Glücks kontinuierlich ein nicht unbedeutendes Maß an Dankbarkeit ein. Man hat es hierbei mit keinem lauten, schrillen, strohfeuergleich auflodernden aber auch sofort wieder verlöschenden Gefühl - mit einer Gunst (oder gar grimmig täuschenden Laune?) des Augenblicks - zu tun, sondern man erhält die Chance, eine beständige, gelassenere und zufriedenere Grundeinstellung zu gewinnen, welche es uns ermöglichen mag, allmählich "unseres Glückes Schmied" zu werden.
Könnte es sein, werter Leser, dass in irgendeiner Ihrer Schubladen bereits ein geeignetes Notizbüchlein sehnlichst darauf wartet, von Ihnen beschrieben zu werden? Wäre - möglicherweise - für heute (in etwa) folgender Eintrag vorstellbar:
Datum: ... Einen "Mutmacher" gelesen, dieses "Buch der Freude" begonnen ... ???
Ich wünsche Ihnen dazu viel Erfolg ! Sollte ich Ihnen mit diesem Beitrage ein bescheidenes, ideelles "Geschenk" überreicht haben, dann war das - der Wahrheit die Ehre! - nicht ganz uneigennützig, verrät uns doch ein chinesisches Sprichwort : "Der Duft der Blumen bleibt in der Hand desjenigen zurück, der sie schenkt."