Leer lag die Straße im Dämmerlicht vor ihr, eine Brise salziger Atlantikluft streifte sie. In der Pasteleria wurden gerade die Stühle auf die Tische gestellt. Sie erkannte den Besitzer, er nickte ihr zu. Oft hatte sie abends hier gesessen bei einer Kanne Pfefferminztee und im Fernsehen ein Fußballspiel zwischen den Lissabonner Mannschaften verfolgt, die wie es schien nicht spielten, sondern sich erbittert auf dem Spielfeld stritten. Afrikaner trafen sich hier, verfolgten gespannt das Spiel und gaben ihre Kommentare ab.
Da zog ihr jemand abrupt den Kopfhörer aus dem Ohr. Ein fröhliches Lachen und warmer Atem streiften ihr Gesicht. Der Afrikaner, kaum größer als sie, tänzelte zu den Reggae-Klängen. Sie erfasste in einem Moment seine Harmlosigkeit, nahm ihm die Kopfhörer aus der Hand und steckte den Walkman in die Tasche. Er redete auf sie ein, in einer Sprache, die sie nicht verstand. Seine Augen strahlten, alles an ihm schien zu lachen, mitreißend und unbekümmert. Als das Wort „Hotel” zu ihr durchdrang und sie die drängende Bewegung seines Armes an ihrem Körper spürte, schob sie ihn leicht von sich weg. Er lachte und trat wieder auf sie zu. Schnell küsste er sie auf die Stirn. Seine Schuhspitzen berührten ihre Schuhe. Energisch schob sie ihn von sich und versuchte ihn in verschiedenen Sprachen anzureden. Er lauschte aufmerksam, doch er verstand sie nicht, dann lachte er hell auf und umarmte sie stürmisch. Sie löste sich aus der Umarmung. Sofort rückte er nach, wickelte sich eine Strähne ihres blonden Haares um die Hand und setzte kleine Küsse darauf. Wie Rumpelstilzchen umtanzte er sie, ein kleiner Wicht, der sich nicht fortschicken ließ, dachte sie belustigt.
Plötzlich zog er aus der Hosentasche seinen Ausweis und hielt ihn ihr auffordernd hin. Amadu Baldé, Cap Verden, las sie laut. Er nickte. Aufmerksam betrachtete sie sein Passfoto. Cap Verden, dachte sie versonnen. Baldé, ein Name wie ein afrikanisches Land mit Baobab-Bäumen und einer Sonne, die so hell war, dass sie alle Schwere vom Körper nahm. Es wäre möglich nach Baldé zu reisen, an die Küste von Baldé. Aber sie reiste ja nicht.
(Fortsetzung folgt)