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Erinnerungen einer Hauskatze
Aus dem Miauischen übertragen von Dieter J Baumgart
Guten Tag, Freunde!
Hört mal, ich möchte euch eine Geschichte erzählen. Ach was, ich bin ehrlich! Ich möchte euch meine Geschichte erzählen. Ich möchte euch erzählen, wie ich Katze bei Baumgarts wurde.
Der Dieter – das ist einer von meinen Menschen –, also der Dieter hat mir versprochen, meinen Text in eine Menschensprache zu übersetzen. Das ist sicher nicht so ganz einfach, denn die Unterschiede zwischen Katzen und Menschen sind doch recht groß. Aber ich glaube schon, daß er das schafft. Denn eigentlich, wenn ich so in meinen Erinnerungen wühle, dann stelle ich doch fest, daß ich mich mit meinen Menschen im allgemeinen gut verstehe, abgesehen natürlich von gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten. Aber das ist wohl normal.
Ich jedenfalls bin für meine Menschen kein Spielzeug, und sie haben auch nie versucht, aus mir einen Menschen zu machen. Wir achten einander. Und das ist eine Grundlage, auf der wir gut miteinander auskommen. Ja, und darum bin ich schon ganz sicher, daß meine Geschichte richtig übersetzt wird. Daß die Menschen auch das verstehen, was so zwischen den Zeilen steht. Immerhin, und das können meine Leute bestätigen, immerhin bin ich eine sehr gesprächige Katze. Allerdings, als ich Katze bei Baumgarts wurde, da war ich noch sehr still. Und ich ahnte ja auch nicht im mindesten, was da auf mich zu kam, auf was ich mich – ungewollt und ungefragt – eingelassen hatte.
Also, was meine Ahnentafel betrifft, da sind nun wirklich sehr große Lücken drin: Meinen Vater kenne ich nicht einmal vom Erzählen her. Und meine Mutter hatte ihr Wochenbett im Stadtpark; aber das ist ja in unseren Kreisen üblich. Ein Stammbaum wurde mir also nicht in die Wiege gelegt. Im Gegenteil, ich bin das, was man einen reinrassigen Mischling nennt und für Ausstellungen aller Art nicht geeignet, Isis sei Dank! Wobei für mich natürlich feststeht, daß ich von allen Rassen nur das Beste geerbt habe. Aber daß die Möglichkeiten, den weiteren Lebensweg betreffend, unter diesen Voraussetzungen etwas eingeschränkt sind, das ist natürlich auch klar.
Nun, was mich betrifft, so wurde ich also Katze bei Baumgarts. Nein, ich sagte ja schon, selbst ausgesucht habe ich mir diese Familie nicht. Aber ich hatte Glück – ich mag sie, vier sind es übrigens, wirklich gern. Obwohl, na ja, also ein bißchen komisch sind sie manchmal auch. Das begann schon mit der Art und Weise, wie ich sie kennenlernte. Das heißt, erst war es ja nur einer. Der mit dem Fell im Gesicht. Der heißt meistens Dieter oder Papi; manchmal auch Herr Baumgart. Die anderen haben alle kein Fell im Gesicht, dafür aber mehr auf dem Kopf. Also der Dieter jedenfalls, der erschien eines Tages bei uns.
Ach so, das muß ich wohl noch erklären: Die ersten Wochen nach meiner Geburt verbrachte ich im Stadtpark. War schön. Aber irgendwie hatte ich mich eines Tages verlaufen, und dann ist das nicht mehr so lustig. Es wurde auch kälter und nasser, und am Ende war ich doch wirklich froh, als ich von kleinen Menschen eingesammelt und zu einem großen Menschen gebracht wurde, der mit einer Katzenkommune zusammenlebte. Da wurde dann eines Tages auch über meinen ferneren Lebensweg entschieden. Natürlich hatte ich in der Kommune gar nichts zu sagen, denn ich war die Kleinste. Aber jedenfalls fühlte ich mich nicht mehr so armselig und allein. Na gut. Ich hatte mich wohl gerade einigermaßen eingelebt und war auf dem besten Wege, mir nicht mehr alles von den anderen gefallen zu lassen, da tauchte der Dieter bei uns auf. Und nach fremden Menschen stand mir nun wirklich nicht der Sinn. Ich begriff auch recht schnell, daß dieser Besucher sich für mich interessierte. – Als Katze hat man da doch irgendwie so ein untrügliches Gefühl. Und natürlich verschwand ich sofort im anderen Zimmer in der hintersten Ecke! Ich seh’ es noch vor mir: Er, der Dieter, im einen Zimmer, schaut durch die Tür und macht komische Geräusche; ich im anderen Zimmer unter dem Bett. Einige Tage später erschien er dann noch einmal, und ich erkannte ihn ja schon am Tritt. Ihr könnt es mir glauben, gesehen hat er nicht viel von mir, weil mein Fell auch sehr dunkel ist. Und überhaupt: Also ich glaube, die Menschen sind mehr oder weniger blind. Bevor die im Dunkeln etwas sehen, da sind sie schon längst reingefallen, draufgetappt oder gegengelaufen! Aber dieser kam erst gar nicht näher. Er wußte wohl schon, daß ich ihm nicht entkomme. Und so war es dann ja auch.
Das passierte völlig unerwartet an einem Abend, da erschien er mit so einer Art Höhle mit Henkel. Und irgendwie hatte ich schon so eine Ahnung, obwohl er an mir völlig uninteressiert schien und diese Höhle auch gleich in eine Ecke stellte. Aber da war irgend etwas anders als sonst; da lag was in der Luft. Ich bin schließlich nicht dumm. Oh ja, inzwischen merke ich auch ganz schnell, wenn meine Leute verreisen wollen, da muß ich gar nicht erst die Koffer sehen. Oder wenn das Spätzlein Rinderhack... Aber ich will nicht vorgreifen und alles schön der Reihe nach erzählen.
Der Dieter kam also an jenem Abend, und vor ihm wurden leckere Sachen aufgestapelt: Vitaminpaste, Rinderhack... Und ich dachte schon so, Katze, dachte ich, das frißt der doch bestimmt nicht alles selbst, und zog mich vorsichtshalber in mein Versteck für besondere Fälle zurück. Aber was soll ich sagen? Ich hatte mich eben so einigermaßen in meiner dunklen Ecke eingerichtet, da ging die Suche auch schon los! Einen richtigen Namen hatte ich ja noch nicht. Da fiepsten und zwitscherten dann beide, unser Mensch und dieser Dieter durch die Wohnung. Muschlein hier und Mohrchen da, tönten sie und krochen zwischen Stühlen und Tischen so unbeholfen herum, wie es nur Menschen möglich ist. Es war sicherlich sehr erheiternd. Nur, also ich fand das leider gar nicht lustig, denn nun war es nicht mehr zu übersehen: Es ging ohne Frage um mich!
Ja, und dann wurde es