Wie ich Katze bei Baumgarts wurde - Page 2

Bild zeigt Dieter J Baumgart
von Dieter J Baumgart

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doch ausgesprochen ungemütlich. Im Alter von gut drei Monaten hat man einfach noch nicht die Kraft und auch keine Erfahrung. Das Ende vom Lied war schließlich, daß ich mich nach einer längeren Verfolgungsjagd in dieser unerfreulichen Henkelhöhle wiederfand, die der Dieter mitgebracht und so scheinheilig in eine Ecke gestellt hatte. Ich war gefangen und hatte keine Ahnung, was nun passieren würde. Nein, das war ganz und gar nicht schön. Aber es wurde noch schlimmer!
          Ihr könnt mir glauben, inzwischen bin ich zwölf Jahre, und ich muß sagen, es gibt nur wenige Sachen, vor denen mir echt graut: Gewitter, Silvester, Fahrstuhl und Auto fahren. So! Und zwei Ereignisse aus dieser Schreckensliste brachen dann auch gleich über mich herein: Erst das Auto und dann der Fahrstuhl! Schon im Auto überfiel mich der ganz große Katzenjammer. Draußen war inzwischen alles dunkel, manchmal wanderten helle Lichter vorbei, der Boden schwankte in allen Richtungen, es brummte, und ich hatte ganz große Angst. Dem Dieter fiel das wohl auch auf, jedenfalls  steckte er seine Pfote durch die Gittertür vor der Höhle, um mich zu beruhigen. Ein kleiner Trost war es ja. Aber wenn er die Pfote wieder wegnahm, weil der Stock neben ihm woanders hingeschoben werden mußte, wurde es wieder schlimm. Schließlich hielt das Auto an, er machte die Tür auf, und ich kroch in meiner Höhle zusammen. Plötzlich waren wir in einem entsetzlich hellen Hausflur, und dann kam der Fahrstuhl! Tür auf  –  hinein  –  Tür zu, Stille. Und auf einmal ist da so ein seltsames Gefühl, als würde man hochgehoben, aber es ist nichts zu sehen, es verändert sich nichts. Nur ein gefährlich hoher Ton ist da, der dann plötzlich wieder tief wird und aufhört. Und gleichzeitig wird man ganz leicht, und dann ist das Gefühl wieder weg. – Widerlich! Ich habe mich nur ganz verzweifelt gefragt, wie das wohl weitergehen soll. Natürlich ging es weiter, wie das ja immer irgendwie weitergeht. Auch wenn es so aussieht, als ob nun alles zu Ende ist.
          Ja, und dann wurde ich Katze bei Baumgarts. Plötzlich stand meine Höhle mitten in einem fremden Zimmer, die Klappe wurde geöffnet, und ich guckte erst einmal sehr vorsichtig um die Ecke. Ich dachte, wenn du jetzt was Falsches tust, dann ist die Klappe gleich wieder zu, und alles geht von vorn los, Fahrstuhl  –  Auto  –  und so weiter!  Also tust du erst einmal gar nichts. Wirklich, der Glaube an das Gute im Katzenleben war mir einigermaßen abhanden gekommen. Aber alles blieb still. Und dann sah ich auch zum erstenmal den Rest der Familie: Zwei Weibchen, ein großes und ein kleines, und noch ein kleines Männchen. Ach ja, richtig, der Dieter war ja auch ein Männchen. Man merkt das doch recht bald, auch bei den Menschen, denn die Männchen sehen irgendwie bedeutender aus. Aber das Sagen haben wohl meistens die Weibchen, und die sind auch viel bunter und überhaupt... Na gut, damit waren es also zwei Pärchen, ein großes und ein kleines. Und das große hatte offenbar die Leitung. Dafür haben die beiden Kleinen dann auch öfter gestritten, wer von ihnen nun wieder mehr zu sagen hat. Aber das habe ich natürlich erst viel später so richtig verstanden.
          Nun, zunächst einmal standen sie alle um mich herum und fletschten die Zähne. Es war ein fellsträubender Anblick. Aber inzwischen habe ich das begriffen: Bei den Menschen ist das ein Zeichen der Freude; etwa damit zu vergleichen, wenn wir Katzen mit Fragezeichenschwanz hochbeinig durch die Gegend wandeln. Aber davon war ich nun wirklich noch sehr weit entfernt. Was da in wenigen Stunden über mich hereingebrochen war – nein, also ehrlich. Erst dieses schreckliche Auto, dann der unheimliche Fahrstuhl, und am Ende noch vier zähnefletschende fremde Menschen um mich herum. Wirklich, in unserer Katzenkommune war bestimmt nicht alles Milch- und Käseschlecken, da gab es auch gelegentlich mal Ärger. Aber tausendmal lieber wäre ich doch dort geblieben. Na schön, sagte ich mir schließlich, es ist passiert, gefragt hat dich sowieso niemand, also sieh zu, wie du klarkommst. Ich wartete also einen günstigen Moment ab, als gerade niemand zu mir her sah, und war dann mit einem Sprung unter dem Sofa. Für den Fall, daß ich wieder eingefangen werden sollte, dachte ich, ist es da drunter wohl am sichersten. Und dann habe ich mir erst einmal, noch etwas außer Atem, die nähere Umgebung angesehen. Das ist wichtig, auch für den Fall, daß es einmal sehr schnell gehen muß, dann ist das schon hilfreich, wenn man weiß, wo was ist.
          Also diesen ersten Rundblick, dieses Chaos um mich herum, werde ich wohl nie vergessen. Im ersten Moment dachte ich tatsächlich, es hätte mich wieder in den Stadtwald verschlagen. Es war auch nicht sehr hell, und das meiste Licht kam aus der Mitte des Zimmers von einem Baum, an dessen Zweigen Flammen waren. Und direkt neben meinem Unterstand – ich meine, neben diesem Sofa – wuchs noch ein Baum aus dem Boden. Der hatte keine Äste, aber er war sehr dick und in der Mitte aufgespalten, da wuchs eine große Pflanze heraus. Auf dem Boden lag allerdings ein Teppich, keine Erde oder Blätter wie im Stadtwald. Offensichtlich befand ich mich also doch in einer Menschenwohnung. Ich meine, es hätte mich auch erstaunt: Ein Sofa mitten im Stadtwald! Also, da lag schon viel herum, aber meist doch nur Abfall, keine richtigen Möbel – hab’ ich jedenfalls noch nie gesehen. Langsam wurde ich dann auch wieder etwas ruhiger. Die vier Menschen kümmerten sich nicht mehr um mich, und das Zähne fletschen hatten sie auch aufgegeben. Allerdings schienen sie auch genug miteinander beschäftigt zu sein. Denn unter dem Baum mit den Flammen an den Zweigen lagen viele bunte Kästen, kleinere und größere. Die wurden immer wieder angefaßt, hin und her gereicht und schließlich auch ausgewickelt. Doch, also es war schon recht interessant, und ganz langsam rührte sich auch meine angeborene Neugier.
          Inzwischen weiß ich natürlich, was da vor sich ging: Mit diesem Fest feiern sie jedes Jahr den Tag, an dem ich zu ihnen kam!

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