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hat. Aber gleichzeitig war mir das Ganze nicht geheuer – oh nein, ganz und gar nicht! Das war so eine Situation, das kam so unverhofft, und ich hatte einfach nicht damit gerechnet. Da standen wir also, und näher mochte ich ihr nun auch nicht auf den Pelz rücken. Ich hatte schließlich meine Erfahrungen in der Kommune gemacht. Andererseits, sagte ich mir, muß das hier geklärt werden. Also ging ich seitlich weiter – und die andere natürlich auch! Ich weiß wirklich nicht mehr, was größer war, meine Wut oder meine Angst. Ich glaube, meine Gelenke haben geknarrt wie eine alte Kellertür. Wir staksten also beide weiter – natürlich in angemessener Entfernung voneinander – und auf einmal war sie weg! Einfach weg –! Keine Katze mehr – nur noch Wand! Also, da war ich aber doch gerührt! Was ist denn nun los, dachte ich, die kann sich doch nicht in Luft auflösen! Ich suchte und schnüffelte also weiter mit gesträubtem Fell und peitschendem Schwanz – und da war sie wieder! Wie ich selbst, mit der Nase am Boden und unter dem gleichen Stuhl. Und plötzlich stand auch noch der Dieter neben ihr! Nein – der stand neben mir! Katze, dachte ich, hör’ lieber auf, da hinzuschauen – das ist nicht gut für dich – da drehst du durch! Hilfe suchend habe ich nur noch den Dieter neben mir angesehen. Und der hob mich hoch und ging immer näher an die anderen beiden heran. Und dann begriff ich endlich: Das war keine andere Katze! Das war ich selbst! Hinter einer Wand aus Glas –.
Nun ja, inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, daß ich an einem bestimmten Teil der Wand doppelt bin. Aber weshalb das so ist, nein, das habe ich bis heute noch nicht begriffen. Und diesen Schreck in der Morgenstunde werde ich wohl auch nie vergessen.
Etwas später rief dann das Spätzlein: „Coco!?“ – Und weil ich gleichzeitig meinen Napf klappern hörte, machte ich mich betont gemächlich auf die Pfoten. Man ist ja schließlich kein Hund... Und richtig: es gab Futter! Allerdings kein Rinderhack, sondern irgend so einen Mampf aus Haferflocken – tut mir leid, aber damit kann man mich jagen! Ich machte auf der Pfote kehrt und erst einmal ausgiebig Morgentoilette. Nein, dachte ich, so nicht. Ich bin schließlich kein Allesfresser und überhaupt... Nun ja, der Hunger hat’s dann nach und nach ‘reingetrieben. In der ersten Zeit vermutete ich ja immer, ‘Coco’ bedeute soviel wie ‘es gibt Futter!’. Aber nach einiger Zeit und mehreren Fehlspekulationen begriff ich, daß es sich dabei wohl um meinen Namen handelte. Und der wird leider auch gerufen, wenn es statt Futter Ärger gibt. Das passierte natürlich schon des öfteren, und nach einiger Zeit hatte ich auch ein Ohr für diesen speziellen Unterton und konnte entsprechend reagieren. Aber sagt selbst: Woher sollte ich schließlich wissen, daß irgendwo ein Teller auf den Boden fällt und zerbricht, nur weil ich auf den Küchenschrank gesprungen bin. Oder ein Pullover wird immer kleiner, nur weil ich an einer langen Schnur ziehe. Aber, wie gesagt, inzwischen höre ich schon am Tonfall, worum es sich handelt: Futter, Ärger oder – und das kommt erfreulicher Weise auch häufig vor – Streicheleinheiten. Besonders auf dem Rücken und auf dem Bauch – hach, traumhaft! Doch, also ehrlich, ich fühle mich wohl bei meinen Menschen.
Das kleine Pärchen, das hat natürlich auch Namen: Das Männchen heißt Sven, und das Weibchen heißt Swantje. Im Gegensatz zum Dieter haben sie beide zwar nur Fell auf dem Kopf, dafür aber mehr und ganz unterschiedlich: Swantje hat langes, wie Grashalme, nur dünner und braun, und Sven hat kurzes, voller Kringel, wie ein Pudel, aber gelb. Swantje strickt mir immer schöne Kissen und Lappen, auf denen ich mit Hingabe knete. Und Sven sagt, ich sei zu dick! Das heißt, damals natürlich noch nicht. Da war ich ja noch ein zierliches, kleines Kätzchen. Aber inzwischen bin ich groß und stark! Wenn meine Leute am Tisch sitzen, gibt es auch immer einen Stuhl für mich. Das habe ich ihnen im Laufe der Jahre beigebracht. Ich habe eben gern den großen Überblick. Wenn es sich dann zufällig ergeben sollte, daß ich allein in der Küche bin, muß ich nicht erst lange suchen, wo das Spätzlein vergessen hat, leckere Sachen in Sicherheit zu bringen. Mal ist es eine Tasse Milch oder ein leckerer Pudding, mal ein Stück Käse oder die Butter. Ich bin da gar nicht so wählerisch und abgesehen von Haferflocken schmeckt mir vieles. Wenn ich dann erwischt werde, ruft das Spätzlein zornig: „Mensch, Coco!“ Dann denke ich so bei mir: „Also, für dich immer noch ‘Katze’, bitte schön!!“
Manchmal, wenn sie mich rufen, dann verändern sie meinen Namen und sagen ‘Otto’ oder ‘Krokodil’. Und wenn ich darauf höre und komme, fletschen sie die Zähne. Offenbar denken sie, ich höre auf alles, was zwei ‘o’ hat. Na schön, ich laß’ sie in dem Glauben, sollen sie doch auch ihren Spaß haben! Denn natürlich höre ich nur, wenn ich will. Da können sie flöten und säuseln mit noch so vielen ‘o’. Ach, ich habe sie schon eine halbe Stunde nach mir suchen lassen: „Cocooo – Cocooooo?“ In der ganzen Wohnung, auf dem Balkon, im Hausflur. Und ich lag inzwischen im Badezimmer in der alten Wäsche und habe mich amüsiert. Einmal fegte ich mit einem rohen Schnitzel durch die Wohnung, das hatte ich noch aus der Einkaufstasche im Flur geklaut, und das Spätzlein hinter mir her –. Das war ein Spaß! An der Tür zum Balkon habe ich es dann fallengelassen. Beim Rennen störte es doch etwas, und zum Fressen war es sowieso zu zäh... Aber Spätzlein war sauer: „Coco! Verdammtnochmal!“
Gelegentlich nämlich, wenn Spätzlein mit einer vollen Tasche nach Hause kommt und ganz schnell zur Toilette muß, dann läßt sie die Tasche schon mal im Flur stehen. Nun untersuche ich natürlich grundsätzlich alles gewissenhaft, was von draußen hereingetragen wird – es könnte ja eine fremde Katze eingeschmuggelt werden! Und dann finde ich auch schon mal Rinderhack. Vorsichtig auswickeln, sattfressen und